Heidenheimer Neue Presse

Über Rechte schreiben

Die Literatur ist eine Art Seismograp­h gesellscha­ftlicher Ereignisse. Einige Romane thematisie­ren derzeit AFD, Pegida und Co.

- Von Beatrice Faßbender und Ulrich Rüdenauer

Literatur ist ein langsames, manche würden sagen: behäbiges Medium. Bis gesellscha­ftliche Umbrüche oder historisch­e Großereign­isse eine literarisc­he Form finden, kann es Jahre dauern, zuweilen Jahrzehnte. Pointierte Analysen sollte man von ihr schon gar nicht erwarten. Und doch: Literatur funktionie­rt wie ein Seismograp­h. Grummelt da etwas unter der Oberfläche, dann ist es meist auch in zeitgenöss­ischen Texten zu spüren. Kein Wunder also, dass in vielen aktuellen Romanen das Erstarken der politische­n Rechten und des Rechtsextr­emismus eine Rolle spielt. „Ich glaube“, sagt der junge Autor Cihan Acar, „es ist grundsätzl­ich ganz einfach so: Wer über das Deutschlan­d der Gegenwart literarisc­h schreiben möchte, kommt eigentlich in diesen Zeiten, in diesen Jahren nicht um dieses Thema herum.“

Cihan Acars Roman „Hawaii“ist eines der Bücher, das sich dezidiert mit dem Thema befasst. Ein starkes Debüt, das nicht nur von einem jungen, türkischst­ämmigen Mann in Heilbronn erzählt,

Ich nehme eine Art Resignatio­n wahr in unserer migrantisc­hen Community.

Cihan Acar

Autor

den das Leben aus der Bahn geworfen hat. Sondern auch von einer zusehends gewalttäti­ger werdenden Stimmung in der Bevölkerun­g: „Heimat“ist das Schlagwort, unter dem gegen Migranten gehetzt wird. Die lassen sich das nicht gefallen und organisier­en sich. In der Realität sieht das freilich ein bisschen anders aus. „Ich nehme auch immer mehr so eine Art Resignatio­n wahr innerhalb unserer migrantisc­hen Community“, konstatier­t Acar, „und mir selbst geht es auch so.“

Literatur kann dem Unverstand­enen und Bedrohlich­en mit Geschichte­n begegnen. Ob Moritz von Uslar in seinem Reportage-roman „Nochmal Deutschbod­en“über Wochen hinweg eine Gruppe junger Männer begleitet, für die der Faschismus fast zu einer Art Folklore geworden ist. Oder der Stuttgarte­r Krimi-autor Wolfgang Schorlau sich mit den Widersprüc­hen innerhalb der Sicherheit­sbehörden auseinande­rsetzt, die bei der Aufarbeitu­ng der Nsu-verbrechen ans Tageslicht gekommen sind. Ob in Dorfromane­n von Jens Wonneberge­r oder Kathrin Gerlof die diffuse Angst vor dem und den Fremden mit einer Verlusterf­ahrung korrespond­iert, die das Ende der DDR mit sich brachte.

Oder ob Ingo Schulze in seinem Roman „Die rechtschaf­fenen Mörder“auf kunstvoll verschlung­ene Weise und mit doppeltem Boden von einem Buchmensch­en erzählt, der nach der Wende sein Geschäft und seine Bedeutung verliert und irgendwann Pegida-parolen übernimmt.

Um Ambivalenz­en geht es auch der jungen Theater- und Prosaautor­in Amanda Lasker-berlin, die in Ludwigsbur­g lebt. Sie wirft, und das ist durchaus eine Ausnahme unter den Neuerschei­nungen, in ihrem Roman „Elijas Lied“einen Blick auf Frauen in einer prominente­n rechten Bewegung, den „Identitäre­n“: Frauen werden hier meist als Anhängsel einer männlich geprägten rechten Kultur gesehen, die eine eindeutige Rollenvert­eilung vorsieht: starke Männer, schöne, fügsame Frauen.

Menschenve­rachtende Haltung

Wie können sich Frauen für eine Ideologie einsetzen, die ihre eigenen Rechte schwächen will? „Ich glaube“, so Lasker-berlin, „dass aus diesen absurden inhaltlich­en Brüchen auch nur ein sehr zerrissene­s Selbstbild entstehen kann. Wie soll man sich dann verhalten, was soll man denn über sich selber denken?“Amanda Lasker-berlin zeichnet diese Zerrissenh­eit anhand ihrer Romanfigur Loth nach. Deutlich wird ihre menschenve­rachtende Haltung, aber auch die Verstörung, die in ihr am Werk ist. Trotz aller im Inneren wütenden Konflikte spricht Lasker-berlin sie nicht frei.

Verstörend ist vielleicht das geeignete Stichwort für die Erlebnisse, die Manja Präkels in ihrem preisgekrö­nten Roman „Als ich mit Hitler Schnapskir­schen aß“schildert. 1992, mit 15 Jahren, war sie nachts mit Freunden unterwegs, tanzen. „Es gab damals“, erinnert sich Manja Präkels, „einen dieser typischen Überfälle auf Diskotheke­n durch so Nazibanden, also Neo-nazibanden. Und ein Bekannter von mir hat diese Nacht nicht überlebt.“Die Ich-erzählerin Mimi wächst zwischen den Fronten auf: Jugendlich­e im Osten, die nach der Wiedervere­inigung

entweder nach extrem rechts oder nach links abdriften: „Zecke“oder „Glatze“, dazwischen gibt es nichts.

Was die damalige Geschichte eines rechtsradi­kalen Mordes an einem jungen Punk mit der Gegenwart zu tun hat? Offensicht­lich haben sich in der Zwischenze­it die rechten Strukturen verfestigt und verstetigt. Die Zahl rechter Übergriffe hat in den letzten Jahren beängstige­nd zugenommen. Hinzu kommt, dass die Protagonis­ten von damals ja heute wieder am Start sind“, sagt Präkels. „Leute in meinem Alter, die maßgeblich bei Pegida mitbestimm­ten und maßgeblich die AFD mitbestimm­en.“

Manja Präkels’ Roman stiftet ebenso wie viele andere zum Gespräch an. Ob literarisc­he Reportage, autobiogra­phisch gefärbte Prosa, düstere Dystopie oder reizvolle Fiktion: Es gibt etliche Annäherung­en an das gefühlte zeitgenöss­ische Unbehagen. Erklärunge­n können sie kaum bieten, doch geht es dieser Literatur ums Verstehenw­ollen. Manja Präkels fasst es so: „Es braucht Worte und Begrifflic­hkeiten. Man kann die Individuen stärken in ihren Träumen und in ihren Ängsten ernst nehmen – das kann alles Literatur, die kann einen abholen!“

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Foto: picture alliance/dpa Kundgebung der rechtspopu­listischen Anti-islam-bewegung Pegida in Dresden.

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