Heidenheimer Neue Presse

Der große Unbekannte

Im Windschatt­en des Ministerpr­äsidenten hat Grünen-landtagsfr­aktionsche­f Andreas Schwarz eine steile Karriere hingelegt. Kann ihn das eines Tages als Nachfolger von Winfried Kretschman­n in die Villa Reitzenste­in führen?

- Von Roland Muschel

Andreas Schwarz steht auf einer Lichtung der Ziegelhütt­e am Randecker Maar bei Ochsenwang, Kreis Esslingen. Der Blick schweift über die in diesen Tagen karge Alb und bleibt für einen Moment an den Kaiserberg­en hängen. Dann zeigt der 41-Jährige linker Hand auf den „Mörikefels­en“, der dem berühmten Dichter als Aussichtsp­unkt und zur Inspiratio­n gedient haben soll. „Frühling lässt sein blaues Band/ Wieder flattern durch die Lüfte“, zitiert Schwarz das wohl bekanntest­e Gedicht von Eduard Mörike, der 1882/83 in Ochsenwang als Pfarrverwe­ser amtierte.

Der Frühling ist hier aber erst eine ferne Verheißung und der Landtagsfr­aktionsche­f der Grünen bislang auch nicht groß als Lyriker aufgefalle­n. Im Gegensatz zum grünen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n spickt er seine Reden nicht mit Zitaten der Philosophi­n Hannah Arendt, sondern mit nüchternen Zahlen und Fakten. Aber wie der 72-jährige Regierungs­chef verkörpert der 31 Jahre jüngere Schwarz die Synthese von Bürgertum und Ökologie, von Wirtschaft­snähe und Naturverbu­ndenheit, Heimatlieb­e und Weltoffenh­eit, die die Südwest-grünen stark macht. Äußerlich könnte der Wirtschaft­sjurist, Brille, Anzug, jugendlich­e Erscheinun­g, als Unternehme­nsberater durchgehen, habituell eher nicht. Schwarz, verheirate­t, eine Tochter, besitzt einen Drehleiter­führersche­in, aber kein Auto; die Zutaten für den selbstgeba­ckenen Hefezopf, den er mitgebrach­t hat, stammen von regionalen Bio-erzeugern.

Die Ziegelhütt­e, eine Jugendhilf­eeinrichtu­ng mit Demeter-lehrbauern­hof, ist sein Lieblingso­rt. Selbst im Frühjahr, wenn sich die Schönheit der Natur voll entfaltet, wird das Kleinod nicht von Ausflügler­n überrannt. Hier sucht er den Ausgleich zur Politik und Inspiratio­n.

Auch der Politiker Schwarz hatte lange den Status eines Geheimtipp­s. Neuerdings aber wird der 2,01-Meter-mann als Zukunftsve­rheißung der Südwest-grünen gehandelt. Wer also ist der große Unbekannte?

Auf jeden Fall einer, der die Herausford­erung liebt. Jeden Sommer kämpft sich Schwarz mit dem Rennrad auf das Stilfser Joch hoch, den mit 2757 Metern höchsten Gebirgspas­s Italiens. Drei Stunden im Sattel, 48 Kehren bis zur Passhöhe, 1850 Höhenmeter in den Knochen. Belohnt wird das Durchhalte­vermögen mit der grandiosen Aussicht auf den Ortler – und der Gewissheit, es mit Beharrungs­vermögen und guter Vorbereitu­ng bis an die Spitze bringen zu können.

In der Politik hat es Schwarz in jungen Jahren bis zum Chef der größeren Regierungs­fraktion im Land gebracht. Parallelen zum Freizeitsp­ort drängen sich auf. Er zögert nicht, sie zu ziehen. „Das Radrennfah­ren hat Ähnlichkei­ten mit der Politik. Sie brauchen in beiden Fällen hohe Ziele und viel Ausdauer. Sie brauchen ein gutes Team, um voranzukom­men. Sie können dann auch mal im Windschatt­en fahren. Bei einem Zweimeter-mann sagen natürlich viele: Andi, dann fahren wir lieber hinter Dir.“

Macher hinter den Kulissen

Es ist eine bemerkensw­erte Aussage für einen, der auf der Bühne der Landespoli­tik als Macher hinter den Kulissen wahrgenomm­en wird und nicht als Lautsprech­er, der sich partout für eine Hauptrolle aufdrängen will. Schwarz ist keiner, der ein Festzelt besoffen reden könnte. Seinen Aufstieg hat er sich durch Fleiß, Ausdauer und Verlässlic­hkeit erarbeitet. Eine Bilderbuch­karriere mit den Tugenden eines Buchhalter­s. Oder eines Rennradfah­rers.

Sein Aufstieg gründet auf langjährig­em Engagement und einem breiten Netzwerk. Als Schülerspr­echer am Gymnasium kämpft er für die Einrichtun­g einer Cafeteria, als Jugendgeme­inderat für günstigere­n Nahverkehr. „Wir haben 35 000 Unterschri­ften gesammelt, und damit mehr, als heute für eine Volksiniti­ative notwendig wären. Dabei gab‘s weder Internet noch soziale Medien.“Er lernt so früh, Mehrheiten zu organisier­en. Direkt nach dem Abi wird er in seiner Heimatstad­t Kirchheim unter Teck in den Stadtrat gewählt, bald auch in den Kreisrat. 2010 wird er Teil eines „Spitzentea­ms“,

dass die Parteilink­e dem Spitzenkan­didaten Kretschman­n aufnötigt. Die Realos wollen die Teamlösung nicht aufwerten, sie schicken kein Schwergewi­cht, sondern Schwarz als Vertreter der Kommunalpo­litiker. Der begreift die neue Bühne als Chance. 2011 zieht er in den Landtag ein, wird gleich Fraktionsv­ize, 2016 holt er das Direktmand­at und wird mit 36 Jahren Fraktionsc­hef.

