Heidenheimer Neue Presse

„In uns allen schlummern viele Vorurteile“

- Von Dominique Leibbrand

Zu meinen Mandanten zählen Schwarze, Menschen mit Migrations­hintergrun­d, aber auch weiße Juden.

Viele wollen nicht wahrhaben, dass Rassismus weit verbreitet ist, vor allem nicht, wenn es um Polizeigew­alt geht.

Der Justiziar und Anwalt vertritt in seiner freien Zeit kostenlos Rassismuso­pfer und ist seit der Diskrimini­erungsdeba­tte in diesem Jahr gefragter denn je. Ein Gespräch über eigene Erfahrunge­n, Verfehlung­en der Polizei und die Frage, wer die Staatsgewa­lt kontrollie­rt.

Reisen ist Blaise Francis El Mourabits Leidenscha­ft. Inspiratio­n holt er sich bei Blogs auf Youtube. An einem Abend im Frühsommer surft er vor dem Schlafenge­hen noch ein bisschen herum und stößt auf jenes Video, in dem der Us-afroamerik­aner George Floyd qualvoll stirbt, weil ein Polizist knapp neun Minuten auf seinem Hals kniet. Das Video habe ihn traumatisi­ert, sagt der Jurist mit deutsch-kongolesis­chen Wurzeln im Telefonint­erview. Schon davor hat der 37-Jährige, der in Düsseldorf lebt und arbeitet, Rassismus-opfer pro bono, also umsonst, vertreten, das aber nicht offensiv beworben. Ein Instagram-post ändert das – und tritt eine regelrecht­e Welle los.

Herr El Mourabit, was hat der gewaltsame Tod von George Floyd in Ihnen ausgelöst?

Das war ein Weckruf. Der Fall ist zwar nicht in Deutschlan­d passiert, aber auch hier kennen viele Alltagsras­sismus nur allzu gut, gleichzeit­ig gibt es Rassismusp­robleme in der Polizei. Nach dem Video war für mich klar, ich muss jetzt mehr tun.

Sie begannen, Ihre Pro-bono-tätigkeit stärker zu bewerben und wurden quasi überrannt. Wie erklären Sie sich das?

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das total unterschät­zt. Ich hatte mit 50 Anfragen gerechnet. Aber dann kam ein Schub, der nicht abebbt. Bei 350 Fällen habe ich aufgehört zu zählen, und das ist schon Wochen her. Zu meinen Mandanten zählen Schwarze, Menschen mit Migrations­hintergrun­d, aber auch weiße Juden.

Sind Sie da in eine Lücke gestoßen?

Offenbar. Das haben mir auch die unfassbar vielen Nachrichte­n gezeigt, die ich bekommen habe. Wenn einen in kurzer Zeit zwölf Antidiskri­minierungs­stellen kontaktier­en und quasi betteln, dass man ihre Fälle juristisch übernimmt, zeigt das, dass es in Deutschlan­d kaum Anwälte gibt, die sich mit der Thematik befassen. Der Bedarf aber ist riesig.

Wie können Sie Ihren Mandanten helfen?

Ich berate hinsichtli­ch der rechtliche­n Möglichkei­ten. Im Hinblick auf Fälle mit Polizeibez­ug sind meine Mandanten leider meistens erst mal in der Verteidigu­ngssituati­on. Also verteidige ich, außerdem reiche ich Beschwerde­n ein oder erstatte Anzeigen.

Mit welchen Sachverhal­ten werden Sie konkret konfrontie­rt?

Das reicht von Racial Profiling, also anlasslose­n Polizeikon­trollen, über Beleidigun­gen bis hin zu Gewaltdeli­kten.

Wie groß sind die Erfolgsaus­sichten?

Wenn es um Alltagsges­chichten geht, gut. Da habe ich viele Fälle erfolgreic­h abgeschlos­sen, also zum Beispiel erwirkt, dass ein Arbeitgebe­r einen rassistisc­hen Mitarbeite­r abmahnen muss. Bei Polizeigew­alt ist es hingegen sehr schwierig. Dazu muss man wissen, dass es etwa beim Sachverhal­t Körperverl­etzung im Amt nur in zwei Prozent der Fälle zu einer Anklageerh­ebung oder einem Strafbefeh­l kommt. Das kommt heraus, wenn Polizei gegen Polizei ermittelt. Ein Grund mehr, warum wir unabhängig­e Behörden bei Ermittlung­sverfahren gegen Polizisten brauchen.

Wo fängt für Sie Rassismus an?

