„In uns allen schlummern viele Vorurteile“
Zu meinen Mandanten zählen Schwarze, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch weiße Juden.
Viele wollen nicht wahrhaben, dass Rassismus weit verbreitet ist, vor allem nicht, wenn es um Polizeigewalt geht.
Der Justiziar und Anwalt vertritt in seiner freien Zeit kostenlos Rassismusopfer und ist seit der Diskriminierungsdebatte in diesem Jahr gefragter denn je. Ein Gespräch über eigene Erfahrungen, Verfehlungen der Polizei und die Frage, wer die Staatsgewalt kontrolliert.
Reisen ist Blaise Francis El Mourabits Leidenschaft. Inspiration holt er sich bei Blogs auf Youtube. An einem Abend im Frühsommer surft er vor dem Schlafengehen noch ein bisschen herum und stößt auf jenes Video, in dem der Us-afroamerikaner George Floyd qualvoll stirbt, weil ein Polizist knapp neun Minuten auf seinem Hals kniet. Das Video habe ihn traumatisiert, sagt der Jurist mit deutsch-kongolesischen Wurzeln im Telefoninterview. Schon davor hat der 37-Jährige, der in Düsseldorf lebt und arbeitet, Rassismus-opfer pro bono, also umsonst, vertreten, das aber nicht offensiv beworben. Ein Instagram-post ändert das – und tritt eine regelrechte Welle los.
Herr El Mourabit, was hat der gewaltsame Tod von George Floyd in Ihnen ausgelöst?
Das war ein Weckruf. Der Fall ist zwar nicht in Deutschland passiert, aber auch hier kennen viele Alltagsrassismus nur allzu gut, gleichzeitig gibt es Rassismusprobleme in der Polizei. Nach dem Video war für mich klar, ich muss jetzt mehr tun.
Sie begannen, Ihre Pro-bono-tätigkeit stärker zu bewerben und wurden quasi überrannt. Wie erklären Sie sich das?
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das total unterschätzt. Ich hatte mit 50 Anfragen gerechnet. Aber dann kam ein Schub, der nicht abebbt. Bei 350 Fällen habe ich aufgehört zu zählen, und das ist schon Wochen her. Zu meinen Mandanten zählen Schwarze, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch weiße Juden.
Sind Sie da in eine Lücke gestoßen?
Offenbar. Das haben mir auch die unfassbar vielen Nachrichten gezeigt, die ich bekommen habe. Wenn einen in kurzer Zeit zwölf Antidiskriminierungsstellen kontaktieren und quasi betteln, dass man ihre Fälle juristisch übernimmt, zeigt das, dass es in Deutschland kaum Anwälte gibt, die sich mit der Thematik befassen. Der Bedarf aber ist riesig.
Wie können Sie Ihren Mandanten helfen?
Ich berate hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten. Im Hinblick auf Fälle mit Polizeibezug sind meine Mandanten leider meistens erst mal in der Verteidigungssituation. Also verteidige ich, außerdem reiche ich Beschwerden ein oder erstatte Anzeigen.
Mit welchen Sachverhalten werden Sie konkret konfrontiert?
Das reicht von Racial Profiling, also anlasslosen Polizeikontrollen, über Beleidigungen bis hin zu Gewaltdelikten.
Wie groß sind die Erfolgsaussichten?
Wenn es um Alltagsgeschichten geht, gut. Da habe ich viele Fälle erfolgreich abgeschlossen, also zum Beispiel erwirkt, dass ein Arbeitgeber einen rassistischen Mitarbeiter abmahnen muss. Bei Polizeigewalt ist es hingegen sehr schwierig. Dazu muss man wissen, dass es etwa beim Sachverhalt Körperverletzung im Amt nur in zwei Prozent der Fälle zu einer Anklageerhebung oder einem Strafbefehl kommt. Das kommt heraus, wenn Polizei gegen Polizei ermittelt. Ein Grund mehr, warum wir unabhängige Behörden bei Ermittlungsverfahren gegen Polizisten brauchen.
Wo fängt für Sie Rassismus an?
