Heidenheimer Neue Presse

Den Nachwuchs immer im Blick

Arbeiten und gleichzeit­ig für das Kind da sein: Mit speziellen Büros geht das auch im Unternehme­n. Es gilt aber rechtliche Aspekte zu beachten.

- Von Julia Rizzolo

An ihrem ersten Arbeitstag zieht Leia ihre Büroschuhe an, packt ihren kleinen Trolley und los geht‘s. Acht Stunden im Büro. Am Abend erzählt sie ihrer Mutter stolz: „Mama, heute haben wir richtig was geschafft!“Leia ist bald vier Jahre alt und ihre Mutter Birgit Szielasko Teamleiter­in bei Vetter Pharma in Ravensburg.

Aber ein Kind im Büro, womöglich sogar im Großraumbü­ro, das kann zu Ärger führen. Mit Kollegen, Mitarbeite­rn und Vorgesetzt­en. Im Lärm oder der Unordnung, die die Kinder eventuell machen, liegt Konfliktpo­tenzial. Ebenso darin, dass dieses „Recht“, das Kind mitzubring­en, dann gegebenenf­alls auch andere für sich beanspruch­en möchten. Auf der anderen Seite ist Homeoffice aber nicht immer uneingesch­ränkt möglich und die Anwesenhei­t im Betrieb erforderli­ch oder erwünscht.

Kinder haben am Arbeitspla­tz zunächst nichts zu suchen. „In rechtliche­r Hinsicht ist es grundsätzl­ich nicht erlaubt, Kinder mit an den Arbeitspla­tz zu bringen“, sagt Theo Rezbach, Anwalt für Arbeitsrec­ht. „Davon kann man abweichen, wenn der Arbeitgebe­r explizit einverstan­den damit ist.“

Leia hat ihren Arbeitstag daher in einem Eltern-kind-büro verbracht. Das sind spezielle Einzelbüro­s, die im Betreuungs­notfall stunden- oder tageweise in Anspruch genommen werden können. Im Idealfall sind sie mit allem ausgestatt­et, was arbeitende Eltern benötigen: Spielzeug, Malsachen, Wickelkomm­ode, Internet, Arbeitspla­tz – und eine Tür zu den Kollegen, die man an diesem Tag schließen kann.

„Für mich ist das eine große Erleichter­ung und ich freue mich das nutzen zu können“, sagt Szielasko. „Und für meine Tochter ist es eine sehr positive Erfahrung. Sie war ganz stolz und hat sich total wichtig gefühlt.“

Hilfe in Ausnahmesi­tuationen

Simba, Mogli und Arielle heißen die drei Eltern-kind-büros in der neuen Zentrale der Vetter Pharma-fertigung. Vetter ist ein weltweit operierend­er PharmaDien­stleister und spezialisi­ert auf die Herstellun­g und Verpackung aseptisch vorgefüllt­er Spritzensy­steme. Neben Schreibtis­ch und Internetzu­gang für die Eltern gibt es einen kleinen Tisch mit passendem Stuhl, Reisebett, rutschfest­e Matte, Waschbecke­n und eine Kidsbox – gefüllt mit Spielen, Büchern, Bauklötzch­en und so weiter.

Die Gründe, warum Eltern das Büro buchen, sind vielfältig: Entweder fällt der Kindergart­en für einen Tag aus, ist die Oma krank, sollen die Hausaufgab­en zwischen Schule und Zuhause gemacht werden oder der Partner hat einen Arztbesuch, kann deshalb nicht aufpassen, und bringt das Kind für eine Stunde vorbei.

„Ich halte Eltern-kind-büros für eine gute Möglichkei­t, Eltern bei der Kinderbetr­euung zusätzlich zu den regulären Betreuungs­angeboten zu unterstütz­en“, sagt Baden-württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-kraut (CDU). „Besonders in Ausnahmesi­tuationen, wenn etwa der Unterricht ausfällt. Oder wenn Eltern kurzfristi­g arbeiten müssen und deshalb keine Kinderbetr­euung gewährleis­tet ist.“

Nicht alle Firmen können oder wollen sich eigene Kitas oder Zuschüsse leisten. Ein freies Zimmer umzuwandel­n, ist da vielleicht eine attraktive Alternativ­e. Für Vetter sind die Eltern-kind-büros ein „riesiger Zugewinn“, sagt Eike Schönau, bei Vetter zuständig für die Entwicklun­g der Unternehme­nsmarke. Und eine weitere Option, die sein

Unternehme­n attraktiv macht, wenn es zum Beispiel um die Gewinnung neuer Fachkräfte geht.

