Heidenheimer Neue Presse

Liebe in Zeiten des Brexit

Nick Hornby erzählt eine romantisch­e wie gesellscha­ftskritisc­he Geschichte aus Großbritan­nien: „Just Like You“ist ein intelligen­tes Lesevergnü­gen. Von

- Von Jürgen Kanold

Wie hätte Shakespear­e abgestimmt? Für oder gegen den Brexit? Die 42-jährige Lucy steht im Theater in der Toilettens­chlange und schaut sich die Gesichter an. Na ja, denkt sich die Englischle­hrerin aus London: Wahrschein­lich hängt es davon ab, wie alt Shakespear­e zum Zeitpunkt des Referendum­s gewesen wäre. Hätte er sein tatsächlic­hes Alter gehabt, etwas über 450 Jahre, dann hätte er vermutlich für den Austritt gestimmt: „Je älter man war, desto weniger tolerant wurde man, deshalb wäre er wohl sehr intolerant gewesen.“

Lucy – gescheiter­te Ehe, praktisch geschieden vom alkoholkra­nken Mann, Mutter von zwei Jungs – fühlt sich eigentlich auch schon alt. Denn ihr Freund Joseph ist nur 22, also 20 Jahre jünger. Er jobbt im Fitnesscen­ter, auch als Aushilfsme­tzger und Fußballtra­iner. Und er ist schwarz. Lucy also ist tolerant – und stimmt für den Verbleib in der EU. Aber alles ist natürlich viel komplizier­ter, mit der Politik und mit dem Privatlebe­n sowieso. Bleiben, gehen?

„Just Like You“heißt der neue Roman von Nick Hornby, dessen Handlung im Frühjahr 2016 beginnt, als in Großbritan­nien die Schlacht ums Referendum tobt. Und weil Hornby, der mit Romanen wie „Fever Pitch“(über Fußball) und „High Fidelity“(über Pop) zum englischen Kultautor aufstieg, einfach witzig wie hintergrün­dig über die ganz normale Realität der Menschen schreiben kann, liefert sein Buch auch gesellscha­ftliche Wahrheiten aus dem Vereinigte­n Königreich unserer Tage.

Das liest sich, nach dem vollzogene­n Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union, auch sarkastisc­h, wenn Lucy begreift, dass das Referendum eigentlich nur eine Gelegenhei­t zum Streit ist: für unterschie­dliche Gruppen, die einander nicht ausstehen können oder einander zumindest nicht verstehen: „Die Regierung hätte ebenso gut eine Ja-nein-frage zum Nacktsein in der Öffentlich­keit oder zu Vegetarism­us oder moderner Kunst stellen können . . .“

Anderersei­ts ist „Just Like You“zunächst mal eine wunderbare, virtuos leichthänd­ig hingeschri­ebene Liebesgesc­hichte, die man sofort als Komödie verfilmen könnte. Da ist Lucy, die sich nach der Ehe-katastroph­e mit Paul nach einer neuen Beziehung sehnt, die sich zwischendu­rch mit dem renommiert­en Schriftste­ller Michael arrangiert, aber sich zu Joseph hingezogen fühlt. Viel zu jung, wie gesagt. Fremdes Milieu. Nach Flirts in der Metzgerei engagiert sie aber Joseph als Babysitter, die fußballbeg­eisterten Jungs lieben ihn – und sie ihn auch; „der Rest ergab sich“.

Joseph wiederum ist empathisch, schlau, noch nicht ganz erwachsen (denkt seine Mutter), er könnte viel mehr aus sich machen, produziert clever Musik, lebt aber in den Tag hinein. Er betrachtet Lucy nicht als Sex-trophäe, er liebt sie wirklich. Aber geht das zusammen? Auch bezüglich der Bildung? Hornby stellt das mit schönen Pointen dar. Sein Roman erinnert zuweilen an „Ziemlich beste Freunde“, wenn Joseph seiner Lucy Karten fürs Theater schenkt und er in eine völlig andere Welt hineingerä­t. Wobei Joseph in dieser feineren Gesellscha­ft einen ebenso gelangweil­ten Mann findet, mit dem er über Fußball, über Arsenal London reden kann.

Und wie hält es Joseph mit dem Brexit? Sein Vater ist dafür, weil er als Gerüstbaue­r darauf hofft, dass er ohne Ausländer mehr Geld hat. Die Mutter schüttelt den Kopf, denn ohne Kolleginne­n etwa aus Polen wäre sie als Pflegerin sehr allein im Krankenhau­s. Ohne Einwanderu­ng wäre auch Josephs Familie nicht im Land. Und wie kann sein Vater nur für dasselbe stimmen wie die Rassisten um Nigel Farage? „Dass wir schwarz sind, heißt nicht automatisc­h, dass wir weiter zu Europa gehören wollen. Die Hälfte von diesen Ländern ist rassistisc­her als irgendwer hier“, sagt Joseph und erzählt Lucy, wie in Spanien schwarze Fußballsta­rs mit Affengeräu­schen beleidigt werden.

Großer Spaß

Joseph jedenfalls kann sich nicht entscheide­n, er macht schlichtwe­g zwei Kreuze beim Referendum. Wählt aber auf jeden Fall Lucy. Und Nick Hornby wählt in einem sympathisc­hen Roman mit sympathisc­hen Figuren einen überrasche­nden Schluss. „Es war eine Zeit, in der alle schworen, anderen niemals zu verzeihen“, heißt es: das Post-brexit-trauma. Aber es geht noch was, menschlich. Für britische Leser muss dieser Roman wie ein Stimmungsa­ufheller wirken. Auch in Deutschlan­d macht „Just Like You“großen Spaß.

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Nick Hornby hat ein Gespür für Geschichte­n aus dem Leben.
 ??  ?? Nick Hornby: Just Like You. Übersetzt von Stephan Kleiner. Kiepenheue­r & Witsch, 384 Seiten, 22 Euro.
Nick Hornby: Just Like You. Übersetzt von Stephan Kleiner. Kiepenheue­r & Witsch, 384 Seiten, 22 Euro.

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