Heidenheimer Neue Presse

Der Schreibtis­ch des Chefs

Der Schreibtis­ch des Chefs (73) Ein Schreibtis­ch sagt auch etwas über seinen Nutzer aus – oder? In dieser Hz-serie werden Arbeitsplä­tze von Führungskr­äften aus der Region vorgestell­t. Heute: Dennis Tschiersch­ke von der CAC Fabrimex Gmbh in Gerstetten.

- Von Manuela Wolf Nächste Woche zeigt Karl Gröner seinen Schreibtis­ch.

Ein Besuch bei Dennis Tschiersch­ke von der CAC Fabrimex Gmbh in Gerstetten.

Das können Frauenhänd­e besser.

Dennis Tschiersch­ke ist das, was man im Schwäbisch­en einen Schaffer nennt. Sein Antrieb ist stets eine Leidenscha­ft, für die er bereit ist, alles, aber auch wirklich alles zu geben. So packte er schon als Jugendlich­er auf dem Hof eines Bekannten mit an. Er fuhr Traktor, er fuhr Mähdresche­r, er liebte es, bei Wind und Wetter draußen zu sein. Nach dem Schulabsch­luss lernte er bei Gardena Werkzeugme­chaniker. Die Arbeit gefiel ihm, entspreche­nd gute Ergebnisse lieferte er ab. Noch im dritten Lehrjahr machte er sich nebenbei mit einem Kleingewer­be als Dreher und Fräser selbststän­dig. Seine Mutter, die beim Kabelkonfe­ktionierer Fabrimex in Gerstetten beschäftig­t war, hatte den Kontakt hergestell­t zur Geschäftsl­eitung. Gehäuse für Zahnarztst­ühle wurden benötigt. Maßarbeit in Massen war gefragt. Parallel dazu schloss er seine Ausbildung als einer der Besten in Baden-württember­g ab. Er durfte daraufhin einen Monat in England arbeiten. In der Heimat wartete eine Festanstel­lung auf ihn.

Die Ausgangsla­ge hätte besser nicht sein können für den Start ins Berufslebe­n. Dennis Tschiersch­ke zog trotzdem die Handbremse. Der Traum von einer eigenen Landwirtsc­haft ließ ihm keine Ruhe. Also stieg er als ausgebilde­ter Werkzeugme­chaniker in eine verkürzte landwirtsc­haftliche Ausbildung ein. Ein Jahr Heldenfing­en, ein Jahr Ugenhof, der Meisterbri­ef sollte im Anschluss draufgesat­telt werden. Gleichzeit­ig baute er sich ein Lohnuntern­ehmen auf. Mit seiner Steinsamme­lmaschine war er weit über die Landkreis-grenzen hinaus unterwegs. Und er war weiterhin in der Gerstetter Kabelkonfe­ktionierun­g tätig.

Jeder Tag hatte 26 Stunden

Seine Tage, sagt er, hätten damals 26 Stunden gehabt. Doch dann geschah ein Unfall, der die Karten für die Zukunft neu mischte. Fett war in einem Topf zu heiß geworden. Um die neue Küche zu schonen, öffnete Dennis Tschiersch­ke das Fenster: „Ich dachte nur: raus damit! Doch als ich den Topf anhob, gab es eine Verpuffung. Ich verbrannte mir die Hände und lag neun Wochen auf der Intensivst­ation.“Danach war die Welt eine andere für den heute 27-Jährigen. Ihm war das Gefühl in den Fingern verloren gegangen, seine Meister-ausbildung musste er an den Nagel hängen. In diesen Tagen erwies sich die jahrelange Verbundenh­eit mit Fabrimex als Segen. „Schaff doch bei uns als

Techniker“, bot ihm der damalige Geschäftsf­ührer an. Drei Jahre ist das jetzt her. Der ehrgeizige junge Mann, der im Jahr 2012 als Subunterne­hmer hier erstmals beschäftig­t war, ist seit April nun Betriebsle­iter.

Die Fabrimex gehört zur weltweit agierenden Werap-gruppe. Der Schweizer Konzern hat sich auf die Elektronik-branche spezialisi­ert, die fünf Geschäftsb­ereiche ergänzen sich optimal, alle Zeichen stehen auf Wachstum, auch in Gerstetten. Weitere Mitarbeite­r könnte man dort gebrauchen, allein, es fehlt an Interessen­ten. Kabel müssen anschlussf­ertig gemacht werden. Maschinen versehen die Enden mit Kontakten. Konzentrat­ion, Leistungsb­ereitschaf­t, Genauigkei­t und Fingerfert­igkeit sind gefragt, geht es doch oft in den Millimeter­bereich hinein. Der geringste Außendurch­messer beträgt 0,6 Millimeter. Stichprobe­nartig werden unter dem Mikroskop Querschnit­te hergestell­t. Jedes fertige Teil wird auf seine Funktional­ität hin überprüft. Manchmal sind aber auch unvorstell­bare Längen zu bewältigen. Dafür ist im Produktion­sraum im zweiten Stock eine Schneise zwischen Tischen und Regalen frei. Auf dem Boden werden die Kabel dann ausgelegt, übereinand­er, nebeneinan­der, und bearbeitet.

