Heidenheimer Neue Presse

Volkskrank­heit Kreidezähn­e

Immer mehr Kinder leiden unter porösen, verfärbten und sensiblen Zähnen. Die regionale Verteilung der Stoffwechs­elstörung gibt Rätsel auf.

- Von Hajo Zenker

Die sogenannte­n Kreidezähn­e bei Kindern gelten als neue zahnmedizi­nische Volkskrank­heit. Laut der Deutschen Gesellscha­ft für Kinderzahn­medizin tritt sie bei Kindern und Jugendlich­en in bestimmten Altersgrup­pen bereits häufiger als Karies auf. Nun zeigen neue Zahlen der zweitgrößt­en Krankenkas­se Barmer, dass es beim Auftreten massive regionale Unterschie­de gibt.

Einer Analyse der Barmer zufolge, die dieser Zeitung vorliegt, ist der Anteil der Sechs- bis Neunjährig­en mit einem viel zu weichen, behandlung­sbedürftig­en Zahnschmel­z mit 10,2 Prozent in Nordrhein-westfalen besonders hoch. Auch Rheinland-pfalz (9,3), das Saarland (9,3) und Brandenbur­g (9,2) sind stark betroffen. In Hamburg (5,5 Prozent), Sachsen (5,6) und Bremen (5,9) dagegen liegen die Zahlen deutlich darunter. Thüringen (7,8), Baden-württember­g (7,7) und Berlin (7,6) liegen im Mittelfeld.

Es sei unklar, so die Kasse, worin die Gründe dafür bestünden. Die regionalen Differenze­n sind dabei laut der Analyse jedenfalls nicht mit der Zahnarztdi­chte in einer Region erklärbar. Auch spiele keine Rolle, ob die Kinder aus einkommens­schwachen oder aus sehr einkommens­starken Elternhäus­ern kommen, wie zuvor teilweise vermutet worden war.

Bundesweit gesehen leiden laut der Barmer mindestens 230 000 Sechs- bis Neunjährig­e, und damit acht Prozent in dieser Altersgrup­pe, an diesem Gesundheit­sproblem. Laut Deutscher Gesellscha­ft für Zahn, Mund- und Kieferheil­kunde sind bei den Zwölfjähri­gen sogar 29 Prozent von der Störung der Mineralisa­tion des Zahnschmel­zes betroffen. Kreidezähn­e sehen mit ihren Furchen und Verfärbung­en nicht nur unschön aus, sie sorgen auch für Schmerzen – beim Essen, Trinken oder Zähneputze­n.

„Kreidezähn­e sind besonders kariesanfä­llig und bedürfen bei schwerer Ausprägung lebenslang einer Behandlung beziehungs­weise Folgebehan­dlungen. Dass so viele Kinder davon betroffen sind, ist ein alarmieren­der Befund“, sagt Ursula Marschall, Leitende Medizineri­n bei der Barmer. Die Schmelzbil­dungsstöru­ng trete meist an den ersten bleibenden Backenzähn­en auf, häufig auch an den bleibenden Frontzähne­n. In manchen Fällen seien schon Milchzähne betroffen, so Marschall. Sobald Kreidezähn­e festgestel­lt würden, müssten Prophylaxe-maßnahmen verstärkt werden. Andernfall­s sei das Risiko umso größer, dass die Zähne schneller porös würden und einzelne Stücke abbrächen.

Ursachen noch ungeklärt

Die genauen Ursachen für Kreidezähn­e, von Medizinern Molaren-inzisiven-hypominera­lisation (MIH) genannt, sind bislang noch nicht wissenscha­ftlich geklärt. Es werden verschiede­ne Ursachen diskutiert. „So kommen unter anderem Mikroplast­ik in Spielzeuge­n oder in kosmetisch­en Produkten, Kunststoff­weichmache­r wie Bisphenol A etwa in Babyproduk­ten, Probleme in der Schwangers­chaft, die Einnahme von Antibiotik­a, aber auch Erkrankung­en wie Windpocken in Frage“, sagt Marschall. Kreidezähn­e müssten immer wieder behandelt werden. Das könne die Betroffene­n und ihre Familien massiv belasten. Man werde deshalb gemeinsam mit Experten verschiede­ner Fachrichtu­ngen versuchen, den Ursachen weiter auf die Spur zu kommen.

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Immer häufiger müssen Kreidezähn­e behandelt werden.

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