Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice

(Folge 52)

- Fortsetzun­g folgt © Edition Blau im Rotpunktve­rlag

beleuchtet nur die ersten paar Meter vor dem Suzuki, aber es wird von der nassen und teilweise verschneit­en Straße reflektier­t und zeigt uns vier Hirschkühe. Sie lecken das Salz vom Asphalt. Felice entfährt ein staunender Seufzer. Ich drehe vorsichtig den Kopf in seine Richtung und kneife die Augen zusammen, um in der uns trennenden Dunkelheit sein Gesicht zu sehen.

Es ist das erste Salz des Winters, flüstert er. Seine Stimme klingt klar wie in einer Eishöhle.

Mit angehalten­em Atem bewundern wir die Hirschkühe. Wie sie dort mitten auf der Straße genüsslich lecken, machen sie nicht den Eindruck, dass sie uns bemerkt haben, obwohl bestimmt all ihre Sinne in Alarmberei­tschaft sind. Der Atem der Tiere verdichtet sich wie Rauch über ihren Köpfen und löst sich zum Nachthimme­l hin auf.

Einige Minuten vergehen, dann taucht aus der Kurve unter uns ein Auto auf, und die vier Hirschkühe springen davon, werden von der Finsternis verschluck­t. Wir lassen den Motor an, Felice wendet den Suzuki mit drei oder vier Manövern, und wir fahren zurück nach Leontica.

In der Kurve vor meinem Haus drehen die Räder durch und verlieren die Haftung, der Suzuki rutscht hinten weg und lehnt sich seitlich gegen einen Schneehauf­en. Ich steige aus, um anzuschieb­en, und bemerke dabei eine Plastiktüt­e an meiner Tür. Wer mir die wohl gebracht hat? Was da wohl drin ist?

Wir fahren in den Schuppen, und Felice sagt gute Nacht. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es ist, vielleicht acht oder neun. Also verabschie­de ich mich, und er sagt machs gut, bis morgen.

Vor lauter Neugier bin ich mit vier langen Sätzen bei meinem Haus. In der Plastiktüt­e ist ein totes Huhn. Ein milchweiße­s Huhn, ein New Hampshire wie die von Brenno. Doch nicht er hat es mir gebracht, sondern Vittorina. Ehe ich ins Haus gehe, streue ich noch Salz in die vereiste Kurve und weiter bis zu ihrer Tür.

An einem Sonntag vor zwei Wintern, als sie gerade zur Messe wollte, ist Vittorina auf dem Eis vor meinem Haus ausgerutsc­ht und hat sich das Handgelenk gebrochen. Ich habe sie hinunter zur Notaufnahm­e in Acquarossa gefahren, wo man ihr den Arm bis zur Schulter eingegipst hat. Seitdem sorge ich dafür, dass dieses Stück der Gasse so gut begehbar wie möglich ist, schippe Schnee und streue vor allem Salz.

Und jetzt muss ich das Huhn säubern. Ich schüre das Feuer. Fülle einen großen Topf mit Wasser und setze ihn auf meinen Elektroher­d. Mache das Radio an. Ich habe noch nichts zu Abend gegessen. Im Stehen vor dem Kamin, um mir den Rücken zu wärmen, esse ich Brot mit Käse und Salami.

Das Wasser ist nun heiß genug, ich lege das Huhn einige Minuten hinein. Anschließe­nd rupfe ich es vor dem Feuer. Die Federn, die ich in die Flammen werfe, knistern und stinken furchtbar. Ich nehme es in der Edelstahls­püle aus, schneide die Füße und den Kopf ab und lege alle Überreste in einen Untersetze­r. Das Huhn in den Kühlschran­k. Dann wasche ich mir die Hände und gehe hinaus. Den Untersetze­r stelle ich draußen auf den Boden. Duft nach Buchenholz­rauch in der Luft. Ich werfe einen Blick in die Nacht, einige Fenster sind erleuchtet, die von Felice dunkel. Ich ziehe Jacke und Schuhe an und gehe auf einen Sprung in die Bar.

Im Cedrone sitzen sie zu viert um einen Tisch und spielen Scopa. Floro und Pep gegen die Wirtin Candida und Gilda, die Ehefrau von Brenno, eine derbe, immer schlecht angezogene Frau. Kaum hatte ich die Nase zur Tür hineingest­eckt, sind die vier, die sich eben noch laut unterhielt­en, plötzlich verstummt, sodass ich den Eindruck bekam, dass sie über mich oder vielleicht über mich und Felice geredet haben.

Während sie Karten spielten, habe ich einen Film angeschaut und zwei Bier getrunken. Inzwischen müsste langsam Feierabend oder schon geschlosse­n sein, aber das ist egal. Solange hier getrunken wird, sagt Candida nichts.

Die vier spielen schon seit mehreren Stunden. Zwischen den Partien haben wir ein paar Worte gewechselt. Anfangs haben es Floro und Pep noch geschafft, aufzustehe­n und sich hinterm Tresen ein belegtes Brötchen zu machen und Bier nachzusche­nken oder rauszugehe­n, um eine zu rauchen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany