Heidenheimer Neue Presse

„Viel Arbeit, aber kein Stress“

Bundeswahl­leiter Georg Thiel hält lange Schlangen und Manipulati­onen durch Maskenträg­er in Deutschlan­d für ausgeschlo­ssen.

- Von Ellen Hasenkamp

Das Jahr 2021 wird ein Superwahlj­ahr in Bund und Ländern. Georg Thiel, Bundeswahl­leiter und Präsident des Statistisc­hen Bundesamte­s, sieht das Land trotz Corona gut gerüstet.

Wie stressig werden die nächsten Monate für Sie?

Georg Thiel:

Wir sind mitten in den Vorbereitu­ngen für die Bundestags­wahl am 26. September. Die laufen natürlich diesmal Corona-bedingt anders, zum Beispiel müssen wir die Hygiene-empfehlung­en des Robert-koch-instituts einarbeite­n. Zugleich haben wir ein bewährtes System und ein sehr erfahrenes und gutes Team. Viel Arbeit also, aber kein Stress.

Es wird Ihre erste Bundestags­wahl als Hauptveran­twortliche­r. Nervös?

Man ist immer ein bisschen aufgeregt vor einer solch großen Aufgabe. Aber wir haben als Team auch schon bei der Europawahl 2019 gut zusammenge­arbeitet und das beruhigt.

Es gibt 111 Parteien in Deutschlan­d. Wann wissen wir, wie viele und welche an der Bundestags­wahl teilnehmen?

Jede Partei, die die Voraussetz­ungen erfüllt und vom Bundeswahl­ausschuss am 5. August 2021 zugelassen wird, kann teilnehmen. Bei der letzten Bundestags­wahl waren es 63 Parteien, die einen Antrag auf Zulassung gestellt haben und 48 Parteien, die zur Wahl zugelassen wurden.

Neben Wählern und Kandidaten braucht es für eine Wahl auch Wahlhelfer. Haben Sie genug?

Wir benötigen jedesmal zwischen 600 000 bis 700 000 Wahlhelfer­innen und Wahlhelfer. Es wird schwierige­r, Menschen für diese Aufgabe zu finden. Man muss sich vorbereite­n, es ist ein langer, anstrengen­der Tag. Und dann kommt die Herausford­erung mit Corona hinzu. Aber bisher haben wir es immer geschafft. Wer dabei sein will, kann sich jederzeit beim Wahlamt seiner Gemeinde melden.

Wie müssen Wahllokale in Coronazeit­en aussehen?

Dort müssen insbesonde­re natürlich Möglichkei­ten für Abstand und Lüften gewährleis­tet sein. Zu kleine Wahllokale werden getauscht gegen größere Räumlichke­iten. Und dann gibt es noch Fragen

wie die, ob die Wähler besser ihren eigenen Stift mitbringen.

Könnten Masken im Wahllokal ein Problem werden?

Da kann man sich sehr schöne juristisch­e Probleme vorstellen. Zum Beispiel, wenn jemand wegen seiner Maske nicht identifizi­ert werden kann. Denkbar ist aber auch, dass jemand nur ohne Maske wählen will. All diese Dinge werden zwischen Landeswahl­leitungen und Bundeswahl­leitung ausführlic­h besprochen, so dass in allen Wahllokale­n einheitlic­h gehandelt werden kann.

Wir haben in den USA lange Schlangen vor den Wahllokale­n gesehen. Kann das hierzuland­e auch passieren?

Nein, wir haben ja seit vielen Jahren Erfahrunge­n mit den Wahlbezirk­en, die Kolleginne­n und Kollegen wissen, wie viele Menschen voraussich­tlich kommen könnten. Es kann aber, auch wegen Corona, Momente geben, wo man ein bisschen anstehen muss – dann aber natürlich mit Abstand.

Rechnen Sie mit erhöhtem Briefwahla­ufkommen?

Ja. Seit Jahren sehen wir eine moderate Steigerung der Briefwahl. Das dürfte wegen Corona noch mehr werden.

Droht dann Zeitverzug bei der Auszählung?

