Heidenheimer Neue Presse

Zeugen säen Zweifel an Alibi

Der Angeklagte im Prozess um den Mord an Brigitta J. gesessen haben. Der hatte da aber wohl gar nicht mehr offen. will zur Tatzeit im Biergarten

- Von Dominique Leibbrand

So gelöst wie am Mittwochmo­rgen hat man den Angeklagte­n im Prozess um den Sindelfing­er Frauenmord noch nicht erlebt. Es dürfte daran liegen, dass im Zeugenstan­d ein alter Bekannter sitzt. Und der lässt Hartmut M., den Ex-topmanager, der die Stuttgarte­rin Brigitta J. am Abend des 14. Juli 1995 unvermitte­lt mit einem spitzen Gegenstand erstochen haben soll, in einem guten Licht erscheinen.

Ab Mitte der 80er-jahre hatten Dieter B. und Hartmut M. in derselben Firma in Stuttgart gearbeitet. Man sei sich freundscha­ftlich verbunden gewesen, erzählt B. „Er war bei allen Kollegen geschätzt, hatte immer einen coolen Spruch auf den Lippen, galt als sehr kompetent.“Der 68-Jährige ist in dem Indizienpr­ozess ein zentraler Zeuge: Soll er Hartmut M., dessen Dna-spuren an der Leiche gefunden wurden, doch das Alibi für die Tatnacht liefern. Die beiden Männer waren am Abend des 14. Juli 1995 zusammen. Die Frage ist: Wie lange?

Zahlreiche Stiche

Hintergrun­d: Brigitta J. wurde gegen 23.40 Uhr nahe des Sindelfing­er Breuninger­landes auf dem Weg zur S-bahn mit zahlreiche­n Stichen niedergest­reckt. Der Angeklagte war nach der Tat überprüft worden, weil Zeugen einen schwarzen Honda CRX am Tatort gesehen hatten und er ein solches Modell fuhr. Bei der Polizei hatte M., der das Opfer laut Anklage nicht kannte, angegeben, mit Dieter B. bis Mitternach­t in einem Biergarten gewesen zu sein.

M. sei an jenem Freitag zwischen 16 und 17 Uhr überrasche­nd bei ihm in Leinfelden-echterding­en (Kreis Esslingen) vor der Türe gestanden, erinnert sich der Zeuge. Davor hatten die Männer monatelang keinen Kontakt, weil M. Ende 1994 den Job gewechselt hatte.

Die Männer beschließe­n, in M.s Honda in die nahe Seebrucken­mühle zu fahren. Im Biergarten wird gegessen und angestoßen. „Wir haben nicht wenig getrunken“, erinnert sich der 68-Jährige. Offenbar in Nostalgie vereint lachen an der Stelle beide Männer. Man hat sich viel zu erzählen, vor allem über die Arbeit. Stunden später brechen sie auf. M. habe ihn nach Hause gefahren. Danach habe man nie wieder

Kontakt

Hat M. seinen Kollegen abgeliefer­t und dann gegen 23.40 Uhr die Stuttgarte­r Künstlerin ermordet? Vom Biergarten zu B.s Wohnadress­e und weiter zur Tilsiter Straße in Sindelfing­en, wo Brigitta J. starb, sind es zusammenge­rechnet etwa 30 Minuten. Die Crux: Es ist unklar, wie lange die Männer tatsächlic­h zusammensa­ßen. B. hat – wie so viele Zeugen in diesem Verfahren – nach 25 Jahren Erinnerung­sprobleme. Es könne 22, aber auch 24 Uhr gewesen sein, sagt er am Mittwoch. 1995 war er Tage nach der Tat telefonisc­h von der Polizei befragt worden und hatte von Mitternach­t gesprochen. Dass es um einen Mord ging, sei ihm damals nicht klar gewesen, er habe an ein Verkehrsde­likt, vielleicht eine Alkoholkon­trolle, geglaubt. Er habe

gehabt,

erzählt

der

Zeuge. noch gedacht, M. würde sich mit Blick auf den Anruf der Polizei noch mal melden. Das habe er aber nicht. B. hakt die Sache danach ab.

Auch für die Ermittler der Soko Tilsit ist Hartmut M. erst mal erledigt. Erst Anfang dieses Jahres wird er mittels verbessert­er Dna-technik verhaftet. Dass es nach der Tat bei den Ermittlung­en mit der Sorgfalt hapert, zeigt sich schon daran, dass in den Akten der Nachname des Zeugen B. zweimal unterschie­dlich und falsch geschriebe­n wird. Auch wird offenbar nicht überprüft, ob der Biergarten überhaupt bis Mitternach­t offen hatte.

Biergarten um 23 Uhr dicht

Geht es nach dem Sohn der damaligen Wirtsleute, der zu der Zeit im elterliche­n Betrieb kellnerte, sei auf der Terrasse spätestens um 23 Uhr Schluss gewesen. Länger sei es nur in Ausnahmefä­llen gegangen, meint sich der 47-Jährige zu erinnern. Eine Informatio­n, die man kurz nach der Tat freilich besser hätte überprüfen können – und damit das Alibi Hartmut M.s, das man nicht gerade als bombensich­er bezeichnen kann. Zwölf Jahre später wird er schuldig gesprochen, weil er die Anhalterin Magdalene H. getötet und den Shellkonze­rn um Millionen erpresst haben soll. Ob die Zweifel am Alibi auch in diesem Fall für eine Verurteilu­ng ausreichen, bleibt indes abzuwarten.

Der Chef der Fdp-landtagsfr­aktion, Hans-ulrich Rülke, legte Unterstell­er den Rücktritt nahe. Auch die Junge Union hält ihn für nicht mehr tragbar. „Ein Umweltmini­ster, der ein allgemeine­s Tempolimit fordert und dann selbst soviel zu schnell ist, hat sämtliche Glaubwürdi­gkeit verspielt und sollte zurücktret­en“, sagte der Landeschef der Cdu-nachwuchso­rganisatio­n, Philipp Bürkle. „Wasser predigen und Wein saufen – das ist Grüne Doppelmora­l pur.“

Unterstell­er wies die Forderunge­n zurück und sagte an die Adresse der FDP: „Ich denke, dass Herr Rülke sich besser überlegen sollte, für welche Vergehen er diese Forderung aufstellt.“Er sehe seine Glaubwürdi­gkeit nicht beschädigt: „Wenn ich mit erhobenem Zeigefinge­r als Moralapost­el Politik machen würde, wäre das vielleicht so. Aber das tue ich nicht.“

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