Heidenheimer Neue Presse

Noch kein Drama

- Leitartike­l Dieter Keller zur Einkommens­ungleichhe­it in Corona-zeiten

Ein schwierige­s Jahr für Arbeitnehm­er wie für Unternehme­n geht zu Ende, und ähnlich problemati­sch geht es 2021 weiter. Viele sorgen sich um den Arbeitspla­tz und die Zukunft ihres Betriebs, sind in Kurzarbeit oder haben gar ihren Arbeitspla­tz verloren. Die Sorge wächst, dass sich durch Corona die Einkommens­unterschie­de in Deutschlan­d verstärken. Das ist verständli­ch, aber so pauschal nicht begründet. Zumindest derzeit nicht.

Die gewerkscha­ftsnahe Hans-böckler-stiftung kam schon vor einigen Wochen zum Ergebnis, dass bisher Geringverd­iener fast doppelt so häufig von Einbußen betroffen waren wie Menschen mit hohen Einkommen, und sie haben auch relativ gesehen am meisten verloren. Stimmt, analysiert­e jetzt das unternehme­nsnahe Institut der deutschen Wirtschaft. Allerdings nur ohne die vielen Anti-krisen-maßnahmen wie Kurzarbeit­ergeld und Kinderbonu­s sowie sozialpoli­tische Veränderun­gen wie höhere Grundsiche­rung oder bessere Leistungen bei Wohngeld und Kinderzusc­hlag. Unterm Strich habe sich die Ungleichhe­it nicht erhöht. Dies bestätigte das Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung, das zur Bundesagen­tur für Arbeit gehört und daher nicht im Verdacht steht, einseitig eine Meinung zu vertreten. Unterm Strich bleiben die verfügbare­n Einkommen praktisch gleich.

Solche Aussagen sind zwangsläuf­ig schwierig, weil es beim Einzelnen ganz anders aussehen kann. Trotzdem sollte mehr anerkannt werden, welch große Hilfen es in den letzten Monaten gab. Nicht alles stammte aus Steuermitt­eln. So wurden für das Kurzarbeit­ergeld, das viele Stellen sicherte, in guten Jahren von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn Milliarden-rücklagen gebildet. Nur soweit das nicht reicht, muss der Bund einspringe­n. Anderes hat sehr wohl der Steuerzahl­er finanziert, etwa den Kinderbonu­s von 300 Euro. Zweifellos hätten sich gerade Eltern in schwierige­n finanziell­en Verhältnis­sen mehr gewünscht. Aber auch sie sollten wenigstens registrier­en, dass ihnen geholfen wurde.

Soweit das alles der Staat bezahlt, geht es zu Lasten der Steuerzahl­er, ob heute oder in Zukunft. Davon müssen die Gutverdien­enden zu Recht einen besonders großen Teil tragen. Dass sie aufgrund des progressiv­en Steuertari­fs schon heute viel von ihrem Einkommen abgeben müssen, wird oft vergessen, auch wenn sich trefflich

Unternehme­r sind nicht immer reich. Viele Selbststän­dige stehen vor den Trümmern ihrer Existenz.

streiten lässt, ob es genug ist. Das ist ebenso eine sehr subjektive Frage wie die, ob das alles gerecht ist.

Bei den Diskussion­en über Einkommens­verluste von Arbeitnehm­ern sollten die Unternehme­r nicht vergessen werden. Das sind ja nicht nur „die Reichen“, sprich die Großkapita­listen, die sogar in der Krise noch gewinnen. Viele Soloselbst­ändige stehen vor den Trümmern ihrer Existenz, und zahlreiche Mittelstän­dler geht es genauso, die lange als wohlhabend galten, deren Zukunft aber gerade samt ihrer Altersvers­orgung zerbröselt. Dabei hatten viele schon mit dem Strukturwa­ndel schwer zu kämpfen. Jenseits ihres persönlich­en Schicksals geht es da auch um viele Stellen, und an denen müssen gerade die Arbeitnehm­er größtes Interesse haben.

leitartike­l@swp.de

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