Der längste Wahlkampf der Welt
Der „National Review“ist die Us-zeitschrift für libertäre Konservative, denen die Begeisterung für Donald Trump die Prinzipien noch nicht ausgetrieben hat. Ein altmodisches Blatt also. Vier Absätze war dem Magazin die Entscheidung des obersten Gerichtshofs am 11. Dezember wert, die Klage des Staates Texas gegen die Präsidentschafts-wahlen nicht anzunehmen. Mehr als 100 Kongressabgeordnete und eine Handvoll anderer Bundesstaaten hatten sich Texas angeschlossen – in einem letzten Versuch, die Wahl des Demokraten Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten vor Gericht zu verhindern.
Der Name Donald Trump taucht in dem Artikel nicht auf. Der letzte Absatz lautet: „Die Präsidentschaftswahlen 2020 sind vorbei. Joe Biden gewann 306 Stimmen der Wahlleute. Biden wird seinem Amtseid am 20. Januar 2021 ablegen.“Zwei Sätze davon sind richtig, der erste ist falsch. Die Wahl 2020 ist noch lange nicht beendet. Sie wird andauern und das amerikanische Bewusstsein vergiften – wie die Verschwörungstheorien über die Ermordung John F. Kennedys und der angeblich gefälschten Mondlandung.
Die Wahl 2020, die kurz nach Trumps Amtseid 2016 begonnen hatte – er startete damals die Initiative für seine Wiederwahl
– wird womöglich niemals enden. Denn der eine Mensch, der die Behauptung beenden könnte, die Wahl sei gefälscht und ein gigantischer Betrug gewesen, hat kein Interesse daran. Donald Trump will Präsident bleiben, auch wenn er das Weiße Haus längst verlassen hat.
Ohne die Corona-pandemie – und ohne seinen gescheiterten Umgang damit – hätte Trump die Wahl gewonnen. So jedenfalls haben es die Meinungsforscher noch im Januar vorhergesagt. Wer diesen nicht mehr glaubt, sollte bedenken, dass der unterlegene Trump mehr als 74 Millionen Stimmen auf sich vereinte – gut 11 Millionen mehr als 2016, als viele Amerikaner womöglich noch nicht wussten, wen sie zum obersten Befehlshaber und mächtigsten Mann der Welt kürten.
Der Trumpismus, die ungeschriebene Ideologie seines erratisch-populistischen Geistes, treibt die Vereinigten Staaten weiter auseinander. Trump dürfte in eine Art ewigen Wahlkampf einsteigen und weiterhin Arenen füllen. Er, der größte Narzisst der Welt, wird weiter touren wie eine alternde Rock-combo. Er wird vor immer gleichem Publikum die immer gleichen Reden schwingen und Lügen verbreiten. Er bleibt Präsident, nicht der Herzen, sondern der Galle.