Grippe-impfstoff immer noch knapp
Engpässe würden vor allem entstehen, weil viele Wirkstoffe inzwischen nur noch von wenigen Unternehmen im Ausland produziert werden, so der Pharmagroßhändler Noweda.
Meist vergeblich bemühen sich seit Wochen Menschen, bei ihrem Hausarzt einen Termin für eine Impfung gegen das Grippevirus zu bekommen. Der Grund: Den Medizinern mangelt es an Impfstoff. Das könnte sich jedoch nach aktuellen Informationen und umfangreichen Recherchen demnächst zumindest ein wenig ändern.
Den aktuellen Stand schildert ein erfahrener Hausarzt einer größeren Heidenheimer Praxis, der nicht genannt werden will: „Wir haben im frühen Herbst circa ein Drittel der bereits vor einem halben Jahr bestellten Impfstoffe gegen Influenza erhalten und geimpft. Dann war Pause.“Regelmäßige Nachfragen bei der Apotheke, die die Praxis beliefert, ergaben, dass der Großhandel nichts ausliefere. Auch Rückfragen bei anderen heimischen und auswärtigen Apotheken seien identisch ausgefallen, so der Hausarzt. „Vor wenigen Tagen haben wir 30 Ampullen bekommen, auf unserer Warteliste stehen weitere 300 Patienten. Wir erhalten permanent Anrufe, wann denn endlich Impfstoffe kommen würden.“
Werbung für Grippeimpfung
Die Nachfrage sei unter anderem deshalb so groß, weil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und andere bereits im Sommer permanent die Bedeutung der Grippeschutzimpfung gepredigt hätten. Ein Blick auf die Homepage des Paul-ehrlich-instituts zeigt, dass bis zur Kalenderwoche 47 circa 24 Millionen Impfdosen freigegeben wurden, das sei deutlich über den Zahlen vorausgegangener Jahre, sagt der Mediziner.
Und weiter: „Eine Rückfrage vor anderthalb Wochen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-württemberg ergab, dass man sich bemühe, Klarheit zu schaffen, ebensolches beim Vorstand der Techniker-krankenkasse Baden-württemberg in Stuttgart. Es ist wahrhaft mystisch, das habe ich in 36 Jahren Praxis noch nicht erlebt.“
Mangel wegen Sparmaßnahmen
Die Noweda Apothekergenossenschaft eg ist einer der größten Pharmagroßhändler in Deutschland mit Sitz in Essen. Eigentümer sind über 9200 Apotheker. Im Jahre 2017 hat die Noweda den Würzburger Händler Ebert & Jacobi,
der auch in Schnaitheim eine Niederlassung hatte, übernommen. Sie informiert: „Lieferengpässe bei Medikamenten treten in letzter Zeit gehäuft auf.“Wesentlicher Grund seien Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen: „Lieferengpässe entstehen vor allem, weil viele Wirkstoffe aus Kostengründen inzwischen nur noch von wenigen Unternehmen im Ausland produziert werden, insbesondere in Asien“, so der Pharmagroßhändler.
Dr. Christian Gubitz von der Heidenheimer Schlossapotheke hofft, „dass sich in den nächsten Tagen zumindest etwas tut, obwohl ganz aktuell Bestellungen wieder storniert wurden, und wenigstens ausreichend Grippeschutzimpfstoff für die Risikogruppen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird“. Er verweist auf die Abhängigkeit von Herstellern, die ja immer weit im Voraus und für den Weltmarkt produzieren müssten.
Hinzu komme ein weiteres Hemmnis: „Bei diesem Impfstoff muss, im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten, jede Charge vom Paul-ehrlich-institut neu zugelassen werden.“Keinen Sinn mache es, jetzt die Praxen telefonisch zu stressen, da dort meist schon lange Wartelisten existieren. Und der Apotheker fügt an, dass diese Schutzimpfung ja kein Muss darstelle: „Die Coronamaßnahmen helfen natürlich auch, ansteckende Erkältungskrankheiten und die echte Grippe zu verhindern.“
Dr. Jörg Sandfort, Vorsitzender der Kreisärzteschaft, bestätigt die Problematik und führt die herrschende Knappheit auch auf die erheblich höhere Nachfrage zurück.
Mit hoher Nachfrage gerechnet
Als einziger Hersteller produziert die Glaxosmithkline Gmbh & Co. KG in München (GSK) Grippeimpfstoffe in Deutschland: im Werk von GSK Biologicals in Dresden. „Mit Blick auf die Pandemie haben wir bereits im Frühjahr mit einer gesteigerten Nachfrage gerechnet. Im Ergebnis stehen mit insgesamt 26 Millionen Einheiten deutlich mehr Dosen Grippeimpfstoff als im letzten Jahr bereit“, so Dr. Anke Helten von der Unternehmenskommunikation. Die GSK wird auch in den nächsten Wochen weiterhin die bereits vorbestellten Impfstoffdosen an den Großhandel ausliefern, der diese dann an die Apotheken ausliefert.
Grippeimpfstoffe werden jeweils für eine Saison hergestellt. Die zirkulierenden Grippevirenstämme mutieren relativ schnell und können sich von Saison zu Saison verändern. Für die Produktion werden die Saatviren auf Eiern gezüchtet. Diese Bruteier müssen beispielsweise bereits im Frühsommer des Vorjahres bestellt werden. So umfasst der gesamte Prozess mindestens 12 bis 18 Monate. Dadurch lässt sich die Fertigung nicht einfach per Knopfdruck erhöhen, um beispielsweise kurzfristige höhere Nachfragen abzudecken.
Pressesprecher Oliver Bayer von der AOK Ostwürttemberg stellt dazu fest: „Auf die Auslieferungszeitpunkte und die Verteilung haben wir als AOK Badenwürttemberg keinerlei Einfluss. Die Impfdosen werden nach und nach ausgegeben, es kann deshalb temporär zu lokalen Engpässen kommen.“
Sechs Millionen Impfdosen mehr
Doris Berve-schucht vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) teilt mit: „Damit in der diesjährigen Influenza-saison ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, hat das BMG zusätzlich zur Regelversorgung sechs Millionen Dosen Influenzaimpfstoff für die Versorgung in Deutschland beschafft, sodass insgesamt 26 Millionen Dosen Impfstoff für die Saison 2020/21 verfügbar sind. Das sind rund sechs Millionen Impfdosen mehr als im Vorjahr. In der vergangenen Grippesaison wurden allerdings nur 14 Millionen Dosen verimpft.“