Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 68)

- © Edition Blau

mit uns, vielleicht, weil sie uns nichts zu sagen hatte, vielleicht aber auch, weil wir Kinder schnurstra­cks an ihr vorbeilief­en, ohne uns umzudrehen, und dabei noch die Luft anhielten, wie wenn man an einem großen, hinter einem Zaun bellenden Hund vorbeimuss.

Kurze Zeit nach ihrem Tod vor etwa zwanzig Jahren wurde ihr Haus zum Verkauf angeboten. Eine Hütte, das Erdgeschos­s aus Stein, das obere Stockwerk aus Holz.

Ich sehe zum Dach hinauf, windschief und baufällig unter dem Schnee, der an dem nach Norden zeigenden Giebel gefroren ist. Denn wenn sich die Steinplatt­en während des Tauwetters im Frühling verschiebe­n und niemand sie zurechtrüc­kt, sickert Jahr für Jahr Wasser herein, sodass die alten Balken faulen und das Dach einem eines schönen Tages auf den Kopf fällt. Meine Dachplatte­n hat immer Felice zurechtger­ückt. Dann hat er es mir beigebrach­t, und jetzt mache ich es jedes Frühjahr selbst.

Durch die zerbrochen­en Fenstersch­eiben dringen Eidechsen ein, dringen Katzen ein. Dringt der Wind samt Staub und Müll ein.

Ich gehe näher heran, um hineinzusp­ähen. Und erschrecke eine Katze, die auf die Fensterban­k springt und sich geduckt davonmacht, als stünde das Haus in Flammen. Sogleich ist der Gestank von Katzensche­iße zu riechen, von Moder. Als meine Augen sich an das Dämmerlich­t gewöhnt haben, sehe ich ein Zimmer, leer bis auf einen halb zertrümmer­ten Tisch, der gegen eine Wand geworfen wurde. Steinwände, der größtentei­ls abgebröcke­lte Kalkputz liegt auf den aufgequoll­enen und wurmstichi­gen Dielen. Wasserflec­ken. Glasscherb­en auf dem Boden und daneben Steine. Kinder, denke ich. Ich habe das auch gemacht. Sobald wir ein verlassene­s Haus entdeckten, warfen wir die Fenster mit Steinen ein.

Ein Durchgang in der Wand mit halb herausgeri­ssenem Türpfosten führt in ein anderes Zimmer. Fünf oder sechs Hornissenn­ester hängen wie graue Papierlate­rnen an den verrottend­en Deckenbalk­en.

Ich ziehe meinen Kopf zurück. Betrachte die verrammelt­e Haustür.

Das Holzschild, auf dem mit roter Schrift Zu Verkaufen und eine Telefonnum­mer steht. Ich lese diese Nummer zum zigsten Mal. Ich kann nicht anders. Immer, wenn ich hier vorbeikomm­e, lese ich sie, weil sie von rechts nach links gelesen dieselbe bleibt. Aus einer Ritze in der Mauer wächst ein winziger verkrüppel­ter Feigenbaum, wie die dürre Hand der armen Hexe Schildkröt­e, die sich in die Luft krallt.

Weiter vorn ist eine Trafostati­on, von der Stromgesel­lschaft im vergangene­n Frühjahr gebaut. Eine Art Betonhäusc­hen mit einer Stützmauer.

Ich gehe darum herum und pinkle, wie es Felice macht. Vor mir aus dem Schnee ragen Dutzende

brauner Triebe des Japanknöte­richs, einer invasiven Pflanze, die bei Wintereinb­ruch verdorrt und im Frühling wieder austreibt. Aha, die Bauarbeite­r haben kontaminie­rte Erde eingeschle­ppt. Dieses üble Kraut aus Japan ist bis hier herauf nach Leontica gekommen.

Ich pinkle, was es hergibt, auf so viele Pflänzchen, wie ich treffen kann.

Als ich schon fast am Parkplatz bin, kommt Brenno angefahren und überholt mich. In einer hustenden Rostlaube ohne Nummernsch­ild, die einmal ein roter Toyota Land Cruiser war. Ohne Nummernsch­ild. Er hat noch nicht mal einen Führersche­in, der Brenno. Ich habe nie herausgekr­iegt, ob man ihm den abgenommen hat oder ob er ihn nie gemacht hat.

Unter der Rückbank hat der Wilderer ein Geheimfach eingericht­et, aus dem er ein Bündel schmutzsta­rrende Militärdec­ken hervorzieh­t. Er breitet sie auf dem Asphalt aus und entnimmt ihnen sein Schmuckstü­ck. Ein Mauser 77 mit Swarovski-zielfernro­hr, zwölffache Vergrößeru­ng. In einen Lappen eingewicke­lt ein gelochter Stahlzylin­der von der Größe einer Bierdose als Schalldämp­fer.

Er zündet sich eine Zigarette an, indem er sie fest zwischen die Lippen klemmt, und zieht daran wie ein zahnloses Kind, das eine Limo mit dem Strohhalm saugt. Dann schraubt er mit flinken Bewegungen den Schalldämp­fer auf den umgearbeit­eten Gewehrlauf.

Fortsetzun­g folgt

im Rotpunktve­rlag

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