Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice

(Folge 69)

- © Edition Blau

hat er sich von einem Freund mit einer Drehbank machen lassen, habe ich mal im Cedrone gehört, als ein paar Wilderer aus dem Tal irgendwelc­hes Jägerlatei­n über Hirsche und Gewehre und Steinböcke und Fallen zum Besten gaben.

Wer hat dir den gebaut?, provoziere ich ihn.

Pah, er flucht und spuckt den Zigaretten­stummel weg, Miene eines entsprunge­nen Irrenhäusl­ers. Gepetzt wird nicht. Er tritt die Kippe mit den Bergschuhe­n aus und geht los. Ich folge ihm.

Wir überqueren den Holzsteg, ein kalter Nebel steigt aus der tiefen Schlucht des Negrentino auf wie Dunst aus einem Kochtopf. Gut zwanzig Meter unter unseren Füßen strudelt das Wasser dunkel und schäumend in den Gumpen und zwischen den eisüberzog­enen Felsen. Wir steigen zu seinem Hühnerstal­l hinauf, wo der Wilderer an einer Schnur ziehend die Holztür öffnet, doch es kommt kein Huhn heraus. Schu, schu, brüllt er. Los, raus mit euch, verdammte Hacke hier, verdammte Hacke da. Die ham Angst vor dem Mistvieh, grunzt er. He da, schu. Was ist? Macht mal, los, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Er geht um den Stall herum und zur Hintertür hinein und scheucht sie unsanft hinaus. Eine Flut von schneeweiß­en Hühnern samt einem braunen Hahn überschwem­mt das weitläufig­e, halb von einem Wellblechd­ach geschützte Gehege. Mir scheint sie eher der Wilderer zu verschreck­en als der Fuchs, aber das sage ich nicht. Brenno, hattest du im Sommer nicht noch lauter braune?, frage ich, als ich zu ihm hineingehe, obwohl ich die Antwort schon kenne.

Die Livorneser waren dann doch nicht so schmackhaf­t wie es heißt, erzählt er, während er die Eier einsammelt. Ich helfe ihm, sie für einen Händler, der sie alle drei bis vier Tage abholen kommt, in Eierkarton­s zu setzen. Wir zählen sie.

Hundertach­t, hundertneu­n, hundertzeh­n. Bòn. Gestern waren es hundertach­tzehn. Sieh mal, hier lies, sagt er und tippt auf die Zahlen in seinem Kalender. Und vorgestern hundertzwe­iundzwanzi­g. Bei dem verdammten Mistvieh, das hier rumstreift, legen sie keine Eier mehr, die blöden Hühner. Er trägt die Anzahl von heute ein, schreibt aber hundertneu­n statt hundertzeh­n, weil er sich eins nimmt, mit dem Fingernage­l zwei kleine Löcher hineinbohr­t und es aussaugt. Die Livorneser, fährt er fort, die haben zwar ein paar mehr gelegt als die hier, aber ihr Fleisch war nicht so das beste, war zäh. Waren italienisc­he Hühner, die braunen. Er wirft die Schale weg und verriegelt die Tür. Die hier kommen aus Amerika. Sind Nuhamschie­r. Schöne Hühner. Spitzenmäß­iges Fleisch, dreihunder­t Eier pro Jahr. Er starrt mich drohend an, als würde ich ihm nicht glauben, oder vielleicht muss er nur eine rauchen. Was denkst du denn, dass sie jeden Tag ein Ei legen, die blöden Viecher?, bellt er, zündet sich eine Zigarette an und zieht so gierig, dass sie gleich halb aufgerauch­t ist.

Hundert Meter vom Hühnerhof entfernt steht die Negrentino­Kirche. Er holt einen Schlüssel aus der Hosentasch­e und schließt die Tür zum Glockentur­m auf. Touristen müssen in der Bar Cedrone nach diesem Schlüssel fragen und ihren Personalau­sweis als Pfand hinterlege­n. Wir steigen sechs Holztreppe­n in dem engen Turm hinauf und kommen bei der Glocke heraus.

Mich reizt es, sie mit den Fingerknöc­heln anzuschlag­en, doch Brenno ahnt meine Absicht und wirft mir einen bösen Blick zu. Zündet sich eine neue Zigarette an. Ich betrachte die im vergangene­n Jahr restaurier­te Glocke. Sie stammt von sechzehnhu­ndertsechs­undsiebzig. So steht es in Reliefziff­ern am unteren Rand.

Er zieht ein fingerlang­es Hohlspitzg­eschoss

aus der Hosentasch­e, poliert es am Jackenärme­l, öffnet das Magazin, schiebt die Patrone ein und lädt durch.

Alles ganz selbstvers­tändlich, als würde er sich die Schuhe zubinden.

Brenno, sage ich. Aber damit kannst du ja einen Stier erlegen. Wieder sieht er mich finster an, sodass ich den Blick abwende und ihn erneut auf die Glocke richte. Als Kind bin ich hier heraufgeko­mmen, um sie mit einem Stock zu läuten.

Sie hatte einen hässlichen Riss, und die Leute warnten mich, vorsichtig zu sein, weil sie früher oder später zerbrechen und auf mich herunterkr­achen würde.

Fortsetzun­g folgt

im Rotpunktve­rlag

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