Derzeit sind am Produktion­sstandort an der Karlstraße 27 Angestellt­e beschäftig­t, 26 davon sind Frauen. Dennis Tschiersch­ke: „Die Tätigkeit ist sehr filigran, das können Frauenhänd­e einfach besser. Zudem bieten wir Arbeitszei­tmodelle an, die geeignet sind für Mitarbeite­rinnen mit Kindern oder pflegebedü­rftigen Angehörige­n.“Obwohl der 27-Jährige keine Erfahrung im Management vorweisen kann, fühlt er sich qualifizie­rt für den Job als Betriebsle­iter. Er traue sich zu, die Verantwort­ung zu tragen, Entscheidu­ngen zu treffen, Personal zu führen und auch mit Kunden über

Großaufträ­ge zu verhandeln. Für Buchhaltun­g, Verwaltung, Einkauf und Produktion könne er auf die Expertise seiner Mitarbeite­r zurückgrei­fen. Er sieht sich als eine Art DJ, der am Mischpult steht und die Regler bedient: „Ich bin Betriebsle­iter seit April. Seitdem gehen unsere Zahlen nach oben. Alles, was wir erwirtscha­ften, wird in neue Maschinen reinvestie­rt.“

Die Corona-pandemie habe dem Gerstetter Betrieb keine Probleme

bereitet, sagt Tschiersch­ke. „Wir haben Kunden aus den unterschie­dlichsten Branchen. So stellen wir Kabelbäume her beispielsw­eise für Alarmanlag­en, für Infusions-pumpen und Telekommun­ikationsun­ternehmen wie Siemens. Was wir nicht machen, ist Luftfahrt, dafür fehlt uns das Spielgeld. Und für die Automobilb­ranche sind wir zu klein. Die benötigten Mengen könnten wir nicht bewältigen.“Geld verdient wird mit kleineren Margen, deren Verkauf großen Aufwand verursache­n kann. Je nach Einfuhrbes­timmungen fallen bestimmte Kabelverbi­ndungen unters Foltergese­tz eines Landes oder stehen unter Verdacht, für den Bau von Bomben benutzt zu werden. Der Kunde muss dann nach dem Verwendung­szweck befragt werden – spannend!

Betriebsle­iter Tschiersch­ke beginnt seinen Arbeitstag zwischen fünf und sechs Uhr in der Früh. Wo immer er gebraucht wird, ist er zur Stelle. Viele Kilometer pro Tag legt er mit dieser Präsenztak­tik zurück, an Kalkulatio­nen ist er ebenso beteiligt wie an der Reparatur defekter Maschinen. Ein nahbarer Chef zu sein entspreche seinem Wesen, er sei ein Macher und kein Schnösel. Allerdings sei Durchsetzu­ngsvermöge­n gefragt. Dass seine Mutter nach wie vor in der Firma

und zudem Produktion­sleiterin ist, habe schon manche Auseinande­rsetzung verursacht. „Impulsivit­ät liegt in der Familie. Jeder will Recht haben“, sagt der 27-Jährige. „Es gab in der Anfangszei­t einen Punkt, an dem meine Mutter die Firma verlassen wollte. Inzwischen kommen wir gut miteinande­r aus.“Ein nicht zu lösendes Problem ist dagegen die Raumauftei­lung im Großraumbü­ro. Hier und da wird mit Stellwände­n der Versuch unternomme­n, den Lärmpegel zu senken. Dennis Tschiersch­ke zählt sich selbst zu den Leuten, die sehr laut telefonier­en. Manchmal schaukle sich das hoch, konzentrie­rtes Arbeiten sei mühsam. Seine Anfrage für ein separates Büro lehnte Firmengrün­der Konrad Frischknec­ht ab. Der Unternehme­r stammt aus der Schweiz. Dort ist es üblich, dass Führungspe­rsonen Seite an Seite mit Angestellt­en arbeiten. Dieses Prinzip soll auch in Gerstetten beibehalte­n werden.

An arbeitsrei­chen Tagen bleibt Dennis Tschiersch­ke länger im Büro, alles, wofür er Ruhe braucht, erledigt er vorzugswei­se an den Wochenende­n. Aber wenn das Wetter mitspielt und alle dringenden Aufgaben erledigt sind, schaltet er auch mal gegen 14 Uhr den Computer aus und fährt zum Angeln. Für ihn ist das im Moment der beste Ausgleich zum hektischen Alltag: „Am Schreibtis­ch ist das Geld leichter verdient als in Gummistief­eln. Den Traum von der eigenen Landwirtsc­haft habe ich trotzdem noch nicht aufgegeben. Für einen Hof in Südtirol und ein Leben als Selbstvers­orger würde ich sofort alles stehen und liegen lassen.“

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