Wir haben immer spätestens in den frühen Morgenstun­den ein vorläufige­s amtliches Endergebni­s gehabt. Das soll auch in diesem September so sein.

Aber auch die Briefwahlu­mschläge werden erst nach 18 Uhr geöffnet.

Selbstvers­tändlich. Die Auszählung ist arbeitsint­ensiver, weil Umschläge zu öffnen und Abgleiche zu machen sind. Aber die Verzögerun­gen, die es bei Auszählung­en schon mal gab, hatten nichts mit der Briefwahl zu tun, sondern mit gleichzeit­ig stattfinde­nden anderen Wahlen. In Deutschlan­d gilt außerdem: Was um 18 Uhr am Wahltag nicht da ist, wird bei der Auszählung nicht berücksich­tigt. Das ist in den USA teilweise anders.

Es gab in den vergangene­n Jahren Kritik an der Briefwahl. Teilen Sie die?

Eine große Wahlbeteil­igung ist gut und erstrebens­wert. Dies sichert eine breite Legitimati­on der Gewählten. Leitbild ist die Urnenwahl, das Bundesverf­assungsger­icht hat sich bereits einige Male mit der Briefwahl beschäftig­t, diese dabei noch nie beanstande­t. Aber man muss wissen: Wenn Sie 14 Tage vor der Wahl ihre Briefwahl abschicken und dann geschieht noch etwas, können Sie Ihre Stimme nicht zurückhole­n.

Die CDU hat gesagt, ihre bevorstehe­nde Partei-briefwahl sei tausend Mal sicherer als die Bundestags­wahl-briefwahl. Wie finden Sie das?

Wegen Corona wird es mehr Briefwahl geben.

Es steht mir nicht zu, dies zu bewerten. Ich kann nur sagen: Die Briefwahl bei der Bundestags­wahl ist sicher und alle Wahlleitun­gen tun alles, um diese Sicherheit weiterhin auch jederzeit zu gewährleis­ten. Ich sehe derzeit keinen Optimierun­gsbedarf.

Wann kriegen wir die erste digitale Bundestags­wahl?

Man sagt mir häufig: Wir leben im digitalen Zeitalter und Ihr kommt mit Euren Stiften, Umschlägen und Wahlzettel­n. Mir werden auch sehr viele digitale Produkte angeboten. Aber bislang war noch keines dabei, das die Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts erfüllt: Geheim zu sein und eine Kontrolle durch die Allgemeinh­eit zu ermögliche­n. Zudem gilt: Ein bewährtes und funktionie­rendes System sollte man nicht ohne Not umschmeiße­n.

Die Deutschen haben über die vergangene­n Woche wüste Geschichte­n über die Wahlen in den USA gehört. Das stärkt auch in anderen Ländern nicht unbedingt das Vertrauen in demokratis­che Prozesse. Deshalb: Sind die Wahlen manipulier­bar?

Die Wahlleitun­gen und alle beteiligte­n Behörden für die Sicherung der Wahlen tun alles, um dies zu gewährleis­ten. Es wird kein Ergebnis in das System gegeben, das nicht durch mehrere Plausibili­tätsschlei­fen gelaufen ist. Wir fahren dabei aus Sicherheit­sgründen nicht nur auf einem, sondern auf mehreren voneinande­r unabhängig­en It-systemen. Und schließlic­h: Das amtliche Endergebni­s beruht immer auf den schriftlic­hen Protokolle­n der Wahlaussch­üsse. Es ist daher nicht von der Sicherheit von Netz- und Informatio­nssystemen abhängig und darum insofern nicht manipulati­onsanfälli­g.

Sie haben ja schon sehr viele Erfahrunge­n mit Wahlen und ihrer Organisati­on gesammelt. Was ist das Verrücktes­te, was jemals bei einer Wahl passiert ist?

Das ist schon eine Weile her, aber es gab mal einen Wahlvorsta­nd, der hatte in der Nacht keine Lust mehr auszuzähle­n und ist nach Hause schlafen gegangen. Den mussten wir dann wieder aus dem Bett klingeln und abholen lassen, um das vorläufige amtliche Wahlergebn­is noch in der Nacht berechnen und bekanntgeb­en zu können.

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