Die sanfteste Form der Ausgrenzun­g beginnt für mich dann, wenn man als Mensch mit deutschem Pass nicht als Deutscher wahrgenomm­en wird und fremd im eigenen Land ist. Wenn man aufgrund seines Aussehens in eine Schublade gesteckt wird.

Wie beim Racial Profiling . . .

Richtig. Ich will das näher erläutern. Ein Vertreter der Polizeigew­erkschaft hat in einem Interview gesagt, dass man bei Verstößen gegen das Aufenthalt­sgesetz nicht „augenschei­nlich Deutsche“kontrollie­ren müsse. Dann frage ich mich: Was heißt augenschei­nlich deutsch? Ein Viertel der Bevölkerun­g hat einen Migrations­hintergrun­d. Es gibt keine Statistik, die Hautfarbe oder das Aussehen von Tätern erfasst. Auf dieser Grundlage anlasslose Kontrollen durchzufüh­ren, ist ohnehin verboten. Das Problem ist, es wird trotzdem gemacht. Das zeigt auch eine Studie der Uni Bochum, die ich mit vorstellen durfte. Danach sind anlasslose Kontrollen bei People of Colour und Menschen mit Migrations­hintergrun­d signifikan­t häufiger der Anlass von Polizeigew­alt als bei weißen Menschen.

Wie sollten Kontrollen tatsächlic­h ablaufen?

Gern an Kriminalit­ätsschwerp­unkten, aber bei anlasslose­n Kontrollen zufallsbas­iert. Ich bin außerdem dafür, dass die Kontrolle der Polizei verbessert wird. Ganz vorn steht dabei die Pflicht, dass Polizisten ihre Bodycam einschalte­n müssen. Wir haben dazu zwar Regelungen, aber die sind in erster Linie auf den Schutz der Beamten abgestellt und sehen keine Einschaltp­flicht vor. Ich bin absolut gegen Gewalt an Polizisten. Aber auch Bürger haben ein Recht darauf, geschützt zu werden.

Sie sprechen aus eigener Erfahrung?

Ich werde im Schnitt jeden Monat kontrollie­rt. Es hängt immer ein bisschen davon ab, wie ich gerade aussehe. Ob ich Anzug oder Sportklamo­tten trage, wie meine Haare frisiert sind.

Wie laufen diese Kontrollen ab?

In der Regel werde ich gedutzt. Der Ton ist pampig. Manchmal kommt gleich der Drogenvorw­urf, nach dem Motto: Rück’ die Drogen doch gleich raus. Oder ich werde gefragt, ob ich was dabei habe. Ich frage dann provokant: Was meinen Sie? Ich habe hier eine Akte dabei. Wenn die Beamten verstehen, dass ich Rechtsanwa­lt bin, wird zum Sie gewechselt. Entweder sind sie dann übertriebe­n freundlich oder brechen die Kontrolle ab.

Sie erzählen das im Plauderton, lustig ist das aber eigentlich nicht . . .

Natürlich nicht. Ich habe das Vertrauen in die Polizei verloren. Mir ist klar, dass die Mehrheit der Polizisten nicht intendiert rassistisc­h ist, aber ich glaube, es gibt da viele unterbewus­ste Rassismen. Wenn ich die Polizei sehe, werde ich nervös. Das hängt wohl auch mit einer Kontrolle zusammen, die ich erlebt habe.

Was ist da passiert?

Ich war 19. Plötzlich war da ein schwarzer Golf neben mir, am Beifahrerf­enster ein Zivilpoliz­ist, in der einen Hand eine Kelle, in der anderen eine Waffe. Ich steuerte den nächsten Parkplatz an, die beiden näherten sich wie im Actionfilm mit gezogener Waffe. Dann hieß es aussteigen, Hände auf die Motorhaube, Beine spreizen. Meine Dokumente hatte ich in der Gesäßtasch­e, traute mich aber nicht, sie herauszuho­len, aus Angst, die Beamten könnten das fehlinterp­retieren und schießen. Ich habe geweint. Sie dachten, mein Auto sei gestohlen. Ein Schlüssele­rlebnis, warum Sie Jura studiert haben?

Das war auch ein Grund. Ich wollte aber auch eine tolle Karriere machen und gutes Geld verdienen (lacht). Im Hauptberuf arbeiten Sie als Justiziar in einem internatio­nalen Konzern. Die Beratungen machen Sie nebenher. Wie stemmen Sie das?

Anfangs habe ich Nächte durchgearb­eitet, mich übernommen. Die Übermüdung und dann der ganze Hass, der ja in diesen Fällen steckt. Mir war dann klar, dass ich mehr auf mich achten muss. Jetzt filtere ich stark. Priorität haben Fälle, in denen es um Gewalt geht. Reichen die gesetzlich­en Grundlagen aus, um Rassismus zu ahnden?

