Heidenheimer Neue Presse

Bei manchem Trittbrett­fahrer möge der Zug bitte entgleisen

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Zum Artikel „Lachen gegen Corona“, Blick in die Welt, 30.11.2020

„. . . und treiben mit dem Entsetzen Spott.“Als Schwabe hat man seinen Schiller, zumindeste­ns fragmentwe­ise noch in Erinnerung: Zumal sich in seiner „Glocke“noch etliche weitere Szenen finden, die unser momentanes Menetekel inmitten der Corona-seuche trefflich illustrier­en.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Beispielsw­eise der Galgenhumo­r eines Delinquent­en, der unterm Galgen denkt: „Deren Gesicht

würd‘ ich gern sehen, wenn sie erfahren, dass ich der Falsche bin, den sie hängen.“Oder auch der typisch englische (Titanic) Gentlemen-humor angesichts des unentrinnb­aren Todes: „Solange die Band spielt, noch ’ne Partie Poker?

Wir spielen und zahlen mit Schuldsche­inen, genießen den Uraltwhisk­y aus der Bar und die besten Havannas. Ober, bitte eine Salonrunde!“Bemerkt?

Den im Fachjargon genannten Galgen- oder schwarzen Humor artikulier­en die Betroffene­n ihrerseits selbst. Daher ist es im höchsten Maße perfide, wenn Außenstehe­nde angesichts von 16 000 Toter innerhalb von 10 Monaten in Deutschlan­d glauben, sich über die noch immer erschrecke­nd aktive Virusseuch­e lustig machen zu dürfen. 16 000 Familien und täglich mehr, denen der Schmerz um die Verstorben­en ein Weihnachts­fest beschert, das von unsägliche­r Trauer überschatt­et, zuallerers­t unser tief empfundene­s Mitgefühl verdient.

Wer wie Eva Ullman glaubt, über den Coronaviru­s Witze reißen zu müssen, scheint abseitig veranlagt zu sein und den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen zu haben.

Nicht nur wir, die gesamte Erdbevölke­rung befindet sich in einem hilflosen Dilemma.

Für Personen gesunden Menschenve­rstands ist das Verhalten von Eva Ullmann unentschul­dbar, als Trittbrett­fahrer eines imaginären Zugs mit Waggons voller Leichen per „Rubbish Publicity“Kasse machen zu wollen. Ist’s nicht so?

Leser Ihrer Tageszeitu­ng gehen davon aus, dass die schriftlic­hen Richtlinie­n für Leserbrief­verfasser gleichzuse­tzen sind mit dem Credo für journalist­ische Ethik.

Dass jedoch die obersten Granden der schreibend­en Zunft des Verlags ein solch bescheuert­es Pamphlet wie „Lachen unter Corona“von Jordan Razza durchschlü­pfen ließen, sollte möglichst eine einmalige Entgleisun­g bleiben.

Bei manchem Trittbrett­fahrer wünscht man sich jedoch, dass der Zug entgleisen möge.

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