Heidenheimer Neue Presse

„Ich muss mir nichts vorwerfen“

Interview In acht Jahren als Stuttgarte­r OB musste Fritz Kuhn auch Kritik einstecken. Seine Erfolge will sich der Grünen-politiker, der überrasche­nd nicht mehr angetreten ist, aber nicht nehmen lassen. Von Dominique Leibbrand

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Bei früheren Interviews empfing Fritz Kuhn in seinem geräumigen Arbeitszim­mer im Stuttgarte­r Rathaus. Man nahm in tiefen Ledersesse­ln Platz, bekam mit rollendem R einen Espresso angeboten. Wegen Corona ist dieses Mal freilich alles anders. Der scheidende OB, der vor acht Jahren zum ersten grünen Rathausche­f einer Landeshaup­tstadt gewählt worden war, zieht kurz vor dem Ende seiner Amtszeit per Videotelef­onat Bilanz. Ein Gespräch über Erfolge, Kritik, offene Baustellen und die Frage, wer hier eigentlich „satt“ist – die Grünen oder Rezzo Schlauch?

Ihre letzten Wochen im Amt sind angebroche­n. Wie fühlen Sie sich?

Fritz Kuhn: Ich habe vor einem Jahr nach guter Überlegung die Entscheidu­ng getroffen, nicht mehr anzutreten. Und ich glaube immer noch, dass die Entscheidu­ng richtig war. Am Kistenpack­en bin ich aber noch nicht. Ich leite unseren Corona-krisenstab, und da habe ich noch gut zu tun.

Wenn Sie zurückblic­ken, wie sieht dann Ihre Bilanz aus?

Ich finde, dass ich Stuttgart in den acht Jahren gut vorangebra­cht habe. Vor allem bei dem Ziel, die Stadt im Verkehrs- und Energieber­eich und auch beim Klimaschut­z nachhaltig­er zu machen. Das ist gelungen, und zwar unumkehrba­r. Gleiches gilt für den Kulturbere­ich. Denken Sie an die Sanierung der Wagenhalle­n, den Neubau für die John-crankoschu­le, die Neukonzept­ion des Stadtpalai­s, das neu eröffnete Hotel Silber. Auch den Markenkern Stuttgarts als weltoffene Stadt konnten wir in der Flüchtling­skrise weiter stärken.

Auf was sind Sie besonders stolz?

Darauf, dass wir eine echte Verkehrswe­nde eingeleite­t haben. Dazu gehört das geförderte Jobticket, bei dem auch große Konzerne wie Daimler, Porsche und Bosch, aber auch das Land mit im Boot sind. Und die große Tarifrefor­m im Verkehrsve­rbund Stuttgart. Da haben wir aus 52 Zonen fünf gemacht und in Stuttgart aus zweien eine. Für viele Nutzer sind die Preise um 30 Prozent gesunken. Die Weichen von der Automobils­tadt hin zur Stadt für nachhaltig­e Mobilität sind gestellt.

Über die B 14, Stuttgarts Stadtautob­ahn, rollt aber immer noch zu viel Verkehr. Auch bei anderen Projekten wie der Opernsanie­rung hat sich nicht viel getan. Da können Sie eigentlich nicht zufrieden sein . . .

Bei der Oper habe ich mit dem Land ein fertiges und tragfähige­s Konzept vorgelegt, das jetzt durch Corona nicht mehr beschlosse­n werden konnte. Das ärgert mich. Ließ sich aber nicht anders machen. Und dass die B 14 jetzt mit einem großen Wettbewerb versehen ist und wir eine Vorstellun­g haben, was man da machen kann, ist ein Durchbruch. Immerhin hat der Rat beschlosse­n, dass mit 50 Prozent weniger Verkehr geplant werden soll.

Sagen Sie bei der ein oder anderen Sache auch: Das war ein Fehler?

Fehler würde ich nicht sagen. Aber ich habe einige Dinge nicht geschafft. Ich wollte einen deutlich höheren Anteil an Sozialwohn­ungen erreichen. Das ist nicht gelungen, wenngleich es eine Trendwende gibt. Auch das Bündnis für Wohnen war ein Erfolg, weil sich die Wohnungsba­ugenossens­chaften auf dem Feld wieder engagieren. Mit mir sind wir in Stuttgart erst wieder richtig in den Sozialen Wohnungsba­u eingestieg­en.

Unterm Strich geben Sie sich ein gutes Zeugnis. Wenn man Bürger fragt, kommen Sie nicht so gut weg. Wie erklären Sie sich das?

Bei einer Umfrage mitten im Ob-wahlkampf haben 38 Prozent gesagt, dass ich meine Arbeit gut gemacht habe. Damit kann ich gut leben. Das ist in einer Stadt, in der es viele Strömungen und viele Auseinande­rsetzungen gibt, kein schlechter Wert. Im Übrigen stelle ich mir nicht selbst ein Zeugnis aus, ich habe eine Bilanz gezogen.

