Hollywood in Heidenheim
Als Siggi Schwarz sündteure Boutiqueverstärker verkaufte
Wir schreiben das Jahr 1973. In den Straßen von Ulm schleppt sich ein 15-Jähriger mit einem über 40 Kilo schweren Kasten ab. Darauf steht „Marshall“. Und drin sind vier Zwölfzoll-lautsprecher. Der Kasten ist dem Jüngling so heilig, dass er ihn vom Musikhaus Reisser hinterm Münster bis in den auf ihn im Bahnhof wartenden Zug nach Heidenheim im Wortsinn auf Händen trägt.
Wir haben den Jüngling erkannt. Es ist Siggi Schwarz, der sein erstes Half Stack von Marshall gekauft hat. 800 Mark hat er für die Lautsprecherbox bezahlt, die wir ihn gerade noch durch Ulm schleppen sahen. Nie im Leben hätte er zum Transport die mitgelieferten Rollen benutzt. „Ich wollte alles in nagelneuem Zustand zu Hause haben.“Das 1400 Mark teure Top-teil, den Verstärker, hatte er bereits am Tag zuvor auf demselben Weg transportiert: vom Münster zum Bahnhof. In Heidenheim hatte ihn dann der Vater am Bahnsteig erwartet und die letzten Meter mit dem Auto chauffiert. „Er hätte mich auch nach Ulm gefahren, aber das wäre erst samstags möglich gewesen. So lange aber wollte ich nicht warten, als mittwochs der Anruf gekommen war, dass der Marshall abholbereit wäre. Also bin ich noch am selben Tag und am Tag darauf allein auf Tour gegangen.“
Kleine Verstärker-kunde
Das Stichwort Verstärker wäre somit also gefallen. Und nachdem in den beiden vorangegangenen Teilen unserer kleinen Serie die Rede von Siggi Schwarz als Musikalienhändler ganz allgemein und als Händler von teuren und sogar sündteuren Gitarren ganz speziell die Rede war, so soll heute davon erzählt werden, wie Heidenheim zur Drehscheibe des weltweiten Handels mit den namhaftesten und teuersten Gitarren-verstärkern werden konnte.
Der Amerikaner Leo Fender, dessen Name für Gitarren wie die Stratocaster, die Telecaster oder für den Jazz-bass steht, entwickelte in den Jahren 1946 bis 1948 den ersten Röhrenverstärker, Bassman gerufen, der sogar für E-gitarren und E-bässe gleich tauglich war und in den 50er-jahren als Nonplusultra galt. Der Unterschied, so viel sollte an dieser Stelle gesagt werden, zwischen einem Röhrenverstärker und einem Transistorverstärker besteht, sehr vereinfacht formuliert, darin, dass Letzterer ein lineares Ausgangssignal abgibt, während das Röhrengerät mit einem nichtlinearen und damit verzerrten Ausgangssignal arbeitet.
Auf Leo folgt Jim
Den nächsten wichtigen evolutionären Schritt tat dann 1962 der Engländer Jim Marshall mit seinem Bluesbreaker, einer Modifikation des Bassman, die mit einer dem eigentlichen, für die reine Kraft zuständigen Verstärker vorgeschalteten Vorstufe aufwartete, mit der nun Einfluss auf den Klang genommen werden konnte. Die Modifikation des Bluesbreakers wiederum stellte 1975 dann der wenig später von Carlos Santana für sich und die übrige Welt entdeckte amerikanische Mesa Boogie dar. Der hatte eine zweite Vorstufe und lieferte noch viel mehr von der von Blues-rockern und Rockern innigst geliebten Verzerrung, die man einst nur dadurch hatte erreichen können, dass man die Verstärker bis zur Grenze der Belastbarkeit aufdrehte.
So viel und am Rande zur Technik. Und nun zu Siggi Schwarz. Vox, Orange, Fender, Marshall, Mesa Boogie und, immerhin schon am Horizont, Peavey hießen die Verstärker-marken, als der junge Heidenheimer ins Geschäft einstieg. Er besorgte sich, was in der vorangegangenen Folge unserer Serie schon angeklungen war, als Erster in Deutschland überhaupt eine Ladung
Mesa Boogies in den USA. Und er handelte, noch aus seinem Kinderzimmer heraus, mit Marshall-verstärkern, wo sich, nur zum Beispiel, etwa die Betreiber der Keimzelle der späteren Metal-band „Stormwitch“, deren musikalische Hausgötter damals noch die Mannen von „Status Quo“waren, mit ihrer ersten Grundausstattung versorgten.
Boutique-ware
Das waren die Anfänge. Und weiter ging’s in den verschiedenen Musikgeschäften, die Siggi Schwarz, vom achtzehnten Lebensjahr an dann mit einem Gewerbeschein ausgestattet, in Heidenheim betrieb. Wobei es so richtig rund mit den Verstärkern ab 1990 in seinem da schon weltweit renommierten Gitarrenladen in Aufhausen ging. Das Zauberwort, das in der Szene damals bereits jedem auf der Zunge zerging, lautete, auf Englisch wird der Verstärker Amplifier genannt, Boutique-amp.