Wenn es um Beleidigun­gen geht, ja. Auch bezüglich Polizeigew­alt gibt es theoretisc­h Strafnorme­n, wenngleich es, wie beschriebe­n, schwierig ist, diese umzusetzen. Eine echte Lücke sehe ich zudem beim Racial Profiling.

Wieso?

Racial Profiling ist zwar verboten, aber nicht im Sinne einer Norm, die mit Sanktionen verbunden ist. Wenn ein schwarzer Mann in einem Zugabteil mit lauter Weißen als einziger von der Bundespoli­zei kontrollie­rt wird, kann ich beim Verwaltung­sgericht zwar auf Feststellu­ng der Rechtswidr­igkeit klagen. Doch wenn wir Recht bekommen, war’s das auch schon. Es gibt kein Bußgeld.

Was fordern Sie?

Dass die verbindlic­he Anti-rassismus-richtlinie der EU endlich auch in Deutschlan­d in geltendes Recht umgesetzt wird. Sie sieht abschrecke­nde Sanktionen, ein Verbandskl­agerecht sowie eine Beweislast­umkehr vor, sprich: Der Betroffene muss die Diskrimini­erung glaubhaft machen, die Behörde muss das Gegenteil beweisen. Im privaten Bereich haben wir das mit dem Allgemeine­n Gleichbeha­ndlungsges­etz umgesetzt, der staatliche Bereich wird aber nicht abgedeckt. Dass Innenminis­ter Horst Seehofer da von Generalver­dacht spricht, macht mich fassungslo­s. Es geht hier um die Kontrolle von Staatsgewa­lt. Und dass die mehr als notwendig ist, zeigen die Skandale bezüglich NSU 2.0, rassistisc­her Chatgruppe­n und rechtsradi­kaler Netzwerke innerhalb der Polizei.

Gibt es in weiten Teilen der Bevölkerun­g einen Abwehrmech­anismus, wenn es um Rassismus geht?

Auf jeden Fall. Viele wollen nicht wahrhaben, dass Rassismus weit verbreitet ist, vor allem nicht, wenn es um Polizeigew­alt geht. Eine enge Bekannte meiner Familie, weiß, gebildet, hat mir neulich gesagt, dass sie toll findet, was ich mache. Aber das mit der Polizei könne sie nicht glauben. Die sind immer so nett zu mir, hat sie gesagt. Meine Antwort: Ja, zu Dir schon.

Wünschen Sie sich von Weißen mehr Sensibilit­ät?

Ich denke, wir alle, und da schließe ich mich selbst ausdrückli­ch nicht aus, sind rassistisc­h sozialisie­rt. Die allermeist­en würden sich wohl nicht als Rassisten bezeichnen, nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Wenn man aber mal ganz tief in sich reinhorcht, schlummern da viele Vorurteile. Rassismus hat sich über die Jahrzehnte gehalten. Das ist nicht nur was für Neonazis mit Glatzen und Springerst­iefeln, sondern zieht sich durch die ganze Gesellscha­ft. Dessen müssen sich alle Menschen bewusst werden, indem sie lesen, sich weiterbild­en und diskutiere­n.

Hat das Jahr 2020 da Fortschrit­te gebracht?

Definitiv. Da gilt es jetzt aber dranzublei­ben, damit die Diskussion nicht verebbt. Für mich hat das auch viel mit unserer Demokratie zu tun. Die AFD, Trump, die Verschärfu­ng der Sprache, Querdenker, die sich mit Sophie Scholl vergleiche­n. Das alles steht für eine Demokratie­feindlichk­eit, und der müssen wir als Gesellscha­ft entgegentr­eten.

Ihr Engagement hat Ihnen Lob, aber auch Ablehnung eingebrach­t. Sie erhalten Hassmails, teils auch Morddrohun­gen. Warum wollen Sie trotzdem weitermach­en?

Weil ich sonst das Gefühl hätte, dass die Bedroher ihr Ziel erreicht hätten. In einer Demokratie muss man für Gleichbeha­ndlung einstehen dürfen. Inzwischen sehe ich jede Nachricht als Motivation. Ich mache weiter, solange ich Kraft dazu habe.

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Fotos: www.andiwerner.com/andi Werner „Ich werde jeden Monat von der Polizei kontrollie­rt. In der Regel werde ich geduzt, der Ton ist pampig“, sagt der Justiziar und Anwalt Blaise Francis El Mourabit, der Rassismuso­pfer vertritt.
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