Mit Schnecken in der Natur Rechnen lernen
Die Frickinger Kinder sollen mehr Zeit im Freien verbringen. Gleichzeitig wird das Nachmittagsangebot gestrichen. Das sorgt für Diskussionen.
Nicole Tuschke ist derzeit noch beim Bayerischen Roten Kreuz beschäftigt, und zwar im Waldkindergarten Nördlingen. Sie spricht also aus Erfahrung, wenn sie die Vorzüge von mehr Draußen-zeit aufzählt. Mehr emotionale Stabilität, mehr soziale Kompetenz, mehr Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten habe sie bei den Kindern beobachtet. Die Natur bilde zudem ein Gegengewicht zur gängigen strukturierten und technischen Lebenswelt und habe einen Aufforderungscharakter, was Bewegung und Aufmerksamkeit angehe.
Nicht zuletzt würden verschiedene Witterungsverhältnisse das Immunsystem stärken. Selbstverständlich arbeite das Personal auch in solchen Einrichtungen nach dem Orientierungsplan, dessen Umsetzung die Natur begünstige: „Bildungs- und Entwicklungsfelder wie Körper, Sprache, Sinne, Denken sind verzahnt. Im Mittelpunkt steht das Kind, im Vordergrund steht das Staunen. Man muss begeistert sein, um mehr erfahren zu wollen.“
Alternative zu Waldkindergarten
Die Erzieherin wird ab Mai kommenden Jahres die Leitung des Frickinger Kindergartens übernehmen. Der soll ab diesem Zeitpunkt als integrierter Naturkindergarten geführt werden. Dafür wird derzeit im Team eine Konzeption erarbeitet, auch die Eltern sollen sich mit ihren Ideen einbringen können. Dischingens Bürgermeister Alfongs Jakl zeigte sich bei der jüngsten Gemeinderatsitzung erfreut über diese Lösung. Schon vielfach habe man im Rahmen der Bedarfsplanungen über die Einrichtung eines Waldkindergartens diskutiert, auch über eine zusätzliche Gruppe in Ballmertshofen oder einen Anbau für eine weitere Gruppe in Dischingen.
Letzteres sei der Weg mit dem größten Bedarf an Zeit und finanziellem Aufwand, eine Alternative, die auf ein gewisses Interesse stoße, nun der integrative Naturkindergarten in Frickingen: „Im Rahmen der Überlegungen habe ich mehrere Waldkindergärten besucht. Ich war erstaunt, mit wie wenig Spielsachen die Kinder auskommen und wieviel Fantasie sie an den Tag legen.“
Anders als im Waldkindergarten, wo als multifunktioneller Gemeinschaftsraum lediglich ein Bauwagen dient, nutzt der integrative Naturkindergarten eine bestehende Immobilie als feste Unterkunft. An Tagen, an denen es gewittert, ohne Unterlass regnet oder der Wind um die Häuser pfeift, bleiben die Kleinen vielleicht auch mal die komplette Betreuungszeit im Haus.
An allen anderen Tagen werden die Kinder deutlich mehr Zeit im Freien in der Natur verbringen als drin. „Es gibt in Frickingen so viel Natur rundherum, das müsste für den Anfang reichen. Wir müssen nicht täglich in den Wald“, so Nicole Tuschke über die Eckpunkte der Konzeption. „Wir können eine Matschküche einrichten mit alten Töpfen, wir können mit Schnecken die Zahlen lernen und das Rechnen. Nun brauchen wir nur noch etwas Raum und Zeit, um gemeinsam zu überlegen, wie der Alltag aussehen wird. Und dann können wir loslegen.“
Eltern sind teils überrumpelt
Manche Eltern fühlen sich von dieser raschen Gangart offenbar überrumpelt und stellten bei der Gemeinderatsitzung in der Egauhalle einige Fragen: Warum man über diese Pläne nicht vorab informiert worden sei und nun erst im Mitteilungsblatt davon erfahre? Ob es richtig sei, dass ab Mai keine Nachmittagsbetreuung mehr angeboten werde?
Kritisiert wurde auch, dass ein bestehendes Konzept einfach gegen ein neues Konzept ausgetauscht werde. Nicht alle Eltern würden dieses Mehr an Natur gutheißen. Eine Mutter kündigte gar an, ihr Kind deshalb tageweise gar nicht mehr in die Betreuung zu geben: „Ich habe große Angst vor Zecken. Mein Kind soll nicht in den Wald und wird an solchen Tagen zu Hause bleiben.“
Bürgermeister Alfons Jakl konnte den Ärger nicht nachvollziehen. Man habe sich an die üblichen Abläufe gehalten: Ehe man Pläne der Öffentlichkeit vorstelle, brauche es Beschlüsse. „Aber wo noch nichts beschlossen wurde, gibt es nichts zu informieren“, so Jakl. „Durch den Personalwechsel hat sich eine Chance ergeben, die wir nun ergreifen.“Die meisten Eltern seien zufrieden. „Verlängerte Öffnungszeiten bieten auch Müttern von kleineren Kindern die Chance, wieder dem Beruf nachzugehen, den sie einmal erlernt haben.“
Weiter nur eine Gruppe
Er stelle allen Eltern frei, ihre Kinder in einer anderen Einrichtung der Gesamtgemeinde Dischingen anzumelden, und bat das Gremium, der vorgestellten Konzeption zuzustimmen. Die Gemeinderäte Richard Faußner, Michael Raunecker und Anton Scherer pflichteten den Argumenten der Verwaltung bei. Zudem biete diese Lösung die Chance, den Kindergarten auch in Zukunft gut gefüllt zu wissen. Die Abstimmung fiel schließlich einstimmig und zugunsten der Einrichtung eines Naturkindergartens in Frickingen aus. Dieser soll weiterhin eingruppig betrieben werden und Betreuungsplätze für Jungen und Mädchen ab zwei Jahren anbieten.