„Fast wie in einer Geisterstadt“
Wegen enorm hoher Infektionszahlen gilt in Mannheim seit Freitag eine nächtliche Ausgangsbeschränkung. Die Polizei zeigt zum Start Präsenz und zieht am Ende eine positive Bilanz.
In Baden-württembergs zweitgrößter Stadt ist es am Freitagabend nasskalt und ungemütlich. Wer dem Herbstwetter trotzt und dennoch in Mannheim unterwegs ist, muss sich auf ein Rendezvous mit der Polizei gefasst machen. Weil die Corona-infektionszahlen in der Stadt enorm angestiegen sind, gilt seit Freitag eine nächtliche Ausgangsbeschränkung, die am 14. Dezember enden soll.
Es sind harte Regeln, die nun in der Stadt gelten und durchgesetzt werden müssen. Zum Verlassen des Hauses benötigen die Mannheimer nun zwischen 21 und 5 Uhr „triftige Gründe“. Mannheims Polizeipräsident Andreas Stenger verspricht: „Wir kontrollieren mit dem nötigen Fingerspitzengefühl.“
Zu den triftigen Gründen zählen laut aktueller Mannheimer Allgemeinverfügung etwa berufliche Tätigkeiten oder wichtige Besorgungen in der Apotheke. Auch Gassigehen mit dem Hund zählt. Einkaufen hingegen nicht. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit einem Bußgeldbescheid rechnen.
Bescheinigung vom Arbeitgeber
Gemeinsam mit anderen Beamten steht der Polizeipräsident am Freitagabend bei einer Verkehrskontrolle an einer stark befahrenen Straße. „Wir sind konsequent“, sagt Stenger, während sich das Flackern der Blaulichter auf nassem Asphalt spiegelt. Als ein junger Mann in Kapuzenpulli und Jogginghose vorbeiläuft, wird er prompt von einem Polizisten angesprochen. Der Fußgänger
sagt, er habe Feierabend und gehe heim. Dann zieht er eine Bescheinigung seines Arbeitgebers aus der Jackentasche. „Interessant“, sagt der Beamte. Ein solches Papier habe er bisher noch nie gesehen. Warum auch? Nächtliche Ausgangssperren waren bisher in deutschen Städten kaum vorstellbar. Bis Corona kam.
Am Freitagnachmittag hatte sich die Landesregierung mit Blick auf Corona-hotspots auf ergänzende Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen
geeinigt. Mannheim hatte seine Regelung jedoch schon vorher eigenverantwortlich getroffen. Der Wert der registrierten Infektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen lag am Freitag bei 224,4 – ein alarmierend hoher Wert. Dass die Stadt vorgeprescht war, erklärt OB Peter Kurz (SPD) auch mit der Situation in den Krankenhäusern der Stadt. Die Stationen seien bald nicht mehr in der Lage, alle Covid-19-patienten zu behandeln.
Doch wie genau könnten sich die neuen Regeln in der Stadt positiv auf die Zahl der Infizierten auswirken? „Viele Neuinfektionen treten bei Menschen auf, die sich im privaten Kreis infiziert haben“, argumentiert Kurz, der die Polizisten bei der Kontrolle begleitet. Mit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung würden Mobilität und zugleich nicht unbedingt notwendige Kontakte am Abend und in der Nacht eingeschränkt. Klingt einleuchtend.
Doch es gibt auch Zweifel. So spricht sich der Deutsche Städteund Gemeindebund gegen pauschale nächtliche Ausgangssperren zur Eindämmung des Virus aus. „Ausgangssperren sind eine weitere, deutliche Einschränkung für die Menschen. Sie müssen in jedem Fall verhältnismäßig, das bedeutet geeignet und erforderlich sein“, sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.
Die meisten der kontrollierten Autofahrer und Fußgänger kommen an diesem Abend von der Arbeit oder sind auf dem Weg zur Nachtschicht. Das Fazit der Polizei nach der ersten Nacht ist positiv. Die Bevölkerung habe die neue Regelung angenommen. Demnach wurden 631 Fahrzeuge und 837 Menschen kontrolliert. In 55 Fällen konnten Betroffene keinen ausreichenden Grund nennen, warum sie noch unterwegs waren. Verfahren wurden keine eingeleitet. Die Polizei appellierte zunächst an die Einsicht der Menschen. Im Laufe des Abends sei es immer ruhiger geworden, sagte ein Sprecher der Polizei. „Fast wie in einer Geisterstadt“, fügte er hinzu.