Heidenheimer Neue Presse

Hohe Haftstrafe­n im Wtz-prozess

Wundtherap­iezentrum Im großen Prozess vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t sind jetzt die Urteile gesprochen worden. Das Gericht geht von banden- und gewerbsmäß­igem Betrug aus.

- Von Andreas Uitz

Vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t wurden drei früher Verantwort­liche des Wundtherap­iezentrums verurteilt.

Mehr als fünf Monate lang wurde vor der 13. Großen Strafkamme­r des Stuttgarte­r Landgerich­ts gegen die früher Verantwort­lichen des Heidenheim­er Wundtherap­iezentrums (WTZ) verhandelt. Am Donnerstag fiel das Urteil: Alle drei Angeklagte­n wurden wegen banden- und gewerbsmäß­igen Betrugs zu hohen Haftstrafe­n verurteilt. Der frühere Geschäftsf­ührer des WTZ muss für sechs Jahre und zwei Monate in Haft, seine Frau, die ebenfalls Geschäftsf­ührerin und dazu noch Gesellscha­fterin war, erhielt eine Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Der mitangekla­gte Schwiegers­ohn wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Verfahren gegen die Tochter des Ehepaars war schon zuvor aus gesundheit­lichen Gründen abgetrennt worden.

Richter spricht von Bande

Obwohl alle Verteidige­r in ihren Plädoyers vehement betonten, dass es sich bei der Familie keinesfall­s um eine Bande handele, sieht die Kammer das anders. „Uns ist bewusst, dass das Urteil ein schwerer Schlag gegen Ihre Familie ist“, sagte der Vorsitzend­e Richter Dr. Frank Maurer in seiner mehr als einstündig­en Urteilsbeg­ründung. „Aber das Urteil ist dem Umstand geschuldet, dass hier eine Familienba­nde tätig war, die durch Betrug einen sehr hohen Schaden verursacht hat.“Da sich der Schaden, der Krankenkas­sen dadurch entstanden ist, dass das WTZ Produkte über Rezepte abgerechne­t hat, die nie an Patienten verwendet wurden, nur sehr schwer beziffern lässt, geht das Gericht von einem geschätzte­n Gesamtscha­den in Höhe von mindestens 4,8 Millionen Euro aus. „Dass die Familie als Bande Hand angelegt hat, daran besteht überhaupt kein Zweifel“, so Maurer.

Ausschlagg­ebend sind Mails

Fest macht das Gericht die Gründung der Bande an einem bestimmten Tag. In einer E-mailkorres­pondenz schrieb die Tochter am 11. September 2014 ihrer Mutter, dass sie sich Sorgen um Finanzen mache und darüber, wie fällige Rechnungen beglichen werden können. „Das war zu einer Zeit, als das WTZ in einer großen finanziell­en Schieflage war, es gab Zahlungsen­gpässe und Pfändungen“, sagte Maurer. Die Mutter habe in einer Mail geantworte­t, dass ihr Mann seine Ideen umsetzen müsse, dann habe man durch „Verordnung­en“im Monat 30 000 Euro mehr. „Ich habe noch nie so eine zweifelsfr­eie Bandenabre­de mit Beweisen gesehen“, so der Vorsitzend­e Richter.

„Kurz danach begannen die systematis­chen Falschabre­chnungen“, betonte Maurer. Die Umsätze seien rasant gestiegen, ebenso wie die Gewinne. „Das ist alles dokumentie­rt und bewiesen, das kam nicht durch mehr Patienten, sondern durch höhere Abrechnung­en“, so der Richter. Das WTZ habe nach Aalen und Ulm expandiert. Der Hauptangek­lagte habe nicht nur, wie während des Prozesses immer wieder betont, ein System der phasengere­chten Wundversor­gung erfunden, sondern auch der phasengere­chten Abrechnung. „Das war systematis­cher Abrechnung­sbetrug, ein System der pauschalen Abrechnung, losgelöst von tatsächlic­h verwendete­n Produkten.“

Tausendfac­h falsch abgerechne­t

So sei ein teures Produkt 2706 Mal bei den Krankenkas­sen abgerechne­t worden, das niemals eingekauft wurde. Ein anderes Produkt wurde 7511 Mal rezeptiert, „und davon wurden nur 31 Packungen gekauft“, so der Richter. Insgesamt sei so oder ähnlich mit mehr als 20 Produkten verfahren worden. Dieses System ist nach Ansicht des Gerichts von 2015 bis 2018 immer wieder modifizier­t und perfektion­iert worden.

Kurz nachdem der systematis­che Betrug begonnen habe, habe sich die Familie Luxusurlau­be geleistet, für die in vier Jahren 250 000 Euro ausgegeben wurden. „Sie hatten Hotelaufen­thalte in Suiten, haben im Kempinski residiert und waren auf Mauritius. Das darf jeder machen, aber bitte mit Mitteln legaler Herkunft“, so Maurer. Das System des banden- und gewerbsmäß­igen Betrugs habe die Familie dazu genutzt, „Urlaube, Hausbau, Gehälter und sonstige finanziell­e Zuwendunge­n zu finanziere­n“, so Maurer.

Keinen Zweifel hat das Gericht daran, dass der frühere Geschäftsf­ührer das System erdacht und federführe­nd umgesetzt hat. Der hatte während des Prozesses immer wieder betont, alleinvera­ntwortlich gewesen zu sein. Sein einziges Bestreben sei gewesen, die Wundpatien­ten des WTZ gut zu versorgen. Er hatte auch eingeräumt, dass bei der Abrechnung Fehler entstanden sein könnten, das sei jedoch keine Absicht und nicht geplant gewesen.

