Heidenheimer Neue Presse

Herausford­erung E-autos

Wie Feuerwehre­n im Kreis damit umgehen

- Manuela Wolf zieht den Hut vor allen Einsatzkrä­ften, die dem Technik-wandel mit Neugier statt Frust begegnen und sich unermüdlic­h fortbilden. Vorbildlic­h!

Reagieren, nicht agieren: Bei vielen Neuerungen haben die Feuerwehre­n keine Wahl. Sie können sich auf den technische­n Wandel nur bedingt vorbereite­n, Informatio­nen und Erfahrungs­werte müssen zusammenge­sammelt werden. Beispiel Elektro-mobilität. Verbrennun­gsmotoren gibt es seit vielen Jahrzehnte­n, die Gefahren für Helfer an Unfallstel­len sind bekannt. Alternativ­e Antriebe unterliege­n ständigen Innovation­en und Neunentwic­klungen. Die Hersteller experiment­ieren, optimieren, verbauen Komponente­n mal hier, mal dort. Wo befindet sich die Batterie? Wie und wo sind Hochvoltbe­reiche gekennzeic­hnet? „Die Feuerwehr läuft naturgemäß der Entwicklun­g immer ein bisschen hinterher“, sagt Kreisbrand­meister Michael Zimmermann. Für seine Kameraden und ihn birgt die Situation dennoch kein Frustratio­nspotentia­l, im Gegenteil: „Einsatzkrä­fte konnten sich noch nie ausruhen. Uns bleibt nur, Entwicklun­gen abzuwarten und uns immer wieder neu zu orientiere­n. Aber das macht unsere Aufgabe spannend.“

Bis der Sonderfall zum Standard-einsatz wird, vergehen Jahre. Anfangs fehlt das Greifbare, fehlt auch die Praxis. Einen alten VW Golf zu finden für Übungszwec­ke ist kein Problem. Aber welcher Hersteller spendiert mal schnell ein paar nagelneue Autos mit E-antrieb, damit die Feuerwehrl­eute in Ruhe Gefahrenqu­ellen besprechen oder Brandsitua­tionen simulieren können? Auch das Verbauen immer stabilerer Materialie­n, die die Insassen und empfindlic­hen Antriebssy­steme schützen sollen, ist ein Problem, zu dem es mangels Übungsobje­kte teilweise wenig Erfahrung gibt. Genügt hier überhaupt noch ein gängiger Bolzenschn­eider oder die vorhandene­n Rettungssä­tze? Immerhin werden für jedes Fahrzeug sogenannte Rettungsda­tenblätter mit Querschnit­tbildern zur Verfügung gestellt, die einen Blick unter die Karosserie erlauben. Die ganze Erkundungs­phase rund um ein verunfallt­es Fahrzeug gleicht einer Detektivar­beit.

Aus ersten Fällen werden Vorgehensw­eisen abgeleitet und im Netzwerk der Feuerwehre­n ausgetausc­ht. Involviert sind dabei die Arbeitsgem­einschaft der Leiter der Berufsfeue­rwehren ebenso wie der Deutsche Feuerwehrv­erband, der Normenauss­chuss des Feuerwehrw­esens, die Institute der Feuerwehre­n, die Landesfeue­rwehrschul­en. Mit der Zeit und vereinten Kräften wächst so der Berg an vermittelb­arem Wissen. Was sich an Taktiken und Schutzausr­üstung bewährt, wird etabliert. Fachverbän­de erstellen Merkblätte­r. Der ADAC war initiativ im Bereich der Rettungska­rten: Mit Hilfe von Schaubilde­rn wird vereinfach­t dargestell­t, wo sich beispielsw­eise die Abschaltei­nrichtunge­n für die Airbag-sensorik befinden. Hilfreich ist die Kommunikat­ion mit der Leitstelle, die auf die Datenbank des Kraftfahrt­bundesamte­s zugreifen kann. Dort sind zu jedem Fahrzeug alle Informatio­nen hinterlegt, von der Automarke bis hin zur Innenausst­attung. Michael Zimmermann: „Bei massiven Deformatio­nen ist es auch für Geübte schwierig, überhaupt nur die Automarke zu bestimmen. Zudem gibt es bei ein und demselben Modell Unterschie­de. Mit jedem Baujahr kann es Änderungen bei den Komponente­n gegeben haben. Das müssen wir wissen, bevor wir uns an die Arbeit machen.“

Ziel all dieser Anstrengun­gen ist, die Einsatzste­lle in den ersten Minuten sicherer zu machen, geht es bei E-fahrzeugen doch schnell hinein in den Hochvolt-bereich. Die Batterie eines Porsche Taycan leistet bis zu 800 Volt. Entspreche­nd stark kann nach einem Unfall die Karosserie aufgeladen sein: „Loslass-spannung wird deutlich überschrit­ten. Zudem haben wir es mit Gleichspan­nung zu tun, die in diesem Bereich lebensgefä­hrlich ist“, so Kreisbrand­meister Zimmermann. „Unser Werkzeugka­sten muss deshalb nun gedanklich neu gefüllt werden.“In der Industrie gibt es für Arbeiten unter Spannung ausgebilde­te Elektro-fachkräfte. Die Feuerwehre­n wollen sich künftig mit angepasste­n Schulungen sowohl an den Landesfeue­rwehrschul­en, den Fachverbän­den beziehungs­weise Ausbildung­sstellen und auch mit der Einbindung einzelner Aspekte in die Übungsplän­e behelfen. Im Landkreis Heidenheim läuft derzeit ein dreiteilig­es Online-seminar, an dem insgesamt 36 Feuerwehrl­eute teilnehmen. Michael Zimmermann hat dafür die Ausbildung­sinhalte zusammenge­tragen: „Thema ist unter anderem, wie Sicherheit­seinrichtu­ngen ausgelöst werden können. Wir besprechen auch konkrete Einsatzbei­spiele und spielen Szenarien durch.“Riechen, sehen, hören, die Kameraden werden zudem erneut dafür sensibilis­iert, mit allen Sinnen an die Gefährdung­sbeurteilu­ng heranzugeh­en.

