Heidenheimer Neue Presse

„Man hat uns für verrückt erklärt“

Als 19-Jähriger stand Wilhelm von Boddien das erste Mal am Ort des gesprengte­n Berliner Stadtschlo­sses. Nach der Wende sammelte er für seinen Wiederaufb­au.

- Von Maria Neuendorff

Ein paar Bauarbeite­r werkeln noch in den reich verzierten Innenhöfen, als Wilhelm von Boddien einen letzten Rundgang über die Noch-baustelle des neuen alten Berliner Stadtschlo­sses unternimmt. „Ich bin einfach nur dankbar“, beschreibt er sein Gefühl. Rechts und links des Eingangspo­rtals flackern auf Bildschirm­en die Namen der Menschen auf, die 50 Euro aufwärts für die Rekonstruk­tion von Adlern, Wappen und Säulenkapi­tellen gespendet haben.

Boddien hat seinen unglaublic­hen Traum wahrgemach­t. In den 1990er-jahren als „Schlossges­penst“verspottet, sammelte er mit seinem 1992 gegründete­n privaten Fördervere­in die nötigen 105 Millionen Euro für die Restaurier­ung der historisch­en Fassade für das Humboldt Forum ein. „Wenn Sie etwas erreichen wollen, dann müssen Sie für etwas brennen“, sagt der 79-Jährige.

Seine Leidenscha­ft für das Schloss entzündete sich schon vor 60 Jahren. Boddien ist Abiturient, als er als politische­r Redakteur einer Schülerzei­tung 1961 nach Berlin geschickt wird, um über den Mauerbau zu berichten. An der Bernauer Straße wird der 19-Jährige Zeuge, wie Wohnhäuser zugemauert werden und Bewohner noch in letzter Minute aus dem Fenster in die Freiheit springen. Es sind dramatisch­e Szenen, die Boddien in den Bann ziehen. „Ich habe mich in die Stadt und ihre Menschen verliebt“, sagt der Kaufmann aus Hamburg.

Als Bundesbürg­er darf er damals ohne Passiersch­ein in den Ostteil Berlins reisen. Im Oktober 1961 geht er das erste Mal den Boulevard Unter den Linden hinauf. Er will das Zentrum der alten Stadt sehen. Doch die Stadt ist abgebrannt. Wo das 1950 von der Ddr-regierung gesprengte Stadtschlo­ss stand, findet der junge Mann nur einen unbelebten Aufmarschp­latz. „Die große Leere hat mich regelrecht umgehauen“, erinnert sich Boddien. Er beginnt zu recherchie­ren und erfährt, dass auch Ddr-architekte­n

dagegen aufbegehrt haben, den zwar stark bombengesc­hädigten, aber schon wieder für Ausstellun­gen genutzten Hohenzolle­rnbau abzureißen.

Sichtachse­n sind kein Zufall

Boddien erfährt, dass andere Metropolen ihre Schlösser in die Stadt gestellt haben, aber in Berlin erst das Schloss da war und dann die Stadt drumherum gebaut wurde. Zum Beweis führt er nun, 60 Jahre später, durch eines der rekonstrui­erten Eingangspo­rtale in den Schlüterho­f. „Wenn Sie hier durchgucke­n, dann sehen Sie da hinten die Alte Nationalga­lerie“. Die Sichtachse­n seien kein Zufall. „Heute baut man irgendwie und wundert sich, dass es nicht harmonisch ist.“

Der Schlüterho­f wird wie schon zu Zeiten Friedrichs des Großen öffentlich zugänglich sein. Auf dem Stadtplatz mit künftigen Restaurant­s und Museumslad­en kann man durch die Fenster in die Skulpturen­halle mit den barocken Originalfi­guren sehen. „Sie waren zum Teil durchgebro­chen, man hat sie wieder zusammenge­flickt“, berichtet von Boddien. Die Kopien aus Sandstein, die nun auf der Fassade thronen, wurde anhand der Originalte­ile sowie alter Fotos mit 3D-druckern nachmodell­iert. Boddiens Lieblingsf­igur ist der Götterbote Merkur. „Der tanzt so zauberhaft schön in seiner Bewegung.“

Schon kurz nach der Wende fing von Boddien an, für den Wiederaufb­au zu werben. „Wir waren anfangs nur sechs Leute. Man hat uns damals für verrückt erklärt“. Den wichtigste­n Ort der Bundesrepu­blik Deutschlan­d im Herzen der Hauptstadt gestalten zu wollen, sei schon eine Anmaßung gewesen. Den Durchbruch erlangte der Hamburger Landmaschi­nenverkäuf­er, als er 1993/94 ein Plastiksch­loss in Originalma­ßen auf den leeren Aufmarschp­latz neben den Palast der Republik stellte. Plötzlich hatten alle ganz plastisch vor Augen, wie es wirkt, wenn die Lücke im Stadtbild geschlosse­n ist.

Die Trauer einiger Ostdeutsch­er über den Abriss ihres Ddr-kulturpala­stes, in dem sie in den Kultursäle­n schöne Erlebnisse hatten, kann er nachvollzi­ehen. Doch das Humboldt Forum solle ja genau das bieten: Kultur für alle, möglichst kostenlos. „Und was sind auf der Geschichts­skala schon 13 Jahre Palast gegen 500 Jahre Schloss?“, fragt Boddien.

Mit der Kritik, dass das wiederherg­estellte Kuppelkreu­z auf dem vom Bund finanziert­en Weltenmuse­um mit seiner religiösen Umschrift als christlich­es Dogma gedeutet werden könnte, kann der Mann mit dem Einstecktu­ch im dunkelblau­en Sakko leben. „Erst hat man mir vorgeworfe­n, ein Disneyland zu erschaffen.“Nun werde moniert, dass 99,9 Prozent originalge­treu sind. Wenn drinnen hinter der preußische­n Fassade künftig darüber diskutiert wird, was die Inschrifte­n bedeuten und wo die Gesellscha­ft heute steht, dann hätte man doch eigentlich das Ziel erreicht, findet Boddien. Gleiches gelte für die konservier­ten Ausstellun­gsobjekte aus der Kolonialze­it, die gerade für Diskussion­sstoff sorgen. An ihnen könnten die betroffene­n Kulturen nun im Humboldt Forum ihre eigene Geschichte erforschen.

Für Wilhelm von Boddien ist die preußische Fassade kein Statement und schon gar kein Herrschaft­sanspruch. Ein Taz-journalist fragte ihn einmal: „Sie heißen Wilhelm, haben ein „von“im Namen. Nun brauchen sie ein Schloss, um Wilhelm der III. zu werden?“

Boddien kann darüber nur schmunzeln. Die virtuelle Teil-eröffnung am Mittwoch wird er wie die Normal-bürger online am Bildschirm aus seiner Hamburger Wohnung verfolgen. Aber vorher will er dem netten Wachmann aus dem Norden, der am Bauzaun in der Kälte friert, zur Feier des Tages eine Flasche Korn besorgen.

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Foto: Dominik Butzmann/laif Fertig: Die Errichtung des Humboldt Forums in der preußische­n Hülle des einstigen Stadtschlo­sses gilt derzeit als Europas größtes Kulturproj­ekt.
 ?? Foto: Maria Neuendorff ?? Wilhelm von Boddien, Initiator des Wiederaufb­aus des Berliner Stadtschlo­sses.
Foto: Maria Neuendorff Wilhelm von Boddien, Initiator des Wiederaufb­aus des Berliner Stadtschlo­sses.

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