„Sie haben die ganzen Jahre über, genauso wie während der Verhandlun­g, ein falsches Spiel gespielt, das Abrechnung­ssystem war kein Unfall, Sie haben nicht den Überblick verloren. Das war ganz eindeutig ein erdachter systematis­cher Abrechnung­sbetrug“, so der Vorsitzend­e Richter.

Ehefrau war eingeweiht

Jene Korrespond­enz vom September 2014 wertet das Gericht auch als deutliches Zeichen dafür, dass die Frau des Geschäftsf­ührers von Anfang an involviert war. Die Verteidigu­ng hatte zwar während des gesamten Prozesse dargestell­t, dass die Frau sich nie für Zahlen und fürs Geschäftli­che interessie­rt, sondern sich lediglich ums Personal gekümmert habe. „Aber Sie waren von Anfang an dabei“, erklärte der Richter: „Sie wussten, dass Ihr Mann die Rezepte selbst macht und haben in Gesprächen die Steuerung übernommen, wenn Ihr Mann mal ausfiel oder ruhig war.“Nachdem einige Mitarbeite­r die Wtz-geschäftsf­ührung auf vermutete Ungereimth­eiten angesproch­en hatten, „haben Sie unliebsame­s Personal rausgebiss­en“, sagte der Richter.

Schwiegers­ohn war involviert

Auch der Schwiegers­ohn ist nach Auffassung des Gerichts in die Machenscha­ften involviert gewesen. Er sei zwar erst später hinzugekom­men, weshalb seine Strafe auch geringer ausfällt, beteiligt gewesen ist er aus Sicht der Kammer auf jeden Fall. „Sie waren ab 2016 kaufmännis­cher Leiter, haben die Buchhaltun­g vorbereite­t, haben sich ums Lager gekümmert und waren ins Produktman­agement und die Preiskalku­lation eingebunde­n. Sie stießen einfach später zur Bande hinzu“, so der Richter in seiner Urteilsbeg­ründung.

In seiner Argumentat­ion folgte das Gericht weitgehend der Argumentat­ion der Staatsanwa­ltschaft. Die hatte im Plädoyer für den Geschäftsf­ührer sieben, für seine Frau fünf und für den Schwiegers­ohn vier Jahre Haft gefordert. Durch ihr Verhalten während des Prozesses hätten die Angeklagte­n einen Bonus gründlich verspielt. „Am Ende einer langen Beweisaufn­ahme stellt sich die Frage, ob ein frühzeitig­es Geständnis nicht besser gewesen wäre“, so der Oberstaats­anwalt. „Als Familienba­nde bildeten Sie ein vierblättr­iges Kleeblatt ohne Glück“, sagte er in seinem Schlussvor­trag. „Sie waren eine hochspezia­lisierte Einheit, in der jeder seine Fähigkeite­n eingebrach­t hat.“Alle drei Angeklagte­n hätten mit enormer kriminelle­r Energie gehandelt.

Auch nachdem von einem kooperiere­nden Arzt die Abrechnung­smethode kritisiert worden war, „haben Sie Ihr System unbeirrt und unerschroc­ken weitergefü­hrt und zu keinem Zeitpunkt ans Aufhören gedacht“, so der Ankläger. Auch aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft waren die Rollen in der Wtz-geschäftsf­ührung klar verteilt und alle waren ins Betrugssys­tem eingeweiht.

Ganz anders sehen das Verteidige­r. „Mein Mandant trägt offen und ohne Umschweife die Verantwort­ung für die Fehler, die er gemacht hat“, so der Verteidige­r des früheren Geschäftsf­ührers in seinem Plädoyer. Aber er habe Zweifel daran, ob es zutrifft, dass das WTZ als Betrugsmod­ell angelegt war. „Der Angeklagte hat für die Abrechnung einen Ansatz gewählt, der praktikabe­l war, die Folgen hat er vielleicht nicht bedacht.“Eine inhaltlich­e Abstimmung mit den Familienmi­gliedern jedenfalls habe es nie gegeben. „Er hat alle im Unklaren gelassen. Er hat ein Geständnis abgelegt und Farbe bekannt“, so der Verteidige­r, der selbst keinen Strafvorsc­hlag unterbreit­ete.

Ganz anders die Anwälte der Ehefrau und des Schwiegers­ohns, die für beide Angeklagte­n Freispruch forderten. Die Argumentat­ion: Weder die Frau noch der Schwiegers­ohn waren in Abrechnung oder Rezeptieru­ng involviert, sondern seien nur den ihnen zugewiesen­en Aufgaben nachgegang­en. Von diesen Verteidige­rn wurde auch die Höhe des entstanden­en Schadens ebenso wie die Methode zur Schadenser­mittlung angezweife­lt.

Aus gut unterricht­eten Kreisen ist zu erfahren, dass die Verteidige­r aller drei Verurteilt­en Rechtsmitt­el gegen das Urteil einlegen werden.

Sie haben die ganzen Jahre über, genauso wie während der Verhandlun­g, ein falsches Spiel gespielt, das Abrechnung­ssystem war kein Unfall. Dr. Frank Maurer

Vorsitzend­er Richter

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 ?? Foto: Stock.adobe.com/studio_east. ?? Im Prozess gegen die früher Verantwort­lichen des Heidenheim­er Wundtherap­iezentrums sind die Urteile gefällt worden.
Foto: Stock.adobe.com/studio_east. Im Prozess gegen die früher Verantwort­lichen des Heidenheim­er Wundtherap­iezentrums sind die Urteile gefällt worden.

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