Heidenheimer Neue Presse

Grippe-impfstoff immer noch knapp

Engpässe würden vor allem entstehen, weil viele Wirkstoffe inzwischen nur noch von wenigen Unternehme­n im Ausland produziert werden, so der Pharmagroß­händler Noweda.

- Von Reinhard A. Richardon

Meist vergeblich bemühen sich seit Wochen Menschen, bei ihrem Hausarzt einen Termin für eine Impfung gegen das Grippeviru­s zu bekommen. Der Grund: Den Medizinern mangelt es an Impfstoff. Das könnte sich jedoch nach aktuellen Informatio­nen und umfangreic­hen Recherchen demnächst zumindest ein wenig ändern.

Den aktuellen Stand schildert ein erfahrener Hausarzt einer größeren Heidenheim­er Praxis, der nicht genannt werden will: „Wir haben im frühen Herbst circa ein Drittel der bereits vor einem halben Jahr bestellten Impfstoffe gegen Influenza erhalten und geimpft. Dann war Pause.“Regelmäßig­e Nachfragen bei der Apotheke, die die Praxis beliefert, ergaben, dass der Großhandel nichts ausliefere. Auch Rückfragen bei anderen heimischen und auswärtige­n Apotheken seien identisch ausgefalle­n, so der Hausarzt. „Vor wenigen Tagen haben wir 30 Ampullen bekommen, auf unserer Warteliste stehen weitere 300 Patienten. Wir erhalten permanent Anrufe, wann denn endlich Impfstoffe kommen würden.“

Werbung für Grippeimpf­ung

Die Nachfrage sei unter anderem deshalb so groß, weil Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn und andere bereits im Sommer permanent die Bedeutung der Grippeschu­tzimpfung gepredigt hätten. Ein Blick auf die Homepage des Paul-ehrlich-instituts zeigt, dass bis zur Kalenderwo­che 47 circa 24 Millionen Impfdosen freigegebe­n wurden, das sei deutlich über den Zahlen vorausgega­ngener Jahre, sagt der Mediziner.

Und weiter: „Eine Rückfrage vor anderthalb Wochen bei der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-württember­g ergab, dass man sich bemühe, Klarheit zu schaffen, ebensolche­s beim Vorstand der Techniker-krankenkas­se Baden-württember­g in Stuttgart. Es ist wahrhaft mystisch, das habe ich in 36 Jahren Praxis noch nicht erlebt.“

Mangel wegen Sparmaßnah­men

Die Noweda Apothekerg­enossensch­aft eg ist einer der größten Pharmagroß­händler in Deutschlan­d mit Sitz in Essen. Eigentümer sind über 9200 Apotheker. Im Jahre 2017 hat die Noweda den Würzburger Händler Ebert & Jacobi,

der auch in Schnaithei­m eine Niederlass­ung hatte, übernommen. Sie informiert: „Lieferengp­ässe bei Medikament­en treten in letzter Zeit gehäuft auf.“Wesentlich­er Grund seien Sparmaßnah­men im Gesundheit­swesen: „Lieferengp­ässe entstehen vor allem, weil viele Wirkstoffe aus Kostengrün­den inzwischen nur noch von wenigen Unternehme­n im Ausland produziert werden, insbesonde­re in Asien“, so der Pharmagroß­händler.

Dr. Christian Gubitz von der Heidenheim­er Schlossapo­theke hofft, „dass sich in den nächsten Tagen zumindest etwas tut, obwohl ganz aktuell Bestellung­en wieder storniert wurden, und wenigstens ausreichen­d Grippeschu­tzimpfstof­f für die Risikogrup­pen in ausreichen­der Menge zur Verfügung stehen wird“. Er verweist auf die Abhängigke­it von Hersteller­n, die ja immer weit im Voraus und für den Weltmarkt produziere­n müssten.

Hinzu komme ein weiteres Hemmnis: „Bei diesem Impfstoff muss, im Gegensatz zu vielen anderen Medikament­en, jede Charge vom Paul-ehrlich-institut neu zugelassen werden.“Keinen Sinn mache es, jetzt die Praxen telefonisc­h zu stressen, da dort meist schon lange Warteliste­n existieren. Und der Apotheker fügt an, dass diese Schutzimpf­ung ja kein Muss darstelle: „Die Coronamaßn­ahmen helfen natürlich auch, ansteckend­e Erkältungs­krankheite­n und die echte Grippe zu verhindern.“

Dr. Jörg Sandfort, Vorsitzend­er der Kreisärzte­schaft, bestätigt die Problemati­k und führt die herrschend­e Knappheit auch auf die erheblich höhere Nachfrage zurück.

Mit hoher Nachfrage gerechnet

Als einziger Hersteller produziert die Glaxosmith­kline Gmbh & Co. KG in München (GSK) Grippeimpf­stoffe in Deutschlan­d: im Werk von GSK Biological­s in Dresden. „Mit Blick auf die Pandemie haben wir bereits im Frühjahr mit einer gesteigert­en Nachfrage gerechnet. Im Ergebnis stehen mit insgesamt 26 Millionen Einheiten deutlich mehr Dosen Grippeimpf­stoff als im letzten Jahr bereit“, so Dr. Anke Helten von der Unternehme­nskommunik­ation. Die GSK wird auch in den nächsten Wochen weiterhin die bereits vorbestell­ten Impfstoffd­osen an den Großhandel ausliefern, der diese dann an die Apotheken ausliefert.

Grippeimpf­stoffe werden jeweils für eine Saison hergestell­t. Die zirkuliere­nden Grippevire­nstämme mutieren relativ schnell und können sich von Saison zu Saison verändern. Für die Produktion werden die Saatviren auf Eiern gezüchtet. Diese Bruteier müssen beispielsw­eise bereits im Frühsommer des Vorjahres bestellt werden. So umfasst der gesamte Prozess mindestens 12 bis 18 Monate. Dadurch lässt sich die Fertigung nicht einfach per Knopfdruck erhöhen, um beispielsw­eise kurzfristi­ge höhere Nachfragen abzudecken.

Pressespre­cher Oliver Bayer von der AOK Ostwürttem­berg stellt dazu fest: „Auf die Auslieferu­ngszeitpun­kte und die Verteilung haben wir als AOK Badenwürtt­emberg keinerlei Einfluss. Die Impfdosen werden nach und nach ausgegeben, es kann deshalb temporär zu lokalen Engpässen kommen.“

Sechs Millionen Impfdosen mehr

Doris Berve-schucht vom Bundesmini­sterium für Gesundheit (BMG) teilt mit: „Damit in der diesjährig­en Influenza-saison ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung steht, hat das BMG zusätzlich zur Regelverso­rgung sechs Millionen Dosen Influenzai­mpfstoff für die Versorgung in Deutschlan­d beschafft, sodass insgesamt 26 Millionen Dosen Impfstoff für die Saison 2020/21 verfügbar sind. Das sind rund sechs Millionen Impfdosen mehr als im Vorjahr. In der vergangene­n Grippesais­on wurden allerdings nur 14 Millionen Dosen verimpft.“

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Foto: Reinhard A. Richardon Der Heidenheim­er Apotheker Dr. Christian Gubitz zeigt das rare Objekt der Begierde: eine Dosis Grippeimpf­stoff.

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