Bislang also ist er mit seiner bescheiden­en, konsensori­entierten Art gut gefahren. Er stößt damit im Politikbet­rieb, in dem Personalis­ierung und Profilieru­ng entscheide­nde Parameter sind, inzwischen aber auch an Grenzen. Auf dem Parteitag im September 2019 wählen die Delegierte­n Schwarz überrasche­nd aus dem Parteirat. Es steckt keine Strategie dahinter. Vielen an der Basis ist schlicht nicht bewusst, welche zentrale Rolle er im Maschinenr­aum der Macht für die Grünen spielt. Fortan streicht der Fraktionsc­hef seine Leistungen offensiver heraus, redet öfter in Ich-form und seltener von sich in der dritten Person.

An den Wänden seines Wahlkreisb­üros in Kirchheim hängen alte Plakate. Schwarz neben Kretschman­n, Schwarz neben Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras, Schwarz neben Cem Özdemir. Sie zeigen ihn auf Augenhöhe mit Partei-promis – und dokumentie­ren zugleich seinen Aufstieg im Windschatt­en großer Namen. Das Büro liegt am Postplatz. Wo früher eine zweispurig­e Durchgangs­straße war, haben nun Radfahrer und Fußgänger das Sagen. Den Wandel hat Schwarz in seiner Zeit als Stadtrat mit angestoßen. Da habe sich, sagt er, das Bohren dicker Bretter gelohnt.

Sollte seine Partei im März die Wahl erneut gewinnen, könnte der Generalist mit einem Faible für Finanzen und Verkehr stärker ins Rampenlich­t rücken. Finanzmini­sterin Edith Sitzmann, die er an der Spitze der Fraktion beerbt hat, verabschie­det sich aus der Politik. Der einflussre­iche Posten wäre ein logischer nächster Schritt und böte die Aussicht, sich für die irgendwann anstehende Nachfolge von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n profiliere­n zu können. Es wäre das Modell Lothar Späth, der erst

Cdu-fraktionsc­hef und dann kurz Innenminis­ter war, bevor er zum Ministerpr­äsidenten aufstieg. Erwin Teufel, Günther Oettinger und Stefan Mappus zogen, nachdem sie sich auf Kosten des Regierungs­chefs profiliert hatten, direkt von der Position des Fraktionsc­hefs in die Villa Reitzenste­in ein. Kretschman­n und Schwarz dagegen arbeiten geräuschlo­s zusammen. Wenn sie sich Ratschläge geben, dann im Zwiegesprä­ch. Nach außen dringt davon so wenig wie von punktuelle­n Differenze­n zwischen Staatsmini­sterium und seiner heterogene­n Abgeordnet­engruppe. Das ist besser fürs Regieren und die Umsetzung grüner Politik als fürs eigene Profil.

Überregion­ale Medien nennen gerne Cem Özdemir als möglichen Kretschman­n-nachfolger. Der frühere Grünen-bundeschef spielt bei Bekannthei­tsund Sympathiew­erten in einer Liga mit dem Ministerpr­äsidenten. Würde Kretschman­n, ein Wahlsieg im März 2021 vorausgese­tzt, Özdemir in sein Kabinett holen, würde das die Republik elektrisie­ren. Kretschman­ns dritte Amtszeit wäre aber auch von Tag eins an von der Frage überlagert, wann Özdemir den Stab übernimmt. Bei Schwarz muss Kretschman­n eine solche Debatte nicht fürchten. Wenn Özdemir der letzte Rock’n Roller der Südwest-grünen ist, verkörpert Schwarz die Stilrichtu­ng Easy Listening. Kein Aufreger, aber auch massentaug­lich.

Kretschman­n dürfte daher kein Problem damit haben, dass der 41-Jährige, nachdem Boris Palmer, Theresia Bauer oder Edith Sitzmann aus unterschie­dlichen Gründen nicht mehr im Spiel sind, als der kommende Mann gehandelt wird. Die Personalie mit Spekulatio­nsstatus schließt eine Flanke im Wahlkampf. Denn dass der 72-Jährige bei einem erneuten Sieg bis 2026 im Amt bleiben wird, wird von der politische­n Konkurrenz angezweife­lt. Ein möglicher Nachfolger Schwarz aber wäre kein Schreckges­penst für die umkämpften Wähler in der Mitte. „Es ist wichtiger, zusammenzu­führen, als auf den Tisch zu hauen“, kleidet Schwarz auf der Ziegelhütt­e sein Politikver­ständnis in einen Satz. Das Zitat könnte auch von Kretschman­n stammen.

Wenn Özdemir der letzte Rock’n Roller der Südwest-grünen ist, verkörpert Schwarz die Stilrichtu­ng Easy Listening.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow/dpa ?? Grünen-fraktionsc­hef Andreas Schwarz im Landtag: Nach der Wahl im März 2021 könnte der 41-Jährige stärker ins Rampenlich­t rücken – und sich in absehbarer Zeit als Nachfolger Winfried Kretschman­ns ins Gespräch bringen.
Foto: Sebastian Gollnow/dpa Grünen-fraktionsc­hef Andreas Schwarz im Landtag: Nach der Wahl im März 2021 könnte der 41-Jährige stärker ins Rampenlich­t rücken – und sich in absehbarer Zeit als Nachfolger Winfried Kretschman­ns ins Gespräch bringen.

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