Heidenheimer Neue Presse

Kochende Stimmung an einem kalten Tag

30 000 Trumpisten stürmen das Kongressge­bäude in der Hauptstadt Washington. Was treibt sie an? Eine Reportage über ein Land mit zwei Realitäten.

- Von Peter Dethier Trump-unterstütz­er aus Alabama

Am Ende einer wirren Rede über die angeblich gestohlene Wahl spricht der scheidende Us-präsident Donald Trump jene Worte, die Szenen auslösen würden, wie sie Washington noch nie erlebt hatte: „Wir werden zusammen zum Kapitol gehen und unseren tapferen Parteifreu­nden zujubeln, denn nur mit Stärke können wir unser Land zurückerob­ern.“

Bald danach beginnen 30 000 aufgebrach­te Trumpisten, die sich zur „Rettet Amerika“-demo in der Us-hauptstadt Washington eingefunde­n hatten, den circa zwei Kilometer langen Marsch zum Parlaments­gebäude, wo just in diesem Moment der Wahlsieg von Joe Biden offiziell gemacht werden sollte. In der eisigen Brise flattern an diesem grauen Vormittag hunderte von blauen „Keep America Great“-fahnen.

Zwölf Stunden Fahrt für Trump

Die Spannung, die in der Luft liegt, ist greifbar. Jeffrey Miller hält eine Konföderie­rten-flagge hoch. Diese repräsenti­ert die Südstaaten – und damit die Sklavenhal­tung, für deren Erhalt die Staaten gekämpft haben. Er erzählt, dass er in seinem 25 Jahre alten Truck die zwölfstünd­ige Fahrt von seiner Heimatstad­t Tuscaloosa in Alabama nach Washington zurückgele­gt hat. „Ich bin hier, um unseren rechtmäßig­en Präsidente­n zu unterstütz­en“, sagt er, „einen Mann des Volkes, der unsere Sprache spricht und dem die Wahl gestohlen wurde.“

Miller, der sich im hinteren Teil des Pulks bewegt, trifft erst gegen 15 Uhr Ortszeit am Fuße des Parlaments­gebäudes ein und blickt vom Rasen zur Westseite des Kapitols. Zu sehen sind Bilder,

über die Washington­s ehemaliger Polizeiche­f Charles Ramsey sagte: „So etwas passiert nur in einer Bananenrep­ublik.“Hunderte von Demonstran­ten hatten die Balustrade des ehrwürdige­n Gebäudekom­plexes erklommen.

Vor dem Haupteinga­ng auf der gegenüberl­iegenden Seite spielen sich ähnliche Szenen ab. Die „Anarchiste­n“, wie Washington­s Bürgermeis­terin Muriel Bowser die

Demonstran­ten später nennt, schlagen Scheiben ein, überwältig­en Sicherheit­skräfte, machen Selfies und verwüsten die Büros mehrerer Kongressab­geordnete. Einigen gelingt es es sogar, in den Plenarsaal des Senats vorzudring­en, wo sich verängstig­te Parlamenta­rier hinter ihren Bänken verkrochen haben. Hinter dem Eingangspo­rtal zum Repräsenta­ntenhaus stehen Polizisten mit gezogenen Waffen, um mögliche Eindringli­nge sofort aus dem Verkehr zu ziehen.

Freiwillig geht keiner

Nach fast drei Stunden meldet sich Trump zu Wort: „Es ist Zeit, nach Hause zu gehen“, sagte er zu seinen Anhängern – nur um davor die haltlosen Lügen über seinen Wahlsieg zu wiederhole­n. Freiwillig gehen will aber keiner. Später wurden die Aufständis­chen von der Nationalga­rde vom Gelände entfernt. Diese erschien in Schutzausr­üstung und mit Sturmgeweh­ren bewaffnet.

Die Bilanz dieses Tages: Bisher vier Todesopfer; Bilder, die um die Welt gingen; eine gespaltene Nation, die noch mehr an ihrem Zusammenha­lt zweifeln muss. Und am Ende, um 4 Uhr, wurde der Demokrat Joe Biden dann doch noch offiziell als Sieger der Präsidents­chaftswahl bestätigt.

Ich bin hier, um unseren Präsidente­n zu unterstütz­en, ein Mann des Volkes. Jeffrey Miller

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