Heidenheimer Neue Presse

„Der Glanz des Vorbilds Amerika verblasst“

- Ellen Hasenkamp

Markus Kaim sieht die Us-demokratie nicht in Gefahr, wohl aber Amerikas Ruf in der Welt.

Hat die Us-demokratie gesiegt oder ihre schwerste Niederlage erlitten? Markus Kaim:

Ihr stehen jedenfalls keine einfachen Zeiten bevor. Aber der Angriff auf die Institutio­n ist abgewehrt worden. Und zwar nicht nur am Mittwochab­end, sondern auch zuvor: Der Oberste Gerichtsho­f hat sich trotz der Nominierun­gen durch Uspräsiden­t Donald Trump nicht zu dessen willfährig­em Instrument entwickelt. Der Kongress hat erst kürzlich ein Veto von Trump überstimmt. Und im Kapitol wurde nach dem Chaos die Sitzung fortgesetz­t und die Wahl von Joe Biden schließlic­h bestätigt. Das war das Signal: Ihr könnt hier Fenster einschlage­n, aber die Demokratie könnt Ihr nicht zerstören.

War der Abend womöglich sogar der Anfang von etwas Neuem?

Das bezweifle ich. Was sollte das denn sein? Überpartei­liche Zusammenar­beit etwa? Wohl kaum. Und auch kein Ende der Polarisier­ung oder der Beginn einer Reform der republikan­ischen Partei. Nein, da bin ich sehr skeptisch.

Was kommt auf den gewählten Präsidente­n Joe Biden zu?

Wir werden eine sehr innenpolit­ische Präsidents­chaft erleben. Biden wird sich um die 74 Millionen Menschen kümmern müssen, die Trump gewählt haben. Das heißt auch, dass er die Progressiv­en in seiner Partei nicht wird zufriedens­tellen können. Vor allem aber muss er das erfüllen, was eigentlich jeder Us-präsident verspricht: Das Land zusammenzu­führen.

Was heißt das alles für Deutschlan­d?

Amerika wird nicht nur innenpolit­isch orientiert sein, sondern auch Allianzen, Bündnisse und Partner wiederentd­ecken. Es könnte also ungemütlic­her werden, weil wir auch stärker wieder in die Pflicht genommen werden. Stichworte sind der Umgang mit China oder Verteidigu­ngsaufgabe­n in der Nato. Es wird einfach größere Erwartunge­n geben.

Wird sich die Partei der Republikan­er spalten?

Das ist wohl eher eine Wunschvors­tellung. Die Republikan­er wären doch mit dem Klammerbeu­tel

gepudert, wenn sie die 74 Millionen Wähler von Trump vor den Kopf stoßen würden, indem sie mit ihm brechen. Vorsichtig­e Distanz ja, das ist bereits zu beobachten. Aber eine Abkehr vom Trumpismus geben die Kräftekons­tellatione­n nicht her.

Aber das Rennen um die beiden Senatssitz­e in Georgia ging doch verloren.

Georgia ist nicht repräsenta­tiv. Der Wahlausgan­g dort hat mit einer sehr punktuelle­n Stärke der Demokraten zu tun. Diese haben dort unter Aufbietung aller Kräfte knapp über 50 Prozent geholt. Nein, wenn die Republikan­er nun die Wahl 2024 planen, dann brauchen sie die Wähler von Trump.

Was bedeuten die Ereignisse in Washington für Amerikas Ruf in der Welt?

Das ist die vielleicht langfristi­gste Folge der Entwicklun­g, dass der Glanz des Vorbilds Amerika verblasst. Und das kann sehr konkrete politische Auswirkung­en haben: Staaten fühlen sich den USA vielleicht nicht mehr so verbunden. Es wird auf systemisch­e Alternativ­en geschaut. China und Russland registrier­en ihrerseits genau, dass die Anziehungs­kraft Amerikas nachlässt. Und allen Transatlan­tikern wird das Geschäft immer schwerer gemacht.

 ?? Foto: SWP ?? Markus Kaim.
Foto: SWP Markus Kaim.

Newspapers in German

Newspapers from Germany