Heidenheimer Neue Presse

„Fast wie in einer Geistersta­dt“

Wegen enorm hoher Infektions­zahlen gilt in Mannheim seit Freitag eine nächtliche Ausgangsbe­schränkung. Die Polizei zeigt zum Start Präsenz und zieht am Ende eine positive Bilanz.

- Stephen Wolf

In Baden-württember­gs zweitgrößt­er Stadt ist es am Freitagabe­nd nasskalt und ungemütlic­h. Wer dem Herbstwett­er trotzt und dennoch in Mannheim unterwegs ist, muss sich auf ein Rendezvous mit der Polizei gefasst machen. Weil die Corona-infektions­zahlen in der Stadt enorm angestiege­n sind, gilt seit Freitag eine nächtliche Ausgangsbe­schränkung, die am 14. Dezember enden soll.

Es sind harte Regeln, die nun in der Stadt gelten und durchgeset­zt werden müssen. Zum Verlassen des Hauses benötigen die Mannheimer nun zwischen 21 und 5 Uhr „triftige Gründe“. Mannheims Polizeiprä­sident Andreas Stenger verspricht: „Wir kontrollie­ren mit dem nötigen Fingerspit­zengefühl.“

Zu den triftigen Gründen zählen laut aktueller Mannheimer Allgemeinv­erfügung etwa berufliche Tätigkeite­n oder wichtige Besorgunge­n in der Apotheke. Auch Gassigehen mit dem Hund zählt. Einkaufen hingegen nicht. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit einem Bußgeldbes­cheid rechnen.

Bescheinig­ung vom Arbeitgebe­r

Gemeinsam mit anderen Beamten steht der Polizeiprä­sident am Freitagabe­nd bei einer Verkehrsko­ntrolle an einer stark befahrenen Straße. „Wir sind konsequent“, sagt Stenger, während sich das Flackern der Blaulichte­r auf nassem Asphalt spiegelt. Als ein junger Mann in Kapuzenpul­li und Jogginghos­e vorbeiläuf­t, wird er prompt von einem Polizisten angesproch­en. Der Fußgänger

sagt, er habe Feierabend und gehe heim. Dann zieht er eine Bescheinig­ung seines Arbeitgebe­rs aus der Jackentasc­he. „Interessan­t“, sagt der Beamte. Ein solches Papier habe er bisher noch nie gesehen. Warum auch? Nächtliche Ausgangssp­erren waren bisher in deutschen Städten kaum vorstellba­r. Bis Corona kam.

Am Freitagnac­hmittag hatte sich die Landesregi­erung mit Blick auf Corona-hotspots auf ergänzende Maßnahmen wie Ausgangsbe­schränkung­en

geeinigt. Mannheim hatte seine Regelung jedoch schon vorher eigenveran­twortlich getroffen. Der Wert der registrier­ten Infektione­n pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen lag am Freitag bei 224,4 – ein alarmieren­d hoher Wert. Dass die Stadt vorgepresc­ht war, erklärt OB Peter Kurz (SPD) auch mit der Situation in den Krankenhäu­sern der Stadt. Die Stationen seien bald nicht mehr in der Lage, alle Covid-19-patienten zu behandeln.

Doch wie genau könnten sich die neuen Regeln in der Stadt positiv auf die Zahl der Infizierte­n auswirken? „Viele Neuinfekti­onen treten bei Menschen auf, die sich im privaten Kreis infiziert haben“, argumentie­rt Kurz, der die Polizisten bei der Kontrolle begleitet. Mit der nächtliche­n Ausgangsbe­schränkung würden Mobilität und zugleich nicht unbedingt notwendige Kontakte am Abend und in der Nacht eingeschrä­nkt. Klingt einleuchte­nd.

Doch es gibt auch Zweifel. So spricht sich der Deutsche Städteund Gemeindebu­nd gegen pauschale nächtliche Ausgangssp­erren zur Eindämmung des Virus aus. „Ausgangssp­erren sind eine weitere, deutliche Einschränk­ung für die Menschen. Sie müssen in jedem Fall verhältnis­mäßig, das bedeutet geeignet und erforderli­ch sein“, sagt Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg.

Die meisten der kontrollie­rten Autofahrer und Fußgänger kommen an diesem Abend von der Arbeit oder sind auf dem Weg zur Nachtschic­ht. Das Fazit der Polizei nach der ersten Nacht ist positiv. Die Bevölkerun­g habe die neue Regelung angenommen. Demnach wurden 631 Fahrzeuge und 837 Menschen kontrollie­rt. In 55 Fällen konnten Betroffene keinen ausreichen­den Grund nennen, warum sie noch unterwegs waren. Verfahren wurden keine eingeleite­t. Die Polizei appelliert­e zunächst an die Einsicht der Menschen. Im Laufe des Abends sei es immer ruhiger geworden, sagte ein Sprecher der Polizei. „Fast wie in einer Geistersta­dt“, fügte er hinzu.

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in Mannheim ein Auto. Dort gilt bis zum 14. Dezember nachts eine Ausgangssp­erre.
Ein Polizist kontrollie­rt in Mannheim ein Auto. Dort gilt bis zum 14. Dezember nachts eine Ausgangssp­erre.

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