Die sanfteste Form der Ausgrenzung beginnt für mich dann, wenn man als Mensch mit deutschem Pass nicht als Deutscher wahrgenommen wird und fremd im eigenen Land ist. Wenn man aufgrund seines Aussehens in eine Schublade gesteckt wird.
Wie beim Racial Profiling . . .
Richtig. Ich will das näher erläutern. Ein Vertreter der Polizeigewerkschaft hat in einem Interview gesagt, dass man bei Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz nicht „augenscheinlich Deutsche“kontrollieren müsse. Dann frage ich mich: Was heißt augenscheinlich deutsch? Ein Viertel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Es gibt keine Statistik, die Hautfarbe oder das Aussehen von Tätern erfasst. Auf dieser Grundlage anlasslose Kontrollen durchzuführen, ist ohnehin verboten. Das Problem ist, es wird trotzdem gemacht. Das zeigt auch eine Studie der Uni Bochum, die ich mit vorstellen durfte. Danach sind anlasslose Kontrollen bei People of Colour und Menschen mit Migrationshintergrund signifikant häufiger der Anlass von Polizeigewalt als bei weißen Menschen.
Wie sollten Kontrollen tatsächlich ablaufen?
Gern an Kriminalitätsschwerpunkten, aber bei anlasslosen Kontrollen zufallsbasiert. Ich bin außerdem dafür, dass die Kontrolle der Polizei verbessert wird. Ganz vorn steht dabei die Pflicht, dass Polizisten ihre Bodycam einschalten müssen. Wir haben dazu zwar Regelungen, aber die sind in erster Linie auf den Schutz der Beamten abgestellt und sehen keine Einschaltpflicht vor. Ich bin absolut gegen Gewalt an Polizisten. Aber auch Bürger haben ein Recht darauf, geschützt zu werden.
Sie sprechen aus eigener Erfahrung?
Ich werde im Schnitt jeden Monat kontrolliert. Es hängt immer ein bisschen davon ab, wie ich gerade aussehe. Ob ich Anzug oder Sportklamotten trage, wie meine Haare frisiert sind.
Wie laufen diese Kontrollen ab?
In der Regel werde ich gedutzt. Der Ton ist pampig. Manchmal kommt gleich der Drogenvorwurf, nach dem Motto: Rück’ die Drogen doch gleich raus. Oder ich werde gefragt, ob ich was dabei habe. Ich frage dann provokant: Was meinen Sie? Ich habe hier eine Akte dabei. Wenn die Beamten verstehen, dass ich Rechtsanwalt bin, wird zum Sie gewechselt. Entweder sind sie dann übertrieben freundlich oder brechen die Kontrolle ab.
Sie erzählen das im Plauderton, lustig ist das aber eigentlich nicht . . .
Natürlich nicht. Ich habe das Vertrauen in die Polizei verloren. Mir ist klar, dass die Mehrheit der Polizisten nicht intendiert rassistisch ist, aber ich glaube, es gibt da viele unterbewusste Rassismen. Wenn ich die Polizei sehe, werde ich nervös. Das hängt wohl auch mit einer Kontrolle zusammen, die ich erlebt habe.
Was ist da passiert?
Ich war 19. Plötzlich war da ein schwarzer Golf neben mir, am Beifahrerfenster ein Zivilpolizist, in der einen Hand eine Kelle, in der anderen eine Waffe. Ich steuerte den nächsten Parkplatz an, die beiden näherten sich wie im Actionfilm mit gezogener Waffe. Dann hieß es aussteigen, Hände auf die Motorhaube, Beine spreizen. Meine Dokumente hatte ich in der Gesäßtasche, traute mich aber nicht, sie herauszuholen, aus Angst, die Beamten könnten das fehlinterpretieren und schießen. Ich habe geweint. Sie dachten, mein Auto sei gestohlen. Ein Schlüsselerlebnis, warum Sie Jura studiert haben?
Das war auch ein Grund. Ich wollte aber auch eine tolle Karriere machen und gutes Geld verdienen (lacht). Im Hauptberuf arbeiten Sie als Justiziar in einem internationalen Konzern. Die Beratungen machen Sie nebenher. Wie stemmen Sie das?