Denn auf die Verstärker-tüftler wie Leo Fender oder Jim Marshall, dem zu Hause in Milton Keynes zu begegnen Schwarz einmal das Vergnügen hatte, waren die Verstärker-designer gefolgt, die wiederum, Tricks der Altvorderen anwendend, deren Geräte modifizierten und so zu immer neuen Klangbildern kamen. Zudem wurde in den kleinen Manufakturen der Designer so gearbeitet wie einst in den Werkstätten der längst zu Massenproduzenten gewordenen Erfinder der ersten Verstärkerstunden: per Hand und mit dem Lötkolben. „Das kann man tatsächlich hören“, versichert Schwarz. „Denn durch eine Platine kommt weniger Sound durch.“
Ein Ulmer in L.A.
Weil immer mehr Anbieter handwerklich und klanglich interessanter Verstärker aufkamen, handelte Schwarz. „Ich habe sie mir alle nach und nach eingekauft.“Das sprach sich herum. Und so kamen die Anbieter auch auf Schwarz zu. Zum Beispiel Reinhold Bogner, ein Ulmer, den der Musiker Schwarz 1987 kennengelernt hatte, weil er Marshalls modifizierte. „Ich habe seine ganzen Prototypen gespielt.“1989 ging Bogner nach Los Angeles und wurde nicht nur Service-mann von Eddie van Halen, sondern zu einer schillernden Figur in der Szene, die bald in Hollywood in einer eigenen Firma ihre Verstärker baute. Was den exklusiven Europa-vertrieb der Amps anbelangte, dachte man in Hollywood sofort an Heidenheim und machte Reinhold Bogner seinen alten Kumpel Siggi Schwarz verantwortlich.
Inklusive Bogner bot dieser in seinem Geschäft irgendwann dreißig verschiedenen Marken in Sachen Boutique-amps an. Darunter die sagenumwobenen Geräte mit den Namen Dumble Overdrive, deren Schöpfer, Howard Dumble, so heißt es, in 30 Jahren nur ganze 200 Stück baute, von denen durch Schwarz’ Hand insgesamt zwölf gingen und von denen er einmal auf einen Schlag vier verkaufte. Damals so um die 25 000 Mark wert, muss man heute, wenn überhaupt einer auf dem Markt ist, bis zu 250 000 Euro hinblättern. Oder die Verstärker der Marke Wizard aus der kanadischen Edelschmiede von Rick St. Pierre, dem Cheftechniker von „AC/DC“. Der versorgte die Band dann selbstverständlich auch mit seinen Verstärkern, die – was für ein Segen für Gitarristen wie die Brüder Young und deren Sound – über keine Vorstufen, sondern lediglich über Endstufen, also pure Gewalt verfügten.
Aus Mailand zum Röhrentausch
Nicht nur für die Gitarrenkundschaft, auch für die an Verstärkern interessierten Gitarristen avancierte Siggi Schwarz’ Laden in Aufhausen zu einer der feinsten Adressen weltweit. Und wer hier gekauft hatte, der wurde auch, was den Service anbelangt, wieder vorstellig. Darum kümmerte sich fast zwanzig Jahre Armin Löser. „Wir hatten Bauteile im Wert von 30 000 Mark vorrätig. Und allein zum Röhrenwechsel sind die Leute mit ihren Verstärkern im Auto aus Berlin, aus Mailand, aus ganz Europa zu uns gekommen.“
Bis 2008. Siggi Schwarz schloss sein Geschäft und wurde wieder Musiker. Veranstalter auch. Und demnächst – womit an dieser Stelle die Gegenwart von der Vergangenheit eingeholt wird und als Zukunft winkt–, Verstärker-designer. Denn Schwarz hat dieser Tage zusammen mit Eddy Lenz und Michael Kast die Firma „Lenz Amplification“gegründet, die in Deutschland handgefertigte High-end-röhrenverstärker bauen wird. Den erst 20-jährigen Lenz, der, ganz im Stile alter Meister, aber auf komplett andere Art, alte Marshall-verstärker modifiziert, hatte Schwarz erst kürzlich im Zuge der Aufnahmen zu seiner neuen CD kennengelernt. Michael Kast hingegen, der ursprünglich aus Ulm stammt und heute in Malaysia wohnt, kennt er schon lange: als früheren Verkaufsdirektor von in Hollywood hergestellten Bogner-verstärkern.
Schwarz’ ehemaliges Ladengeschäft in Aufhausen, von wo aus Gitarren und Verstärker in alle Welt gingen, wird zum Test-center und Show Room der neuen Firma werden. So wird sich hier irgendwie wieder ein Kreis schließen. „Aber nur“, sagt Siggi Schwarz, „wenn er auch immer ein wenig geöffnet bleibt. Für Visionen.“