Merkels späte Prüfung
Corona Der Kampf gegen die Pandemie stellte Bund und Länder auf eine Bewährungsprobe. In der zweiten Welle zeigten sie Schwächen. Von Stefan Kegel
Es ist in der Abenddämmerung ihrer Kanzlerschaft, als ein winziges Virus Angela Merkel (CDU) noch einmal alle Staatskunst abverlangt. Als im Dezember 2019 die ersten Berichte aus China über ein neuartiges Corona-virus herausdringen, denken viele zunächst an weitgehend beschränkte Seuchen der Vergangenheit, an die Schweinegrippe etwa, an Sars oder Mers. Dass sich daraus eine gefährliche Pandemie entwickeln wird, ist zunächst nicht absehbar.
Entsprechend chaotisch mutet die anfängliche europäische Reaktion an, als das potenziell tödliche Virus doch auf dem Kontinent auftaucht und sich schnell verbreitet, etwa unter Skitouristen im österreichischen Ischgl. Aus Hotspots wie dem italienischen Bergamo gehen herzzerreißende Bilder von überfüllten Intensivstationen um die Welt. Dort können nicht mehr alle erkrankten Menschen behandelt werden, das gefürchtete Wort „Triage“– die Sortierung von Patienten nach ihrer Überlebenschance – geht ins kollektive Bewusstsein über.
Die politische Reaktion fällt hektisch aus: Panisch kaufen die Staaten sich gegenseitig die raren Schutzmasken vom Markt weg, schließen Grenzen und wirken weit weg von einem einheitlichen europäischen Handeln. In Deutschland wird am 22. März zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos ein Lockdown verhängt – eine zwar milde Form der Ausgangssperre im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, die aber das Leben in Deutschland für mehrere Wochen einschneidend verändert. Kontakte werden beschränkt, viele Menschen arbeiten zu Hause im Homeoffice, Schulen und Kitas bleiben geschlossen, ebenso Geschäfte – und die Menschen kaufen massenhaft Toilettenpapier. Wegen des zusammenbrechenden Reiseverkehrs und Hotelschließungen in vielen Ländern holt die Regierung in den folgenden Wochen 240 000 deutsche Urlauber aus aller Welt zurück nach Hause.
Unter Federführung von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verabschiedet die Regierung ein milliardenschweres Hilfspaket für betroffene Firmen, dem übers Jahr noch weitere folgen werden. Auch die EU setzt mit Hilfe der Mitgliedstaaten riesige Hilfsprogramme in Gang.
Anfang Mai finden die ersten Demonstrationen von Gegnern der Corona-maßnahmen statt. Sie stammen aus unterschiedlichen Milieus; von Linken bis Esoterikern sind viele dabei, auch Rechtsextreme mischen sich mit ihren Fahnen unter die Menge.
Im Spätfrühling sinken die Infektionszahlen. Deutschland sonnt sich im Ruhm, die Krise gut bewältigt zu haben, auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußert sich erleichtert. Doch der wahre Test für den deutschen Föderalismus kommt erst noch.
Im Herbst kommt das Deja vu
Denn im Herbst geht alles wieder von vorn los, nur viel mächtiger: Die zweite Welle kommt. Die drastischen Maßnahmen, die Kanzlerin Merkel verlangt, um ein exponentielles Wachstum zu verhindern, treffen bei manchen Ministerpräsidenten auf taube Ohren, deren Bundesländer nur geringe Fallzahlen melden; allein Bayerns Markus Söder (CSU) gibt den harten Hund. Nach langem Gezerre einigen sie sich auf einen „Lockdown light“, eine abgeschwächte Variante der Kontaktbeschränkungen vom Frühjahr. Er wirkt nicht ausreichend, die Zahlen steigen weiter. Im Dezember melden die Gesundheitsämter an einzelnen Tagen mehr als 900 Tote. Weihnachten und den Jahreswechsel erlebt Deutschland erneut in einem Lockdown. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Am 27. Dezember beginnen offiziell die ersten Corona-impfungen – mit einem deutschen Impfstoff der Firma Biontech.