„Eine Serie erreicht viel mehr Leute“
„The Crown“fesselt die Zuschauer – auch wegen der scheinbaren Realitätsnähe der Produktion. Doch was ist mit den Persönlichkeitsrechten der englischen Royals? Eine Juristin erklärt die Probleme.
Es ist eine Frage, die nun auch Anwälte und Gerichte umtreibt: Dürfen Serien wie „The Crown“das Privatleben von noch lebenden Personen im Film auswalzen? Dürfen sie Details erfinden, die den Zuschauern das Gefühl vermitteln, die Filmhandlung wäre die Wirklichkeit? Über den Umfang und Wandel der Persönlichkeitsrechte sprach Merle Hilbk mit der Juristin Nika Witteborg-erdmann, die an der Universität Heidelberg „Schutz der Persönlichkeitsrechte im Privatrecht“lehrt.
Frau Witteborg-erdmann, darf man das Privatleben der Königsfamilie ohne Einwilligung für eine Unterhaltungsserie benutzen?
Nika Witteborg-erdmann:
Das Leben berühmter Persönlichkeiten wurde schon immer in der Kunst benutzt und auch vermarktet. Menschen, die in besonderem Maße in der Öffentlichkeit stehen, müssen das in einem gewissen Maße hinnehmen, das ist Teil und der Preis des Celebrity-status’ – und in diesem Fall auch Teil des Jobs, der ja mit Öffentlichkeit und Repräsentation verbunden ist. Das aber, was wie eine neue Dimension erscheint und nun zu Diskussionen führt, ist vor allem der Wirkmacht von bewegten Bildern geschuldet. Ein Film, noch dazu ein so effektvoll inszenierter, prägt sich in der Vorstellung natürlich ganz anders ein als ein Roman. Es bleibt weit weniger Raum für eigene Interpretationen, für Fragen und Zweifel.
Sehen Sie einen Unterschied zwischen einem Kinofilm und einer Fernsehserie?
Eine Netflix-serie erreicht natürlich viel mehr Leute als ein Film, der nur in ausgewählten Kinos läuft. Jeder kann sie jederzeit an fast jedem Ort der Welt anschauen – über den gleichen Bildschirm, über den er vielleicht kurz zuvor Nachrichten gesehen hat. Das macht es schwerer, eine Grenze zu ziehen zwischen Wirklichkeit und Fiktion. In der Corona-zeit, in der wir mit der Welt im großen Maße virtuell in Kontakt stehen, verschwimmt diese Grenze noch mehr.
Gibt es deshalb nun einen stärkeren Schutz der Persönlichkeitsrechte?
Persönlichkeitsrechte sind juristisch ein sehr kompliziertes Thema. Es gibt in Deutschland kein Gesetz, das umfassend beschreibt, was da wie weit geschützt ist, sondern nur einzelne gesetzliche Regelungen: Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist das beispielsweise der § 823 Abs. 1, der besagt, dass derjenige, der einen anderen in einem „sonstigen Recht“widerrechtlich verletzt, den daraus entstehenden Schaden ersetzen muss. Außerdem kann er einen
Unterlassungsanspruch nach § 1004 analog geltend machen. Das Wort „Persönlichkeit“taucht nirgendwo auf.
Warum nicht?
Das BGB trat am 1.1.1900 in Kraft. Da ging es mehr um den Schutz der Ehre. 1949 trat das Grundgesetz (GG) in Kraft, das zum einen in Artikel 2 Abs. 1 GG jedem das
Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit einräumt – sofern er nicht die Rechte anderer verletzt. In Artikel 1 wird die Würde des Menschen für unantastbar erklärt. Aus diesen beiden Artikeln leitet sich verfassungsrechtlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht ab. Ein Grundrecht ist aber kein Recht, das ein Bürger gegenüber einem anderen einklagen könnte. Dafür braucht er zum Beispiel die eben erwähnten Paragraphen im BGB.
Wie prüft das Gericht denn diese Verletzung? Welche Fragen muss es sich stellen?
