Hauptsache, es wird getanzt
Wo gibt’s denn aktuell ein Gute-laune-musical? Live in keinem Theater – aber bei Netflix: „The Prom“handelt ziemlich kitschig von lesbischer Schülerliebe und abgetakelten Broadway-stars.
Und jetzt alle zusammen: „It’s Time To Dance“. Das gilt normalerweise in diesen Feiertagswochen für die ganze Musical-branche. Und wäre die Geschenk-idee der Stunde. Doch die Theater etwa von Stage-entertainment in Stuttgart oder Hamburg haben schon seit März geschlossen, Vorstellungen von „Aladdin“oder „König der Löwen“sind erst wieder für April 2021 annonciert. Keine Hallen-touren, keine Konzerte. Und der Kino-start von Steven Spielbergs Neuverfilmung des Klassikers „West Side Story“ist um ein Jahr auf Dezember 2021 verschoben worden. Netflix aber bedient aktuell die Musicalfans: mit „The Prom“.
Der Us-streaming-dienst produziert nun auch in diesem Genre in der Top-liga: Jedenfalls ist Superstar Meryl Streep (singend wie in „Mamma Mia!“) dabei, und zwar als abgetakelte, aber allemal ziemlich narzisstische Broadway-größe Dee Dee Allen, die an der Hotelrezeption ihre Tony Awards auspackt und auf den Tresen knallt, um dem Wunsch nach einer angemessenen Suiten-übernachtung Nachdruck zu verleihen – nur kennt sie der Portier im Mittleren Westen nicht. Das ist witzig. Und traurig, weil selbstironische Musical-jokes auch den Finger in die Wunde legen, dass in der Corona-pandemie am New Yorker Broadway seit dem Frühjahr Friedhofsruhe herrscht.
Bigotte Eltern
Aber worum geht es in dieser Adaption des gleichnamigen Musicals von Matthew Sklar und Chad Beguelin von 2018, das Ryan Murphy inszenierte? „The Prom“steht für das Heiligste im Leben eines Us-schülers: den Abschlussball. Der wird nun aber in einer Highschool in Indiana vom bigotten, konservativen Elternbeirat abgesagt, weil die lesbische Emma (Jo Ellen Pellmann, herzig, an die junge Kate Winslet erinnernd) angekündigt hat, dort mit ihrer Freundin zu feiern.
Okay, und was hat das mit dem Broadway zu tun? Dort floppt die Produktion eines Musicals über Eleanor Roosevelt, die Menschenrechtsaktivistin war. Dee Dee Allen spielt die Titelrolle – und erhält wie ihre Mitstreiter Barry (James Corden) und Angie (Nicole Kidman) eine vernichtende Kritik in der „New York Times“. Sie kommen aber im Suff, verbunden mit dem schauspielernden Barkeeper Trent (Andrew Rannells), auf die glorreiche Idee, mit einer politisch edlen Pr-aktion ihre Karriere neu zu starten.
Hunger oder Weltfrieden ist gerade nicht so angesagt als Thema, Diversity aber schon. Und weil Emma zufällig ihr Leid twittert, bricht das infernalische, queere Gute-laute-quartett nach Indiana auf, um dem Landei beizustehen. Das wäre eigentlich nicht nötig, aber egal. Die New Yorker überrollen die Szene wie ein Monstertruck. Beide Handlungsstränge sind brachial verbunden, mit eher altmodischen Big-band-nummern, schmalztriefenden Feel-good-balladen und bonbonbunten Kulissen. Dann passiert, was passieren muss in einem Musical, bis Emma glücklich werden kann: Herzschmerz, Katastrophen und triefendes Pathos. Und selbstverständlich müssen auch die Broadwayhelden ein bisschen gut werden fürs Happy End, also weniger egozentrisch.
Das Trump-amerika hat noch ein paar andere Probleme, vor allem den Rassismus, aber ein neues Black-lives-matter-musical wird sicher bald kommen. Aber auch „The Prom“basiert auf einer wahren Geschichte. Und wenigstens bei Netflix lautet in dieser stillen Weihnachtszeit die Musical-parole: „It’s Time To Dance“.