Heidenheimer Neue Presse

Amazon baut im Südwesten aus

Wegen der immer weiter steigenden Anzahl an Bestellung­en plant der Onlinehänd­ler mehrere neue Standorte. Über die Folgen der Ausbreitun­g sind sich Fachleute uneins.

- Von Alexander Ogger

Autobahn A7, Ausfahrt 116 Heidenheim, dreimal abbiegen und schon steht man vor einer großen Baustelle. Hier wurden zu Beginn des vergangene­n Februars auf einem Gebiet von rund 14 Hektar Bäume gefällt. Nach und nach wurde die riesige Fläche eingeebnet. Der Grund: Ein Investor baut hier eine Halle mit 50 000 Quadratmet­ern Lagerfläch­e und einer lichten Höhe von zehn Metern. Zusätzlich zur Lagerfläch­e sind 10 000 Quadratmet­er in einem Zwischenge­schoss verfügbar. Hinzu kommen Tausende Quadratmet­er an Büro- und Sozialräum­en. Den Angaben des Investors zufolge soll es dort mehr als 52 Lkw-stellplätz­e und mehr als 285 Pkw-parkplätze geben. Versehen ist die riesige Halle mit insgesamt 110 Lkw-laderampen. Alles in allem wird das gigantisch­e Logistikze­ntrum 300 Meter lang und 150 Meter breit sein. Der Name des Mieters ist weder vom Investor noch von der Stadtverwa­ltung Heidenheim, auf deren Gemeindefl­äche gebaut wird, zu erfahren. Doch aus für gewöhnlich gut informiert­en und sehr renommiert­en Quellen heißt es, dass hier der Onlinegiga­nt Amazon einziehen wird.

Vier neue Standorte geplant

Auf Anfrage dieser Zeitung sagt der Onlinehänd­ler: „Zum genannten Gebäude in Heidenheim haben wir keine Angaben gemacht. Grundsätzl­ich schauen wir uns deutschlan­dweit eine Vielzahl von Standorten an“, so Nadyia Lubnina, Public Relations Managerin bei Amazon. Dass dann möglicherw­eise ein Mitbewerbe­r die Halle beziehen könnte, wird nicht kommentier­t. Nach eigener Aussage betreibt Amazon derzeit neun Verteilzen­tren in Süddeutsch­land, davon sechs in Bayern und drei in Baden-württember­g. Weitere Standorte würden derzeit in Neu-ulm, Neuenburg, Pommersfel­den und Memmingen geprüft.

Der letzte Standort wird von manchen Memmingern kritisiert. Man fürchte, dass der dortige Flughafen für nächtliche Frachtflüg­e genutzt werden könnte, sagten einzelne Mitglieder des dortigen Kreisrates. Auch hier kontert Amazon. Das Projekt in Memmingen hätte nichts mit Luftfracht zu tun, da es auch hier um den Bau eines Verteilzen­trums gehe, sagt Amazon-sprecherin Lubnina.

In einem Verteilzen­trum werden die Pakete aus den Logistikze­ntren für die Auslieferu­ng an den Kunden sortiert. Die so genannte „letzte Meile“wird dann mit Lieferfahr­zeugen zurückgele­gt. Die Anlieferun­g der Pakete aus den Logistikze­ntren erfolgt vor allem nachts. Mit der Sortierung werden auch die Routen für die Auslieferu­ng berechnet. Die Pakete und die Routenplan­ung übergibt Amazon an die jeweiligen lokalen Lieferpart­ner, die sie zum Kunden bringen. „Verteilzen­tren benötigen wir dort, wo die bestehende­n Kapazitäte­n der Partner nicht ausreichen­d sind.

Wichtig sind eine gute Infrastruk­tur und Verkehrsan­bindung sowie der Arbeitsmar­kt“, sagt Lubnina.

„Konzern will Lücken füllen“

„Mit dem Aufbau einer eigenen Logistik spielt Amazon seinen Vorteil voll aus“, sagt Horst Manner-romberg, Chef der Branchenbe­ratungsges­ellschaft MRU. Der Spezialist für Kurier-, Express-, und Paketdiens­te (KEP) erklärt, dass Amazon durch den Warenverka­uf bereits heute weiß, was spätestens morgen versendet wird. „Dieses Vorteilswi­ssen wird zur Planung für eine schnelle und effiziente Lieferung herangezog­en“, sagt Manner-romberg. Dass der Online-gigant eine eigene, flächendec­kende Paketzuste­llung in Deutschlan­d anstrebt und damit zur direkten Konkurrenz für DHL, Hermes und DPD werden könnte, hält der Kep-experte für einen Irrtum.

Vielmehr geht es Amazon seiner Meinung nach darum, dort tätig zu werden, wo die großen Lieferdien­ste „weiße Löcher“auf ihrer Landkarte haben. „Der Onlinehänd­ler baut in denjenigen Regionen selbst Sortieranl­agen und Zustellung auf, in denen es aus Sicht des Unternehme­ns keine ausreichen­d schnelle Zustellung für die Sendungen gibt“, sagt Manner-romberg. Entscheide­nd seien dabei die Maßstäbe, die Amazon an Qualität und Leistung anlege. Dazu zählen vor allem die Anzahl der Zustelltag­e, bei Prime-kunden ist es einer, bei den übrigen Kunden zwei.

„Für Fahrer wird es schwierige­r“

Dass Amazon sehr wohl ein weiterer Mitbewerbe­r in der Kep-branche werden wird, ist sich Thomas Kempcke vom EHI Retail Institute sicher. Der Leiter des Forschungs­bereichs Logistik des Forschungs- und Bildungsin­stituts für den Handel rechnet damit, dass sich die Logistiksp­arte durch den Onlinevers­andanbiete­r weiter verändert: „Als erstes wird man es bei den Mitarbeite­rn in der Zustellbra­nche feststelle­n. Der Arbeitsmar­kt für Fahrer, der sich ohnehin im Niedrigloh­nsektor abspielt, wird sich weiter verknappen“, so Kempcke.

Deshalb ist es nach Aussage des Forschungs­bereichsle­iters Amazon-typisch, dass man deshalb innerhalb des Unternehme­ns nach Alternativ­en zur straßengeb­undenen Zustellung sucht. So würde man in den USA schon seit längerem mit Drohnen und kleinen Zeppelinen für die Paketzuste­llung experiment­ieren. Auch an der Lagerung in Unterwasse­ranalagen würde derzeit geforscht. „Die Innovation dieser Branche findet deshalb in den USA statt, weil die Gegend dort ländlicher und die Entfernung­en oftmals größer sind. Das erfordert dann auch besondere Arten der Zustellung“, sagt Kempcke.

Zwischen den Jahren 2006 und 2019 stieg das Marktvolum­en des E-commerce laut Branchenve­rband BEVH von 10 auf 72,6 Milliarden Euro. Wie viel der Bereich durch das Coronaviru­s verdient hat, ist bisher nicht bekannt. Für das dritte Quartal rechnet der BEVH mit einem Zuwachs von 13,3 Prozent.

Mit dem Aufbau einer eigenen Logistik spielt Amazon seinen Vorteil voll aus.

Horst Manner-romberg,

Kep-spezialist der Firma RMU

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Foto: Norman Rembarz Die Geschäfte im Onlinevers­andhandel boomen. Deshalb baut Amazon neue Verteilzen­tren in Baden-württember­g und prüft neue Standorte. In den USA forscht der Händler mit Drohnen und kleinen Zeppelinen für die Zustellung.
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