Anfangs habe ich Nächte durchgearbeitet, mich übernommen. Die Übermüdung und dann der ganze Hass, der ja in diesen Fällen steckt. Mir war dann klar, dass ich mehr auf mich achten muss. Jetzt filtere ich stark. Priorität haben Fälle, in denen es um Gewalt geht. Reichen die gesetzlichen Grundlagen aus, um Rassismus zu ahnden?
Wenn es um Beleidigungen geht, ja. Auch bezüglich Polizeigewalt gibt es theoretisch Strafnormen, wenngleich es, wie beschrieben, schwierig ist, diese umzusetzen. Eine echte Lücke sehe ich zudem beim Racial Profiling.
Wieso?
Racial Profiling ist zwar verboten, aber nicht im Sinne einer Norm, die mit Sanktionen verbunden ist. Wenn ein schwarzer Mann in einem Zugabteil mit lauter Weißen als einziger von der Bundespolizei kontrolliert wird, kann ich beim Verwaltungsgericht zwar auf Feststellung der Rechtswidrigkeit klagen. Doch wenn wir Recht bekommen, war’s das auch schon. Es gibt kein Bußgeld.
Was fordern Sie?
Dass die verbindliche Anti-rassismus-richtlinie der EU endlich auch in Deutschland in geltendes Recht umgesetzt wird. Sie sieht abschreckende Sanktionen, ein Verbandsklagerecht sowie eine Beweislastumkehr vor, sprich: Der Betroffene muss die Diskriminierung glaubhaft machen, die Behörde muss das Gegenteil beweisen. Im privaten Bereich haben wir das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt, der staatliche Bereich wird aber nicht abgedeckt. Dass Innenminister Horst Seehofer da von Generalverdacht spricht, macht mich fassungslos. Es geht hier um die Kontrolle von Staatsgewalt. Und dass die mehr als notwendig ist, zeigen die Skandale bezüglich NSU 2.0, rassistischer Chatgruppen und rechtsradikaler Netzwerke innerhalb der Polizei.
Gibt es in weiten Teilen der Bevölkerung einen Abwehrmechanismus, wenn es um Rassismus geht?
Auf jeden Fall. Viele wollen nicht wahrhaben, dass Rassismus weit verbreitet ist, vor allem nicht, wenn es um Polizeigewalt geht. Eine enge Bekannte meiner Familie, weiß, gebildet, hat mir neulich gesagt, dass sie toll findet, was ich mache. Aber das mit der Polizei könne sie nicht glauben. Die sind immer so nett zu mir, hat sie gesagt. Meine Antwort: Ja, zu Dir schon.
Wünschen Sie sich von Weißen mehr Sensibilität?
Ich denke, wir alle, und da schließe ich mich selbst ausdrücklich nicht aus, sind rassistisch sozialisiert. Die allermeisten würden sich wohl nicht als Rassisten bezeichnen, nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Wenn man aber mal ganz tief in sich reinhorcht, schlummern da viele Vorurteile. Rassismus hat sich über die Jahrzehnte gehalten. Das ist nicht nur was für Neonazis mit Glatzen und Springerstiefeln, sondern zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Dessen müssen sich alle Menschen bewusst werden, indem sie lesen, sich weiterbilden und diskutieren.
Hat das Jahr 2020 da Fortschritte gebracht?
Definitiv. Da gilt es jetzt aber dranzubleiben, damit die Diskussion nicht verebbt. Für mich hat das auch viel mit unserer Demokratie zu tun. Die AFD, Trump, die Verschärfung der Sprache, Querdenker, die sich mit Sophie Scholl vergleichen. Das alles steht für eine Demokratiefeindlichkeit, und der müssen wir als Gesellschaft entgegentreten.
Ihr Engagement hat Ihnen Lob, aber auch Ablehnung eingebracht. Sie erhalten Hassmails, teils auch Morddrohungen. Warum wollen Sie trotzdem weitermachen?
Weil ich sonst das Gefühl hätte, dass die Bedroher ihr Ziel erreicht hätten. In einer Demokratie muss man für Gleichbehandlung einstehen dürfen. Inzwischen sehe ich jede Nachricht als Motivation. Ich mache weiter, solange ich Kraft dazu habe.