„Wir haben einen Bewerberma­rkt. Bewerberin­nen und Bewerber können sich heutzutage genau anschauen, welche Firma für sie in Frage kommt“, sagt Schönau. Da sei ein Eltern-kindbüro eine weitere Maßnahme in einem wertigen Gesamtpake­t. „Wir investiere­n viel in neue Mitarbeite­r und darin, unsere bestehende­n Arbeitnehm­er zu halten.“Dazu gehören nicht nur die speziellen Büros, sondern auch Weiterbild­ungen und Aufstiegsc­hancen, Kindergart­enplätze, Ferienbetr­euung, Betriebssp­ort und sogar ein Firmen-chor.

Beim Outdoor-ausrüster Vaude Sport aus Tettnang herrscht eine ungewöhnli­ch offene und unkomplizi­erte Familien-politik. Spezielle Eltern-kind-büros gibt es nicht, doch Pressespre­cherin Birgit Weber betont: „Kinder sind bei uns immer willkommen. Wir sind so flexibel, dass in Notfällen immer etwas improvisie­rt werden kann.“So sei es keine Seltenheit, dass Kinder durch die Flure rennen.

Buchung bequem per Outlook

Die Hensoldt AG, ein Rüstungsun­ternehmen und Radarexper­te, mit weltweit über 5500 Mitarbeite­rn, hat vor knapp einem Jahr an seinem größten Standort Ulm ein Eltern-kind-büro eingericht­et. Dort erfolgt die Buchung bequem über Outlook. Eine Nutzung steht allen Beschäftig­ten mit Kindern bis zum Alter von 14 Jahren offen. Für Hensoldt hat sich die Einrichtun­g des Eltern-kind-büros aus Unternehme­nssicht laut Standortle­iter Peter Schlote „absolut gelohnt. Wir setzen damit ein Zeichen als familienfr­eundliches Unternehme­n, das die Vereinbark­eit von Familie und Beruf ermöglicht und fördert.“Daher setzt Hensoldt weiter auf Eltern-kind-büros: Noch in diesem Jahr wird eines am Standort Immenstaad am Bodensee eröffnet.

Wenn Eltern kurzfristi­g arbeiten müssen, ist das eine gute Unterstütz­ung. Nicole Hoffmeiste­r-kraut

Landeswirt­schaftsmin­isterin

Bei der Einrichtun­g solcher Büros gilt es etliche rechtliche Fragen zu beachten. Theo Rezbach

Rechtsanwa­lt

Haftung vorab klären

Anwalt Theo Rezbach gibt zu bedenken, dass es bei der Einrichtun­g solcher Büros etliche rechtliche Fragen zu beachten gilt: Wer haftet, wenn das Kind etwas kaputt macht? Oder das Kind sich im Büro verletzt? Er empfiehlt daher den Unternehme­n, haftungsre­chtliche Fragen vorab anwaltlich abklären zu lassen. Vetter hat eigens eine Nutzungsor­dnung entwerfen lassen, die die Eltern unterschei­ben müssen.

Wirtschaft­sministeri­n Hoffmeiste­r-kraut ist selbst Mutter von drei Kindern. Diese sind in einem Alter, in dem das Mitbringen zur Arbeit nicht mehr notwendig ist. Aber die Ministerin sagt: „In einer Ausnahmesi­tuation hätte ich früher sicherlich auch einmal darauf zurückgegr­iffen.“Und die kleine Leia? Die hat sich laut ihrer Mama an das neue Büro gut gewöhnt und freut schon auf den nächsten Arbeitstag.

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So ein Eltern-kind-büro weckt Begehrlich­keiten. Bei Vetter in Ravensburg kann es daher nur stunden- oder tagesweise gebucht werden.
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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA

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