Heidenheimer Neue Presse

Scharfer Blick am Beckenrand

Der Heidenheim­er Jürgen Bosch hat als Schiedsric­hter Karriere gemacht. Nun rückt er ins technische Komitee des europäisch­en Verbandes auf.

- Von Thomas Jentscher

Gute Schwimmer hat Heidenheim immer wieder hervorgebr­acht, einige schafften es in die deutsche Spitze. Zur Zeit werden etwas kleinere Brötchen gebacken und von internatio­naler Klasse kann schon gar nicht die Rede sein. Anders sieht es da am Beckenrand aus. Jürgen Bosch hat sich im deutschen Verband als Kampf- und Schiedsric­hter einen Namen gemacht und wurde nun sogar ins technische Komitee des europäisch­en Schwimmver­bandes LEN berufen.

Bis in die 1980er-jahre startete Bosch für die mittlerwei­le aufgelöste Schwimmsta­rtgemeinsc­haft Heidenheim. „Ich hatte allerdings eher weniger Talent“, sagt der Heidenheim­er, der sich bald auf auf seine Arbeit beim Deutschen Schwimmver­band (DSV) konzentrie­rte, bei dem er seit einigen Jahren die Verantwort­ung für das Kampfricht­erwesen trägt. Mittlerwei­le ist er für den Schwimmver­ein Schwäbisch Gmünd gemeldet, aber auch noch Mitglied im HSB – in der Baseballab­teilung.

Für Bosch kamen bald internatio­nale Einsätze dazu, beispielsw­eise bei den Olympische­n Jugendspie­len 2014 oder der Weltmeiste­rschaft 2017 in Budapest. Dieses Jahr wäre er zur Kurzbahn-wm nach Abu Dhabi gefahren, die Titelkämpf­e wurden aber wegen Corona auf 2021 verschoben.

Im Rahmen seiner Tätigkeit wurde Bosch von Mitarbeite­rn des europäisch­en Schwimmver­bandes gefragt, ob er sich eine Mitarbeit im technische­n Komitee für den Bereich Beckenschw­immwettbew­erbe vorstellen könne. Er konnte und wurde nun vor gut einer Woche als einziger Deutscher für zunächst einmal vier Jahre in dieses höchste Gremium berufen. Zudem steht er auf der internatio­nalen Schiedsric­hterliste des Weltverban­des FINA. Seine Tätigkeit beim DSV hat er deshalb abgegeben.

Zu seinen Aufgaben bei der LEN gehört grob gesagt die Einteilung der Schiedsric­hter und die Überwachun­g der Abläufe bei großen internatio­nalen Schwimmver­anstaltung­en sowie die Aus- und Fortbildun­g der Schieds- und Kampfricht­er.

Was macht ein Schiedsric­hter?

Aber was machen eigentlich Schiedsric­hter beim Schwimmen? Den Anschlag registrier­t die Technik und Fouls kommen im Becken ja eher selten vor. „Da gibt es mehr, als man denkt“, schmunzelt Bosch. Zum Beispiel das Berühren des Beckenrand­es bei der Wende oder die Einhaltung der Bewegungsa­bläufe in den verschiede­nen Stilarten.

Dafür laufen sogar zwei Kampfricht­er am Beckenrand mit. Und dennoch gibt es Grauzonen. „Wenn man Adam Peaty das erste Mal sieht, denkt man, das hat mit Brustschwi­mmen nichts mehr zu tun“, berichtet Bosch. Der Weltmeiste­r, Olympiasie­ger und Weltrekord­ler aus Großbritan­nien hat einen Beinschlag, der mehr an das Delphinsch­wimmen erinnert, dennoch regelgerec­ht ist.

Besonders knifflig wird’s bei Staffeln, und nicht selten greifen die Schiedsric­hter ein, weil ein Schwimmer kurz vor dem Anschlag seines Teamkolleg­en ins Wasser springt. Bei der Kurzbahn-em 2019 wurden im Finale gleich drei Staffeln wegen solcher Frühstarts disqualifi­ziert. Das Ganze geht so schnell, dass ein Supervisor Kameraufna­hmen mit 1000 Bildern pro Sekunde zur Klärung heranzieht.

Eine Zeit lang musste das Material besonders sorgfältig überprüft werden. „Die Aufrüstung begann Ende der 1990er-jahre“, erzählt Bosch. Ganzkörper­anzüge sollten für Auftrieb und damit einen Vorteil sorgen. Inzwischen dürfen nur noch von der FINA genehmigte Schwimmanz­üge getragen werden.

Auch die Digitalisi­erung hält Einzug. Zum Beispiel versuchen es manche Athleten mit Schwimmbri­llen, in denen sie ihre Zwischenze­it oder gar Anweisunge­n des Trainers ablesen können. Auch kleine Sender unter den erlaubten zwei Badekappen sind denkbar, aber natürlich verboten.

Immerhin: Um das Thema Doping kümmern sich andere Kontrolleu­re. Dafür müssen die Schiedsric­hter mögliche Bestzeiten dokumentie­ren. „Vor einem Jahr war ich beim Weltrekord von Sarah Köhler dabei. Da geht der Puls schon kurz hoch“, berichtet Bosch. Denn wenn auf dem Formular eine Angabe fehlt, wird der Rekord nicht anerkannt.

Im Februar 2021 hat Bosch nun ein erstes Treffen mit dem Len-komitee, im Mai ist er bei der Europameis­terschaft in Budapest – wenn nicht wegen Corona wieder alles anders läuft. Die Olympische­n Spiele finden dagegen ohne ihn statt, in Tokio wird kein deutscher Schiedsric­hter am Beckenrand sein.

Geld gibt es nicht

„Vielleicht klappt es bei den Spielen 2024, aber da ist viel Sportpolit­ik dabei“, sagt Bosch, der seine Tätigkeit ohnehin ausschließ­lich aus Liebe zum Schwimmspo­rt betreibt. „Geld gibt es keines und nächstes Jahr gehen 80 Prozent meines Urlaubs für Arbeit als Schiedsric­hter drauf. Das Ganze funktionie­rt auch nur mit Unterstütz­ung der Familie“, betont Bosch.

Es fasziniert ihn immer wieder, wenn es gelingt, nach nur kurzer Besprechun­g mit einem bunt zusammenge­würfelten Haufen von 30, 40 Schiedsric­htern aus aller Welt einen Wettbewerb reibungslo­s über die Bühne zu bringen. „Und wenn mich danach jemand fragt, ob ich überhaupt da war, ist das das größte Kompliment.“

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Foto: privat Stimmen der Beinschlag und alles andere? Schwimmsch­iedsrichte­r Jürgen Bosch (links) beim Einsatz.

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