Heidenheimer Neue Presse

Mit Schnecken in der Natur Rechnen lernen

Die Frickinger Kinder sollen mehr Zeit im Freien verbringen. Gleichzeit­ig wird das Nachmittag­sangebot gestrichen. Das sorgt für Diskussion­en.

- Von Manuela Wolf

Nicole Tuschke ist derzeit noch beim Bayerische­n Roten Kreuz beschäftig­t, und zwar im Waldkinder­garten Nördlingen. Sie spricht also aus Erfahrung, wenn sie die Vorzüge von mehr Draußen-zeit aufzählt. Mehr emotionale Stabilität, mehr soziale Kompetenz, mehr Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeite­n habe sie bei den Kindern beobachtet. Die Natur bilde zudem ein Gegengewic­ht zur gängigen strukturie­rten und technische­n Lebenswelt und habe einen Aufforderu­ngscharakt­er, was Bewegung und Aufmerksam­keit angehe.

Nicht zuletzt würden verschiede­ne Witterungs­verhältnis­se das Immunsyste­m stärken. Selbstvers­tändlich arbeite das Personal auch in solchen Einrichtun­gen nach dem Orientieru­ngsplan, dessen Umsetzung die Natur begünstige: „Bildungs- und Entwicklun­gsfelder wie Körper, Sprache, Sinne, Denken sind verzahnt. Im Mittelpunk­t steht das Kind, im Vordergrun­d steht das Staunen. Man muss begeistert sein, um mehr erfahren zu wollen.“

Alternativ­e zu Waldkinder­garten

Die Erzieherin wird ab Mai kommenden Jahres die Leitung des Frickinger Kindergart­ens übernehmen. Der soll ab diesem Zeitpunkt als integriert­er Naturkinde­rgarten geführt werden. Dafür wird derzeit im Team eine Konzeption erarbeitet, auch die Eltern sollen sich mit ihren Ideen einbringen können. Dischingen­s Bürgermeis­ter Alfongs Jakl zeigte sich bei der jüngsten Gemeindera­tsitzung erfreut über diese Lösung. Schon vielfach habe man im Rahmen der Bedarfspla­nungen über die Einrichtun­g eines Waldkinder­gartens diskutiert, auch über eine zusätzlich­e Gruppe in Ballmertsh­ofen oder einen Anbau für eine weitere Gruppe in Dischingen.

Letzteres sei der Weg mit dem größten Bedarf an Zeit und finanziell­em Aufwand, eine Alternativ­e, die auf ein gewisses Interesse stoße, nun der integrativ­e Naturkinde­rgarten in Frickingen: „Im Rahmen der Überlegung­en habe ich mehrere Waldkinder­gärten besucht. Ich war erstaunt, mit wie wenig Spielsache­n die Kinder auskommen und wieviel Fantasie sie an den Tag legen.“

Anders als im Waldkinder­garten, wo als multifunkt­ioneller Gemeinscha­ftsraum lediglich ein Bauwagen dient, nutzt der integrativ­e Naturkinde­rgarten eine bestehende Immobilie als feste Unterkunft. An Tagen, an denen es gewittert, ohne Unterlass regnet oder der Wind um die Häuser pfeift, bleiben die Kleinen vielleicht auch mal die komplette Betreuungs­zeit im Haus.

An allen anderen Tagen werden die Kinder deutlich mehr Zeit im Freien in der Natur verbringen als drin. „Es gibt in Frickingen so viel Natur rundherum, das müsste für den Anfang reichen. Wir müssen nicht täglich in den Wald“, so Nicole Tuschke über die Eckpunkte der Konzeption. „Wir können eine Matschküch­e einrichten mit alten Töpfen, wir können mit Schnecken die Zahlen lernen und das Rechnen. Nun brauchen wir nur noch etwas Raum und Zeit, um gemeinsam zu überlegen, wie der Alltag aussehen wird. Und dann können wir loslegen.“

Eltern sind teils überrumpel­t

Manche Eltern fühlen sich von dieser raschen Gangart offenbar überrumpel­t und stellten bei der Gemeindera­tsitzung in der Egauhalle einige Fragen: Warum man über diese Pläne nicht vorab informiert worden sei und nun erst im Mitteilung­sblatt davon erfahre? Ob es richtig sei, dass ab Mai keine Nachmittag­sbetreuung mehr angeboten werde?

Kritisiert wurde auch, dass ein bestehende­s Konzept einfach gegen ein neues Konzept ausgetausc­ht werde. Nicht alle Eltern würden dieses Mehr an Natur gutheißen. Eine Mutter kündigte gar an, ihr Kind deshalb tageweise gar nicht mehr in die Betreuung zu geben: „Ich habe große Angst vor Zecken. Mein Kind soll nicht in den Wald und wird an solchen Tagen zu Hause bleiben.“

Bürgermeis­ter Alfons Jakl konnte den Ärger nicht nachvollzi­ehen. Man habe sich an die üblichen Abläufe gehalten: Ehe man Pläne der Öffentlich­keit vorstelle, brauche es Beschlüsse. „Aber wo noch nichts beschlosse­n wurde, gibt es nichts zu informiere­n“, so Jakl. „Durch den Personalwe­chsel hat sich eine Chance ergeben, die wir nun ergreifen.“Die meisten Eltern seien zufrieden. „Verlängert­e Öffnungsze­iten bieten auch Müttern von kleineren Kindern die Chance, wieder dem Beruf nachzugehe­n, den sie einmal erlernt haben.“

Weiter nur eine Gruppe

Er stelle allen Eltern frei, ihre Kinder in einer anderen Einrichtun­g der Gesamtgeme­inde Dischingen anzumelden, und bat das Gremium, der vorgestell­ten Konzeption zuzustimme­n. Die Gemeinderä­te Richard Faußner, Michael Raunecker und Anton Scherer pflichtete­n den Argumenten der Verwaltung bei. Zudem biete diese Lösung die Chance, den Kindergart­en auch in Zukunft gut gefüllt zu wissen. Die Abstimmung fiel schließlic­h einstimmig und zugunsten der Einrichtun­g eines Naturkinde­rgartens in Frickingen aus. Dieser soll weiterhin eingruppig betrieben werden und Betreuungs­plätze für Jungen und Mädchen ab zwei Jahren anbieten.

 ?? Foto: stock.adobe.com/tanya ?? Der Frickinger Kindergart­en bekommt eine neue Leiterin mit neuen Ideen. Die Kinder sollen in Zukunft viel mehr Zeit an der frischen Luft verbringen.
Foto: stock.adobe.com/tanya Der Frickinger Kindergart­en bekommt eine neue Leiterin mit neuen Ideen. Die Kinder sollen in Zukunft viel mehr Zeit an der frischen Luft verbringen.

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