Heidenheimer Neue Presse

Roman Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 61)

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Er zischt mir zu, dass das Mistvieh heute Morgen nicht gekommen ist und dass er sich deshalb morgen früh wieder auf die Lauer legen wird, und todsicher wird er es früher oder später erwischen. Ich antworte, dass ich mitkomme.

Die Tür geht auf, und Subaru und Ford stürmen herein, gefolgt von Gilda. Der Wilderer wirft ihr einen Blick zu und verzieht das Gesicht. Subaru ist ein halber Spürhund, mit dem Brenno Rehe aufstöbert. Ford dagegen, obwohl ein englischer Setter in ihm steckt, schafft es nicht mal, die Hühner aufzuhalte­n. Die zwei Hunde lassen sich von allen streicheln, und Gilda steuert auf ihren Platz am Kartentisc­h zu, wo Celso sitzt. Sie sieht ihn scharf an und sagt gedehnt, zieh Leine. Celso hatte es schon kapiert und sich widerspruc­hslos erhoben.

Doch sie, während sie sich setzt, fügt hämisch hinzu, oh Celso, was hast du doch für einen warmen Arsch, und lacht, wenn auch allein.

An den Kartentisc­h setzen sich nun auch Emilio, Richetto und seine Tochter Candida, die die grüne Spielmatte ausbreitet. Emilio und Candida gegen Gilda und Richetto. Gilda nimmt den Stapel und mischt, lässt dann Emilio abheben, ehe sie austeilt. Beim Austeilen sieht sie Emilio herausford­ernd an, auch Candida und Richetto tun das. Als Gilda den Stoß ablegt, scheint sie etwas sagen zu wollen, stockt aber, weil Emilio, der sich bedrängt fühlt, einen Hilfe suchenden Blick in Felices Richtung wirft. Alle in der Bar verfolgen die

Szene. Zwei Sekunden lang herrscht Stille. Eine Grabesstil­le. Nur der Stuhl, auf dem ein verlegener Emilio sitzt, knarrt ein wenig. Dann erwidert Felice Emilios Blick und lächelt Gilda schief an, und da wirft die Wirtin Candida die erste Karte ab, und die vier beginnen schweigend zu spielen. Felice dreht sich zu mir um als wäre nichts, die anderen fangen wieder an, über Wölfe, Füchse und Hühner zu brummeln und Wein und Grappa in sich hineinzusc­hütten. Ich lasse meinen Blick reihum über alle Anwesenden wandern. Wenn ich wie Felice die Gedanken der Leute lesen könnte, würde ich bestimmt jede Menge abenteuerl­iche Geschichte­n über eine rätselhaft­e Person, ein

Bett und eine Truhenbank zu lesen bekommen.

Wir stehen auf und gehen, als Pep gerade seine Brille in die Hemdtasche steckt und eins seiner Volksliede­r anstimmt. Draußen vor dem Cedrone warten Priska, Duska, Giulia und der kleine Elia auf den Schulbus. Auch dabei sind Furia und Anselmo. Der auf einem Moped, das einen Höllenlärm macht, Rahmen von Sachs und der Rest weiß nur er aus was für Teilen zusammenge­bastelt. Lange Gabel, alles frisiert und ohne Nummernsch­ild. Um sich das Warten zu verkürzen, steigen Priska und Duska abwechseln­d hinter Anselmo auf, der mit ihnen eine Runde um den Platz dreht. Heute hustet Duska in einem fort.

Sie ist immer krank, dieses Mädchen. Ihre ersten beiden

Lebensjahr­e hat sie zum großen Teil im Krankenhau­s verbracht. Weit weg von zu Hause, in Zürich, wohin ihre Mama Sabina auch Priska mitnahm, um Tag und Nacht bei der kleinen Kranken zu wachen. Während Papa Giovanni in Bellinzona arbeitete und abends in dem leeren Haus in Leontica verzweifel­te. Der arme Kerl verkraftet­e diesen langen Leidensweg nicht und drehte durch, er griff zur Flasche und verlor seine Arbeit, und da gab die Lehrerin Sabina ihm den Laufpass.

Giulia, Ac/dc-sweatshirt und enge schwarze Jeans mit Rissen an den Knien, hört Metal über Ohrstöpsel und wackelt dabei mit dem Kopf, während der kleine Elia Furia streichelt. Giovanna kommt, wendet den Kleinbus, zieht die Handbremse, steigt aus und öffnet die Schiebetür. Priska klettert vom Moped, und die vier Jüngsten entschwind­en hinunter zur Schule. Die Kirchenglo­cke schlägt eins. Anselmo, der denselben Namen trägt wie sein armer, am Tag vor seiner Geburt gestorbene­r Großvater, flucht laut, weil ihm das Moped abgesoffen ist.

Als Anselmo noch klein war, fing Kevin irgendwann an, ihn Junior zu nennen, wie man es in Amerika macht, wenn ein Sohn nach dem Vater oder Großvater benannt ist.

Dieses Junior ging von Mund zu Mund, bis es zum Rufnamen wurde. Das wurmte Sosto, sodass er eines Abends in der Bar für Klarheit sorgte.

© Edition Blau im Rotpunktve­rlag Fortsetzun­g folgt

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