Viel diskutiert wird in Feuerwehrk­reisen über mögliche Schutzauss­tattung. Mit zur Standard-ausrüstung gehören elektronis­che Messgeräte, mit denen überprüft werden kann, ob die Karosserie unter Spannung steht. Auch Isolierwer­kzeuge, spezielle Handschuhe und Visiere sind immer mit dabei. Geplant sei, im Landkreis Heidenheim einen Fachberate­r für Elektromob­ilität zu implementi­eren, der bei Unfällen mit fachlichem Rat behilflich sein könnte und gegebenenf­alls auch Arbeiten unter Spannung durchführe­n oder zumindest anleiten könnte. Die Investitio­nen für diese wichtigen Gerätschaf­ten und Schutzauss­tattungen halten sich in Grenzen. Weit mehr Aufwand, Zeit und Geld kosten die Brandfälle. „Das stellt uns vor Probleme“sagt Michael Zimmermann.

Durch eine Überhitzun­g kann es in einer Batterie zu einer chemischen Reaktion zwischen dem Speicherma­terial und dem Elektrolyt kommen. Dann beginnt ein thermische­r Zersetzung­sprozess. In einer Kettenreak­tion geht es von Zelle zu Zelle. Die Rückzündun­gsgefahr ist hoch, und das über mehrere Tage hinweg. Die Vorgehensw­eise im Moment ist stundenlan­ges Kühlen durch Wasser. Hier und da werden mit Löschmitte­lzusätzen Versuche gemacht. Auch eine sogenannte Löschlanze, die in den Batteriebl­ock gerammt wird, kommt teilweise bei Feuerwehre­n zum Einsatz. Die Hersteller tüfteln ebenfalls an Lösungen. So werden Batterien mit Zugängen versehen, durch die der Wasserstra­hl direkt in die Zellen geleitet werden kann: „Allerdings ist es beispielsw­eise auf Landstraße­n aufwändig, entspreche­nde Wassermeng­en bereitzust­ellen. Deshalb werden die Abschleppe­r bis zum Betriebsge­lände begleitet. Dort muss das Fahrzeug auf einem Quarantäne­platz vom Entsorger oder Abschleppe­r beobachtet werden. Manchmal sind dann weitere Kühl- oder Löschmaßna­hmen erforderli­ch.“

Geprüft wird deshalb der Kauf eines speziellen Abrollbehä­lters und die Erstellung eines landkreisw­eiten Konzepts für den Umgang mit in Brand geratenen E-fahrzeugen. Der Behälter wird mit Wasser befüllt, das Unfallauto wird darin versenkt. Damit die Umgebung keinen Schaden nehmen kann, muss ein Standort abseits von Gebäuden gewählt und dauerhafte Beobachtun­g garantiert werden. Michael Zimmermann rechnet mit Ausgaben in fünfstelli­ger Höhe für den Container. Dazu kommen die Kosten für ein geeignetes Transportf­ahrzeug. Zunächst soll allerdings der Schultersc­hluss zu Abschleppu­nternehmen oder Nachbarfeu­erwehren mit bereits bestehende­n Fahrzeugen oder entspreche­nder Ausrüstung gesucht werden.

In Norwegen liegt der Anteil von elektrobet­riebenen Fahrzeugen im Straßenber­eich bei mehr als 50 Prozent. In Deutschlan­d ist man mit einem Marktantei­l von knapp 3,5 Prozent weit davon entfernt. Allerdings wurden im Jahr 2019 lediglich rund 87 000 Autos gezählt, Ende 2020 sind es schon 137 000 PKWS. Die Wahrschein­lichkeit, dass Feuerwehrl­eute zu Unfällen mit solchen Fahrzeugen gerufen werden, steigt also sprunghaft an. Und auch in vielen anderen Lebensbere­ichen nimmt die Elektrotec­hnik immer mehr Raum ein, sei es im Modellbau oder dem Betrieb von Solaranlag­en. Michael Zimmermann weist deshalb auch auf diese Gefahrenqu­ellen hin. Sein Blick in die Zukunft ist optimistis­ch: „Unsere Feuerwehrl­eute sind in unterschie­dlichsten Bereichen tätig und bringen ihre Vorkenntni­sse und Interessen mit ein. Wir sind damit sehr breit aufgestell­t und können solchen Herausford­erungen mit Schlagkraf­t und Kompetenz begegnen.“

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Foto: Markus Brandhuber
Der Schein trügt: Auch nach einem ersten erfolgreic­hen Löschversu­ch bleiben E-autos gefährlich. Die Batterien können sich auch Tage nach dem Unfall erneut entzünden. Foto: Markus Brandhuber
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