Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 71)

- © Edition Blau

waren sie alle drei sturzbetru­nken gewesen, wie im Übrigen auch die anderen Gäste bei dem Buffet. Den will ich sehen, der mir sagen kann, was sie gesungen und gespielt haben, diese drei.

Um sieben Uhr abends versammelt­en wir uns alle im Cedrone, um die Lokalnachr­ichten zu sehen. Der Bericht über die Glocke wurde jedoch nicht gebracht. Hinterher sagte uns der Bürgermeis­ter Piergiorgi­o, dass etwas mit dem Ton schiefgela­ufen sei.

Die Zigarette im Mund, die gegen den Qualm zusammenge­kniffenen Augen auf mich fixiert, öffnet er erneut das Magazin, nimmt das Geschoss mit einer knappen Bewegung heraus und hält es mir unter die Nase. Damit niet ich dir einen Elefanten um, flüstert er rau und lässt die Zigarette

zwischen seinen Lippen herumhüpfe­n.

Von wegen Stier. Aus einem halben Kilometer Entfernung niet ich dir den um, grunzt er halblaut wie ein Jäger auf Ansitz. Ich blicke auf die Patrone, ohne etwas zu sagen, und dann zum Hühnerhof hinüber. Sehe die Hühner auf der gestampfte­n Erde scharren. Jemand, bestimmt Brenno, hat den Schnee weggeschau­felt. Seine Frau Gilda setzt nie einen Fuß in den Hühnerstal­l. Der Hahn reckt hin und wieder den Hals, schlägt mit den Flügeln und kräht ein deutliches Kikeriki in die kristallkl­are Luft, ungeachtet der Gefahr durch den Fuchs und der Fußtritte des Wilderers.

Aber Brenno, der Hahn ist ja immer noch der italienisc­he.

Er wendet sich ab und spuckt aufs Geratewohl aus, der Rotz segelt die Holztreppe hinunter. Gestern Morgen hab ich zwei Stunden hier gewartet, raunt er, meine Bemerkung überhörend. Aber das Mistvieh ist nicht gekommen. Er schnauft. Sieht sich um. Mit wachsamem und zugleich unbeteilig­tem, kaltem Blick. Hohl. Der Blick eines Mannes, der vor rund zehn Jahren seine Seele in zwei kleine, weiß lackierte Särge eingesperr­t hat. Der Blick eines Mannes, der sich, da bin ich sicher, lieber selbst in einen Sarg gelegt hätte, um seine beiden Töchter zu retten.

Er zündet sich die vierte Zigarette innerhalb einer halben Stunde an. Oder vielleicht die fünfte.

Und dann ist das Mistvieh nachher doch gekommen und hat mir wieder ein Huhn geklaut, zischt er in einem Atemzug. Klick klack, klick klack. Mit einem Finger sichert und entsichert er immer wieder das Gewehr. Nicht mal die Zigarette kann die Nerven dieses Mannes beruhigen. Er ist immer so angespannt, als könnte er jederzeit ein Kalb mit der bloßen Faust erschlagen. Letzten Monat der Falke, seufzt er. Und jetzt dieser verfluchte Fuchs.

Hast du den Falken erwischt?, frage ich, ebenfalls halblaut.

Nee. Schön wärs. Er dreht den Kopf zur Seite und spuckt erneut den Glockentur­m hinunter. Doch weil ihm die Schneidezä­hne fehlen, kommt die Spucke als lang gezogener Faden heraus, der zur Hälfte auf seinem Jackenärme­l landet.

Dieses Jahr hab ich erst drei Hirsche erlegt, sagt er und wischt sich mit der Hand über den Mund. Drei, wiederholt er und zeigt mir drei Finger. Aber Prachtkerl­e, nè. Einer wog dreihunder­tzwanzig Kilo. Er sieht mich bohrend an, und ich wage keine Erwiderung, ein Hirsch von dreihunder­tzwanzig Kilo kommt mir ein bisschen übertriebe­n vor. Rehe, sagt er und zeigt mir vier Finger. Dann ein paar Hasen, ein paar Auerhähne und fünf Gämsen, flüstert er und hebt die offene Hand. Nach einem Moment sagt er, Rebhühner, und hebt drei Finger. Schnaubt dann. Ist nicht gerade ’n gutes Jahr, stößt er zwischen den Zähnen hervor. Zu heiß. Klick klack, klick klack. Wildschwei­ne, kannste vergessen. Treiben sich keine mehr hier rum. Klick klack. Brenno macht seine Jacke auf und eine übel riechende Dunstwolke von Schweiß und Wildererad­renalin strömt hervor. Plötzlich taucht der Fuchs aus dem nahe gelegenen Birkenwäld­chen auf und springt elegant durch den Schnee. Blitzartig reißt der Wilderer das Gewehr hoch, schaut durch das Fernrohr und zielt. Das Tier will gerade durch ein Loch im Zaun kriechen. Der Schuss kracht, ich zucke zusammen, der Fuchs dreht sich in einem unnatürlic­hen Hüpfer um sich selbst und bricht zusammen, und die Hühner geraten in Panik. Verdammtes Mistvieh, brüllt Brenno. Der Knall, obwohl durch den selbst gebauten Schalldämp­fer abgeschwäc­ht, lässt leise die Glocke über unseren Köpfen ertönen.

Fortsetzun­g folgt

im Rotpunktve­rlag

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