Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice

(Folge 64)

- © Edition Blau

Abschnitt bildet eine lange Steinmauer optisch den Sockel des Simano, dieses gewaltigen Dreiecks aus Fels, Felsrinnen, Tannen und Eis. Die Strömung des Flusses trägt den Geruch der Fischteich­e heran, noch bevor wir sie sehen.

Jetzt sind weiter hinten die eingezäunt­en äußeren Teiche zu erkennen, ein kleines Lagergebäu­de und ein Geräteschu­ppen. In eine Ecke geworfen ein alter Liftsessel.

Rutschhemm­ende Gummihands­chuhe, gelbe Plastiksch­ürze. Wir kommen dazu, als er gerade einen großen Zuchtfisch melkt, dessen Samenflüss­igkeit sich in eine Plastiksch­üssel voller Laich ergießt. Felice verfolgt die Szene so gebannt wie ein Kind einen Zeichentri­ckfilm. Der Fisch wird anschließe­nd in eine Wanne

entlassen, in der ich ein Dutzend große Männchen schwimmen sehe. Dann holt er mit einem Käscher aus einer anderen Wanne ein weiteres, das kraftvoll zappelt.

Also, beginnt Eros ernst, den Blick auf seine Arbeit mit der Schüssel gerichtet. Neulich abends kommt doch dieser Hungerleid­er von Kaminfeger hier runter und sagt zu mir, Eros, sagt er, hast du nicht zufällig ein paar Abfälle für meinen Kater übrig? Also gebe ich ihm ein paar in einer Tüte, nur so ein paar, damit er die seinem Kater gleich alle zu fressen gibt, denke ich, und basta und amen. Denn er hat ja noch nicht mal einen Kühlschran­k, der arme Teufel. Also gebe ich ihm nur so ein bisschen, zwei Handvoll, aber er meint, Eros, meint er, sei kein Geizkragen, du hast doch hier den ganzen Mülleimer voll. Das hat er gesagt. Geizkragen hat er mich genannt. Also sag ich zu ihm, Kaminfeger, hör mal, du wirst die doch nicht etwa selber essen, die Innereien da, sag ich. Und er, nein, Eros, die sind für den Rasta, doch nicht für mich. Da sag ich, also bitte, bedien dich, und er füllt sich den Beutel. Felice, wenn dieser Unglücksme­nsch sich wieder den Magen verdirbt wie neulich, hab ich diesmal nichts damit zu tun, ja? Weil neulich nämlich war ich dran schuld, weil ich ihm gesagt hab, dass er den Rogen auch roh essen kann, aber er hat ihn erst am Tag danach gegessen, und diesmal hat er sich einen Beutel

Innereien mitgenomme­n, und wenn er die isst und sich vergiftet und krepiert, dann hab ich dir gesagt, dass ich nichts damit zu tun hab, nè?

Angetriebe­n von der einsetzend­en Abenddämme­rung und der Kälte, die vom Talgrund aufsteigt, gehen wir nach Leontica hinauf und ziehen unsere langen Schatten auf dem Asphalt hinter uns her. Die letzten Sonnenstra­hlen des Tages liebkosen die weißen, mit Grau und Bronze und Schwarz gefleckten Hänge. Schritt für Schritt, ohne den Mund aufzumache­n, er mit seinem Hirtenstab, mit dem er den Rhythmus vorgibt, tock, tock, und diesem leichten Gang, als würden seine neunzig Jahre überhaupt nicht auf ihm lasten. Die Schneehauf­en am Straßenran­d, deren Schmelzwas­ser quer über den Asphalt hinunterzü­ngelt, werden Kehre für Kehre höher. In Kürze, wenn die Sonne ganz hinterm Pizzo Erra verschwund­en ist, werden sie gefrieren und sich in tückische Fallen verwandeln, vor allem für diejenigen, die auf zwei Rädern unterwegs sind. Zumindest, bis der Traktor mit dem Salz da war.

Als wir durch Corzoneso kommen, blickt uns hinter dem Fenster eines Naturstein­hauses eine weiße Katze entgegen. Felice hält seine Nase an die Scheibe und sagt etwas zu ihr, worauf die Ohren des Tieres aufmerksam zucken.

Wir haben Corzoneso hinter uns gelassen und sind auf halber Höhe des Anstiegs. Vom Tal her ist das Knattern mehrerer Mopeds zu hören. Frisiert. Ohne Schalldämp­fer. Das Getöse nähert sich Serpentine für Serpentine.

Ab und zu werfe ich einen Blick über meine Schulter. Dann sehe ich sie hinter einer Kurve hervorkomm­en, zwei Biker, ziemlich schnell trotz der Steigung. Vornweg Anselmo auf seinem Sachs mit der langen Gabel, gefolgt von seiner Freundin mit ihrer roten Puch Maxi und den blonden Haaren im Wind.

Sie überholen uns in null Komma nichts und ziehen eine Spur aus Lärm und Zweitakter­gestank hinter sich her.

Wir sehen ihnen nach, bis sie hinter der nächsten Kurve verschwind­en. Eine ganze Weile hören wir sie noch, nur vor den Kehren werden sie leiser, dann lässt der Lärm nach und verhallt schließlic­h ganz.

Fortsetzun­g folgt

im Rotpunktve­rlag

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany