Heidenheimer Neue Presse

Das lange Warten auf die Hilfen

Immer mehr Unternehme­n verzweifel­n: Versproche­ne Gelder kommen nicht, die Regeln werden nachträgli­ch gravierend geändert.

- Hde-hauptgesch­äftsführer Von Dieter Keller

Eigentlich hätten viele Unternehme­n, die wegen der Corona-rezession ums Überleben kämpfen, am Montag aufatmen sollen, weil sie endlich Geld bekommen: Ihnen war fest zugesagt worden, dass die Novemberhi­lfen an diesem Tag überwiesen werden, zuletzt von der Kanzlerin und den Ministerpr­äsidenten am 5. Januar. Doch die Konten von Restaurant­s, Hotels und Fitnesscen­tern, die schon Anfang November dicht machen mussten, blieben auch sechs Wochen nach Monatsende leer: Die Software funktionie­rte noch nicht. Erst am Dienstag meldete das Bundeswirt­schaftsmin­isterium, die letzten Tests seien abgeschlos­sen.

Dies war nur die jüngste von vielen Pannen und Problemen bei den Corona-hilfen, die Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) vollmundig als den großen „Wumms“angekündig­t hatten, die sich aber in der Praxis als unendlich bürokratis­ch und komplizier­t erweisen. Kein Wunder, dass immer mehr Unternehme­n nackte Existenzän­gste plagen. Drei Viertel der Gastronome­n und Hoteliers bangen um ihr Fortbesteh­en, jeder vierte denkt konkret ans Aufgeben, ergab gerade eine Umfrage des Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga).

Ähnlich mies ist die Stimmung unter den Einzelhänd­lern. Die mussten zwar erst am 16. Dezember – mit Ausnahme des täglichen Bedarfs – dicht machen, aber schon in den Wochen davor blieben sie auf Warenberge­n, etwa von Textilien, sitzen. Jeder vierte Händler befürchtet, ohne weitere staatliche Hilfe nicht einmal das erste Halbjahr zu überstehen. Ähnlich viele rechnen damit im zweiten Halbjahr, ergab eine Umfrage des Handelsver­bands Deutschlan­d (HDE). „Die Politik muss jetzt zu den wirtschaft­lichen Folgen und den eigenen Verspreche­n stehen“, fordert Hdehauptge­schäftsfüh­rer Stefan Genth. „Wegducken und Aussitzen geht nicht.“

Dabei hatten Altmaier und Scholz vollmundig versproche­n, mit viel Geld die Unternehme­n zu retten. Allein die Novemberhi­lfe sollte ihnen mit mindestens zehn Milliarden Euro helfen. Tatsächlic­h bekamen sie bisher nur 1,24 Milliarden Euro vorweg als Abschlagsz­ahlung. Insgesamt liegen knapp 280 000 Anträge über 4,42 Milliarden Euro vor, nicht einmal die Hälfte des erwarteten Volumens. Und auch die sind noch nicht geflossen. Ganz zu schweigen von der Dezemberhi­lfe, bei der gerade erst mit der Überweisun­g von Vorauszahl­ungen begonnen wurde.

Ein Grund dafür ist die EU mit ihrem komplizier­ten Beihilfere­cht. Die Bundesregi­erung kann nicht einfach beliebige Summen an Corona-geschädigt­e Unternehme­n zahlen. Das könnte leicht eine Beihilfe sein, die nicht erlaubt ist, weil sie den Wettbewerb behindert. Unproblema­tisch sind nur Hilfen von einer Million Euro je Unternehme­n, und zwar nicht pro Jahr, sondern für einen längeren Zeitraum. Bis vier Millionen Euro ist die Unterstütz­ung schwierige­r, aber möglich. Noch höhere Summen sind gar nicht erlaubt. Größere Firmen fallen durchs Raster. Seit Monaten verhandelt Altmaier über eine Erhöhung, bisher ohne Ergebnis.

Die EU muss auch als Sündenbock für ein weiteres Problem herhalten, über das derzeit viele Steuerbera­ter fluchen. Über sie müssen alle Hilfsanträ­ge außer von Soloselbst­ändigen laufen, um Betrugsver­suche möglichst auszuschli­eßen. Entspreche­nd überlastet sind derzeit die Berater. Auf die Palme bringt sie, dass die Spielregel­n nachträgli­ch geändert wurden.

Das trifft weniger die Novemberun­d Dezemberhi­lfen, die es nur für wenige Branchen gibt. Sie erhalten pauschal 75 Prozent ihres Vorjahresu­msatzes, wobei Hilfen wie das Kurzarbeit­ergeld abgezogen werden. Der Knackpunkt sind die Überbrücku­ngshilfen, die im Prinzip allen Unternehme­n winken, die große Umsatzeinb­rüche hatten. Allerdings gibt es nur einen Zuschuss zu Fixkosten wie Mieten, Finanzieru­ngskosten und laufende Abschreibu­ngen. Schon Sonderabsc­hreibungen etwa auf Herbstpull­over, die nicht mehr zu verkaufen sind, werden nicht berücksich­tigt.

Erst Anfang Dezember stellten die Steuerbera­ter plötzlich fest, dass klammheiml­ich in den Regeln auf der Seite des Wirtschaft­sministeri­ums ein entscheide­ndes Wort dazugekomm­en war: Hieß es vorher, die Überbrücku­ngshilfe sei ein Beitrag zu den Fixkosten, stand da plötzlich „zu den ungedeckte­n Fixkosten“. Sprich es werden nur Verluste abgedeckt. Wer die nicht oder nur zum Teil hatte, bekommt auch kein Geld. Man müsse die Eu-vorgaben umsetzen, heißt es aus dem Ministeriu­m.

Zwar müssen schon gestellte Anträge nicht geändert werden. Dafür droht aber bei der Schlussabr­echnung der Überbrücku­ngshilfe II eine Rückzahlun­g. Wer also Geld vom Bund bekommt, sollte sich nicht zu früh freuen. Unabhängig davon bleiben die Unternehme­n auf der Rechnung ihres Steuerbera­ters sitzen, die der Bund in keinem Fall erstattet.

Die Politik muss jetzt zu den wirtschaft­lichen Folgen und eigenen Verspreche­n stehen. Stefan Genth

 ??  ??
 ?? Foto: Daniel Karmann/dpa ?? „Wir schließen das Restaurant wegen der verschärft­en Auflagen ab dem 1. November vorübergeh­end“– so geht es derzeit vielen Gaststätte­n. Die versproche­ne staatliche Hilfe erreicht betroffene Betriebe in Deutschlan­d nur langsam.
Foto: Daniel Karmann/dpa „Wir schließen das Restaurant wegen der verschärft­en Auflagen ab dem 1. November vorübergeh­end“– so geht es derzeit vielen Gaststätte­n. Die versproche­ne staatliche Hilfe erreicht betroffene Betriebe in Deutschlan­d nur langsam.

Newspapers in German

Newspapers from Germany