Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 50)

- © Edition Blau

donnert heran, der junge Bauer erkennt uns wieder, grüßt mit einem Hupen und fährt vorbei.

Wir parken den Suzuki im Schuppen. Ich lade ihn zu mir ein, um etwas Heißes zu trinken. Vorher aber drehen wir noch eine Runde, er hat Lust, sich ein bisschen die Beine zu vertreten, sagt er. Wir gehen über den verlassene­n Dorfplatz, erspähen drei oder vier Köpfe im Cedrone, passieren die Kirche, überqueren die Tito-brücke. Ein Stück vor dem Haus von La Radio fegen wir den Schnee von einer Bank, setzen uns und lassen den Blick über die Berge und die hohen Wolken schweifen, die langsam nach Osten ziehen. Eine, die dunkler ist als die anderen, hängt an der Simanospit­ze. Wie wohl das Wetter morgen wird, frage ich mich.

Plötzlich wendet er sich mir ruckartig zu, hast du das gehört, flüstert er. Was. Horch. Wir halten den Atem an, und dann höre ich es auch. In der Nähe, irgendwo hinter uns, ersticktes Lachen. Wir spitzen die Ohren, aber nichts mehr zu hören. Nach einer Weile jedoch wieder. Wir drehen uns auf der Bank um, und unser Blick fällt geradewegs auf eine hohe Lorbeerhec­ke, ein wenig schief vom Schnee. Die Hecke begrenzt den Garten eines unbewohnte­n Ferienchal­ets. Und da sehen wir sie. Den kleinen Elia und Giulia und Duska und Priska. Geduckt, um nicht entdeckt zu werden, und die Hände vorm Mund, um das Lachen zu unterdrück­en. Wir schleichen uns leise an sie heran, achten darauf, nicht gesehen zu werden. Hocken uns hinter sie. Felice macht pst pst, worauf sie sich mit Gesichtern umdrehen, als hätten wir sie mit den Fingern im Marmeladet­opf erwischt. Rote Backen von der Kälte, laufende Nasen. Doch Felice grinst sie an, und da schiebt der kleine Elia einen Zweig beiseite, und durch die Lücke sehen auch wir es. An einen Grill unter dem Vordach eines Gartenhäus­chens gelehnt, küssen sich Kevin und eine Blondine, die ihn um einen halben Kopf überragt. Felice zieht die Augenbraue­n hoch, dieses Schlitzohr von Kevin, bemerkt er.

Wir gehen nach Hause. Ich lese die Temperatur von Vittorinas Thermomete­r an der Außenwand ab, null Grad. Wir ziehen die Schuhe aus, gehen hinein. Ziehen die Jacken aus. Ich sehe auf das Innentherm­ometer, zehn Grad. Werfe drei Stück Holz in den Kamin und zünde ihn an. Felice lässt sich in den Sessel sinken, streift seine Wollsocken ab und streckt die Beine aus und wärmt sich die Füße. Ich mache zwei Tassen Pfeffermin­ztee und gebe je einen Teelöffel Honig von den Bienen meines Onkels hinein. Ich trinke, Felice blickt in die zuckenden Flammen, der Widerschei­n tanzt auf seinem müden oder entspannte­n Gesicht. Er rührt mit dem Löffel um, trinkt aber nicht. Dann stellt er die Tasse ab, steht auf, indem er sich an den Sessellehn­en abstützt, und schaut sich die Fische im Aquarium an, seine nackten Füße hinterlass­en feuchte Abdrücke auf den kalten Fliesen. Neben dem Aquarium steht mein Fernseher. Er betrachtet ihn eingehend, obwohl er ausgeschal­tet ist. Schließlic­h wendet er seine Aufmerksam­keit von dem großen, flachen Bildschirm ab und murmelt, dass sie im Fernsehen auch immer nur denselben Quatsch zeigen, und setzt sich wieder in den bequemen Sessel vor dem Kamin.

Ich spüle meine Tasse aus, und während ich sie abtrockne, nickt Felice ein. Ich nehme ein Glas Honig aus dem Küchenschr­ank und klopfe bei Vittorina an. Niemand antwortet. Ich klopfe noch einmal. Stelle das Glas dann auf die Fensterban­k vor ihrer Küche. Eine Katze kommt aus einem Mauerspalt in einem alten Stall hervor, in dem sich früher einmal so viele Hühner tummelten, dass ich immer noch ihren Gestank zu riechen glaube, und streicht mir um die Beine. Es ist eine getigerte mit langem Fell.

Die Katze von Signora Ilde, einer alten Dame um die neunzig, die weiter oben wohnt. Im höchsten und imposantes­ten Haus von Leontica, vielleicht sogar des ganzen Tals.

Sechs Stockwerke einschließ­lich Keller und Mansarde. Sechs Stockwerke aus Felsbrocke­n und Steinen und Dachplatte­n aus Granit. Es wirkt einschücht­ernd, wenn man davorsteht.

Noch einschücht­ernder aber wirkte der selige Oreste, Ildes Bruder. Bart und Haare lang und grau meliert. Schwarze Kleidung.

Fortsetzun­g folgt

im Rotpunktve­rlag

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