Es muss erst mal definieren, was genau dieses Persönlichkeitsrecht im konkreten Fall umfasst. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür Kategorien definiert: Die Selbstbestimmung über die eigene Identität, die „Selbstbewahrung“, das heißt, das Recht, sich abzuschirmen. Schließlich die Selbstdarstellung und das Recht, sich herabsetzender oder entstellender öffentlicher Darstellungen zu erwehren.
Das klingt doch so, als ob beispielsweise Prinz Harry gute Chancen hätte, gegen The Crown vorzugehen?
Sofern das die Darstellung seiner Person angeht, könnte man möglicherweise eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes feststellen. Was die 1997 verunglückte Diana angeht… in bestimmten Fällen können sogenannte postmortale Persönlichkeitsrechte von Angehörigen eingeklagt werden.
Aber selbst die Feststellung einer Verletzung würde noch nicht für einen Unterlassungsanspruch ausreichen...
Nein, das Gericht muss noch zu dem Schluss kommen, dass diese Persönlichkeitsrechtsverletzung rechtswidrig ist. Die Reichweite des Schutzes ist ja eben nicht allgemein festgelegt. Vielleicht wird die andere Seite durch ein Verbot ebenso in einem ihrer Grundrechte verletzt, in diesem Falle die ebenfalls in der Verfassung geschützte Meinungs- und die Kunstfreiheit. Nun wird abgewogen. Bei dieser Abwägung, wer wo zurückstecken muss, fließen viele Faktoren mit ein. In Deutschland haben Prominente es mitunter schwer, sofern es sich um Aspekte handelt, die für die Öffentlichkeit interessant sind. In Frankreich spielt die Privatsphäre dagegen eine größere Rolle. In England ist das Presserecht ein hohes Gut – weswegen die Boulevardmedien sich da tendenziell mehr erlauben können.
Und das macht es umso schwerer, etwas gegen eine global ausgestrahlte Serie zu unternehmen?
Die Frage ist: wo kann ich klagen, welches Recht ist anwendbar? Hinzu kommt, dass es der Schutz der Privatsphäre im Zeitalter der Digitalisierung schwer hat. Wir machen Videokonferenzen von zu Hause aus, verbreiten private Fotos und Nachrichten in sozialen Netzwerken. Insofern ist es möglich, dass ein Gericht bei dieser Abwägung auch in Deutschland dem Persönlichkeitsschutz heute einen geringeren Raum einräumt als der Kunstfreiheit. Denn bei der Abwägung fällt auch das Verhalten des Klägers ins Gewicht. Wenn der begeistert der Selbstdarstellung
Wenn viele Leute klagen, kann dies helfen, den Schutz insgesamt zu stärken.
Nika Witteborg-erdmann
in den Medien frönt, wird man ihm auch einen geringeren Schutz der Privatsphäre zugestehen als einem Einsiedler.
Sind damit Personen, die einen Beruf mit viel Öffentlichkeit haben, in ihrer Privatsphäre grundsätzlich weniger geschützt?
Die Frage ist, ob die Person die Verletzungen jedes Mal einklagen kann und will. Caroline von Hannover hat das ausdauernd bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte getan und hat damit einiges für den Persönlichkeitsschutz von Prominenten in Deutschland erreicht. Was aber die Darstellung der Royals in „The Crown“noch angeht: Je mehr die künstlerische Darstellung den intimen Kernbereich des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss der Drehbuchautor von den realen Ereignissen abweichen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren klargestellt, als Maxim Biller einen Roman schrieb, in dem deutliche Bezüge zu seiner früheren Ex-freundin erkennbar waren, in dem auch „Bettszenen“detailliert beschrieben wurden. Damals musste der Roman vom Markt genommen werden.
Was wäre das Beste für den Persönlichkeitsschutz?
Wenn viele Leute klagen, weil sie sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlen, kann dies helfen, den Schutz insgesamt zu stärken. Zudem sollte sich jeder überlegen, was er selbst von sich öffentlich macht. Und man sollte stets ein bisschen weiter runterscrollen, um der Nutzung der Daten zu widersprechen. Denn auch der Datenschutz dient dem Schutz von Persönlichkeitsrechten.