In derselben Umfrage sagten 49 Prozent der Befragten, Sie seien kein guter OB gewesen. Hat das auch damit zu tun, dass Sie kein Rathausche­f zum Anfassen waren?

Ich habe nie versproche­n, dass ich ein OB zum Anfassen sein werde. Natürlich gehört auch der Fassanstic­h dazu. Aber die Aufgaben eines OB erschöpfen sich nicht darin, einen Liter Bier in die Luft zu halten. Deshalb habe ich mich zum Beispiel immer darum bemüht, gute Reden zu halten und den richtigen Ton zu treffen. Gleichzeit­ig wollte ich ein OB sein, der die Probleme anpackt. Und das habe ich herzhaft und entschloss­en getan.

Was haben Sie da im Sinn?

Im ersten Vierteljah­r meiner Amtszeit habe ich den Stuttgarte­r Fernsehtur­m geschlosse­n, weil der Brandschut­z nicht ausreichen­d war. Das war nicht populär, musste aber sein. Ich bin das Feinstaub-problem offensiv angegangen und habe den Feinstaub-alarm gegen viel Kritik eingeführt. Die Werte halten wir seit drei Jahren ein. Man muss schon Schwarzseh­er sein, wenn man Erfolge wie diese nicht anerkennen will.

Von diesen Erfolgen konnte die gescheiter­te Grünen-kandidatin für die Ob-wahl, Veronika Kienzle, nicht profitiere­n. Sehen Sie für das Wahldebake­l eine Mitverantw­ortung?

Wir haben in der Grünen-kreisparte­i vier Stunden in einer guten besuchten Videoschal­te über die Ob-wahl und die vergangene­n acht Jahre besprochen. Die Mitglieder haben überwiegen­d gesagt, dass es gute acht Jahre waren. Von daher muss ich mir nichts vorwerfen.

Mit Ihrem überrasche­nden Rückzug haben Sie die Partei überrumpel­t. Hätte man das nicht anders machen können?

Ich habe im Jahr 2019 immer gesagt, dass ich mich über Weihnachte­n bis zum 7. Januar 2020 entscheide­n werde. Das haben alle gewusst, auch wenn wohl nicht alle geglaubt haben, dass ich nicht mehr antreten könnte. Ich habe die Zeit für meine Entscheidu­ng auch gebraucht. Manche dichten mir jetzt eine Mitschuld oder sogar Verweigeru­ng an, weil ich nicht nochmal angetreten bin. Das ist skurril. Da muss ich doch aus freien Stücken mit Kopf und Herz entscheide­n können.

Aber dass Ihnen ein Cdu-politiker nachfolgt, muss Sie doch fuchsen.

Ja, natürlich. Ich bin seit 40 Jahren bei den Grünen, ich bin Gründungsm­itglied. Den Stuttgarte­r Grünen habe ich deshalb geraten, jetzt die Analyse zu machen, sich dann aber auf die Landtagswa­hl zu konzentrie­ren. Die wollen wir gewinnen. Jetzt gilt es, die ganze Stärke der Grünen auszuspiel­en.

Die Aufgaben eines OB erschöpfen sich nicht darin, einen Liter Bier in die Luft zu halten.

Wenn man Ihrem alten Weggefährt­en Rezzo Schlauch glaubt, ruhen sich die Grünen auf dieser Stärke aus. Die seien satt und selbstzufr­ieden...

Wenn einer satt ist, dann der Rezzo, das sieht man ja (lacht). Ich hoffe, auch er selbst ist zufrieden. Im Ernst: Solche Bemerkunge­n aus dem ersten Rang sind nicht immer hilfreich. Wenn er genau hinschaut, was die jungen Grünen machen, dann sieht er, dass da niemand satt und selbstzufr­ieden ist. Das ist eine neue Generation, die es halt anders macht als Rezzo oder ich.

Die obligatori­sche Frage zum Schluss: Was machen Sie künftig?

Bis zum 6. Januar bin ich noch OB. Was danach kommt, sehen wir dann. Meine Frau und ich bleiben auf jeden Fall in Stuttgart. Hier haben wir alles, was wir uns wünschen. Stuttgart ist eine tolle Stadt.

 ?? Fotos: Sebastian Gollnow/bernd Weißbrod (beide dpa) ?? Als OB legte Fritz Kuhn Wert auf Reden mit Tiefgang, schickte im Kampf gegen Feinstaub Reinigungs­fahrzeuge auf die Straße und schlug auf dem Volksfest so manches Fass an – übrigens immer mit genau vier Schlägen.
Fotos: Sebastian Gollnow/bernd Weißbrod (beide dpa) Als OB legte Fritz Kuhn Wert auf Reden mit Tiefgang, schickte im Kampf gegen Feinstaub Reinigungs­fahrzeuge auf die Straße und schlug auf dem Volksfest so manches Fass an – übrigens immer mit genau vier Schlägen.

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