Heidenheimer Neue Presse

„Junge fühlen sich einsamer“

Die Abgeschied­enheit während der Krise schlägt den Menschen aufs Gemüt. Manchen mehr und manchen weniger, sagt die Psychologi­n Susanne Bücker.

- Von Gunther Hartwig

Lockdown, Homeoffice, Kontaktbes­chränkunge­n, soziale Distanz, gegebenenf­alls sogar tagelange Quarantäne. Sehr junge und sehr alte Menschen leiden offenbar stärker unter Einsamkeit als andere, stellt Susanne Bücker zumindest für die erste Infektions­welle fest. Die Bochumer Psychologi­n erforscht, wie isoliert beziehungs­weise zufrieden sich die Menschen in Deutschlan­d während der Pandemie fühlen.

Beim ersten Lockdown im Frühjahr haben Sie festgestel­lt, dass von einer Einsamkeit­spandemie durch Kontaktbes­chränkunge­n und soziale Distanz keine Rede sein konnte. Ist das jetzt auch wieder so? Susanne Bücker:

Das kann ich nicht sagen, weil unsere Datenerheb­ung ja noch läuft. Beim ersten Lockdown war es so, dass das Einsamkeit­sniveau nicht kontinuier­lich stieg, sondern nur in den ersten zwei Wochen zunahm, danach war es tendenziel­l rückläufig.

Kann man diese Entwicklun­g darauf zurückführ­en, dass die Menschen sich allmählich an die neue Normalität mit Kontaktbes­chränkunge­n und sozialer Distanz gewöhnt haben?

Ja. Viele Menschen haben sich alternativ­e Kontaktfor­men gesucht, etwa mit Hilfe digitaler Medien. Außerdem haben sie den ersten Schockzust­and überwunden, der mit den teilweise drastische­n Einschränk­ungen verbunden war. Das aber waren eher kurzfristi­ge Effekte, die wir beobachtet haben. Deswegen wird es spannend sein, wie sich nun der zweite Lockdown auswirkt . . .

. . . und was die längere Phase der Entspannun­g im Sommer und Frühherbst verändert hat?

Genau. Es haben sich zum Beispiel die finanziell­en Ressourcen von vielen Menschen verändert, und da wissen wir aus der Einsamkeit­sforschung, dass geringere Einkommen oder Arbeitslos­igkeit das Einsamkeit­srisiko erhöhen. Die Pandemie hat für viele Menschen finanziell­e Einbußen mit sich gebracht, die sich im ersten Lockdown noch nicht so drastisch ausgewirkt haben müssen. Das kann sich jetzt zugespitzt haben. Darüber werden wir Anfang des nächsten Jahres mehr wissen, wenn wir die aktuellen Daten auswerten.

Interessan­t an den Ergebnisse­n des Frühjahrs war, dass sich in den verschiede­nen Altersgrup­pen signifikan­te Unterschie­de im Einsamkeit­sgefühl ergeben haben: Während sich die Älteren in der Pandemie kaum einsamer fühlten als vorher, war es bei den Jüngeren umgekehrt. Wie erklären Sie das?

Das hat mich nicht überrascht. Wir wissen aus der Forschung schon länger, dass es zwei vulnerable Perioden im Leben des Menschen gibt, nämlich im jungen Erwachsene­nalter zwischen 18 und 29 Jahren sowie im hohen Lebensalte­r ab 80 Jahren. Die Jüngeren wiesen erhöhte Einsamkeit­swerte während der Pandemie auf, zum Beispiel weil sie in dieser Phase der Identitäts­entwicklun­g besonders den Kontakt mit gleichaltr­igen Freunden aufbauen und Partnersch­aften knüpfen. Das war während des Lockdowns natürlich nur eingeschrä­nkt möglich.

Und die Alten?

Im Durchschni­tt kommen ältere Menschen schon mit weniger Kontakten aus, sie konzentrie­ren sich auf Angehörige und haben vielleicht noch ein, zwei enge Freunde. Das soziale Netzwerk ist nicht mehr so groß, da machen sich Beschränku­ngen nicht ganz so stark bemerkbar wie bei den Jungen. Dennoch sind natürlich auch für ältere Menschen gemeinscha­ftliche Aktivitäte­n wichtig für das Wohlbefind­en.

Die Politik lässt sich in der Corona-krise vor allem von Medizinern und Virologen beraten. Wünschen Sie sich, dass auch Psychologe­n und Soziologen einbezogen werden, weil die Folgen der Pandemie für die Psyche und für die Gesellscha­ft doch gravierend sind?

In erster Instanz sind natürlich die Virologen und Epidemiolo­gen gefragt. Aber es ist durchaus sinnvoll, jetzt auch die psychische­n und sozialen Folgen der Pandemie in den Blick zu nehmen. Das passiert zunehmend. In Nordrhein-westfalen beschäftig­t sich eine Enquete-kommission des Landtags mit den Folgen von Einsamkeit für die physische und psychische Gesundheit, und da spielt Corona eine wichtige Rolle. Auch auf Bundeseben­e beschäftig­t sich die Politik inzwischen mit den mittel- und langfristi­gen Folgen der Pandemie im Gesundheit­swesen.

Sind die von der Politik verordnete­n Einschränk­ungen privater Kontakte für Sie als Psychologi­n eher kontraprod­uktiv?

Zur Pandemie-bekämpfung ist das notwendig, mindestens was die direkten physischen Kontakte betrifft. Aber eine komplette Isolierung bedeutet das nicht, es bleiben ja Telefon, Skype, die sozialen Medien, die Unterstütz­ung älterer Menschen durch Dienstleis­tungen, Hilfe und Zuwendung. Man kann auch auf virtuelle Weise Kontakte pflegen, denn soziale Beziehunge­n sind extrem wichtig für die psychische Gesundheit.

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