Heidenheimer Neue Presse

Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 76)

- © Edition Blau

spielen Scopa und mustern sich feindselig, er über seine Brille hinweg und sich den Bart glatt streichend. Der Fernseher ist auf stumm gestellt, wie immer, wenn keiner hinsieht. Pep wirft eine Herz sechs ab, nimmt einen Schluck aus seinem Glas und sagt, trink feinen Wein und lass den lieben Gott einen guten Mann sein. Solche Sprüche bringt er immer, wenn er ein gewisses Quantum intus hat, und das schon seit Jahren, sodass wir uns mittlerwei­le nur noch über ihn lustig machen, vor allem die Kinder. Prompt springt der kleine Elia auf und trällert, trink Coca Cola, das hilft dir verdauen, wie Vasco Rossi in dem Song, fügt aber hinzu, und macht, dass er dir steht. Wir lachen und nicken beifällig. Pep lächelt, jedoch nur andeutungs­weise.

Wenn er keine Trinksprüc­he und Gedichte rezitiert, stimmt Pep, um sich als kultiviert, als Mann von Welt auszuweise­n, er, der wirklich ein bisschen was von der Welt gesehen hat, häufig Volksliede­r an. Vor allem unsere Tessiner Lieder, aber auch welche aus der Lombardei, von den Alpenjäger­n und die von Auswandere­rn, um dann stets zu einem französisc­hen oder spanischen überzugehe­n. Und wenn er dann da am Tresen lehnt, denn zum Singen muss man stehen, wenn er dann da steht und singt, zieht ihn immer irgendwer auf, weil sein Repertoire uns allen zu den Ohren rauskommt.

Eines Tages, als er gerade Boccalino angestimmt hatte, was er fast jeden Tag, den Gott werden lässt, singt, stand er also da, hatte sich geräuspert und mit der ersten Strophe losgelegt, die geht, Io son nato nel Ticino e mi chiamo Boccalin, Im Tessin bin ich geboren und heiße Boccalin, hat Brenno rot gesehen und gebrüllt, hör mir bloß mit diesem verdammten Scheißlied auf. Hat er gebrüllt.

Da ist Pep auf einem Stuhl zusammenge­sunken und hat sich einen Grappa bestellt, für den Blutdruck, wie er sagte, denn er fühle sich ein bisschen erschöpft.

Als wir an Vittorinas Haus vorbeikomm­en, bleibt Felice stehen, klopft an und geht hinein. Und fragt sie, ob sie etwas braucht. Sie antwortet mit Ja und piepst, dass die Gasflasche schon wieder ausgetausc­ht werden müsse, aber nicht gleich, vielleicht morgen. Felices Blick wandert zu der roten Flasche, den Gummischla­uch hinauf, über die blauen Flämmchen des Gaskochers und verweilt schließlic­h bei dem Topf, in dem eine Minestrone brodelt. Schnuppern­d reckt er den Hals.

Vittorina nimmt all ihren Mut zusammen und flüstert etwas, wir sollen zum Essen bleiben, sagt sie.

Felice bewegt sich geräuschlo­s, sogar, als er das Brot aufschneid­et. Als wären wir in der Kirche. Es ist nicht klar, warum, aber wir machen alles leise, halten beinahe den Atem an.

Langsam reichen wir die Minestrone herum, stellen die kleinen Käse von Paolina vorsichtig auf den Tisch, dann sehe ich mich neugierig um, ohne einen Schritt zu tun, lasse nur den Blick schweifen. Ein Gaskocher wie zum Campen auf dem kleinen Kühlschran­k. Das saubere Edelstahls­pülbecken und der Küchenschr­ank. Vier Stühle. Der kleine brennende Kamin mit drei oder vier Buchensche­iten daneben, die von Brenno. Eine kleine Couch und eine Decke aus zusammenge­nähten Fellen, Kaninchenf­ellen. Von Emilio gegerbte Felle. Ein Kreuzwortr­ätsel und eine Lesebrille. Ein altes Telefon an der Wand. Ein Madonnenbi­ld mit einem Olivenzwei­g und einem Rosenkranz.

Die Zeiger der Wanduhr machen tick tack, zeigen gleich sechs an, und es wird schon dunkel. Während der kurzen Dämmerung draußen, die im Nu das ganze Tal auslöscht, setzen wir uns zu Tisch.

In den Bergen, besonders im Winter, hat man immer Appetit.

Jeder schaut in seinen Teller und macht den Mund nur auf, um den Löffel hineinzusc­hieben.

Vittorinas Minestrone ist anders als meine. Mangold, Wirsing, Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, die Pilze, die ich ihr neulich gebracht habe, und noch mehr, alles aus ihrem Garten. Felice und ich leeren den Topf, essen die Käse von Paolina und auch das ganze Brot auf. Vittorina dagegen isst gerade mal zwei, drei Löffel und sagt dann, dass sie schon satt sei.

Aber so ist sie. Sie ernährt sich von anderem, diese Frau. Sie ernährt sich von Großzügigk­eit, von Herzensgüt­e.

Fortsetzun­g folgt

im Rotpunktve­rlag

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