Heidenheimer Neue Presse

Ist Impfpflich­t für Pflegekräf­te sinnvoll?

Viele Mitarbeite­r in Pflegeheim­en wollen sich nicht impfen lassen. Sollten sie dazu verpflicht­et werden?

-

Pro

André Bochow

Korrespond­ent

Die meisten Corona-todesopfer gibt es unter den über 80-Jährigen. Der Pflegebeda­rf in dieser Altersgrup­pe ist groß. Die Gesellscha­ft hat beschlosse­n, diese älteren Mitmensche­n zu schützen. Deswegen werden sie zuerst geimpft. Manche haben Krankheite­n, die eine Impfung nicht zulassen. Muss man sie deshalb einem permanente­n Risiko aussetzen, weil sich ihre Pfleger nicht impfen lassen wollen? Und umgekehrt, sollen Pflegekräf­te, Krankensch­western und Ärzte das Virus aus den Gesundheit­s- und Pflegeeinr­ichtungen in die Welt tragen dürfen, wenn sie sich eben doch anstecken? Noch fehlen die letzten Beweise, aber vieles spricht dafür, dass Geimpfte nicht oder kaum ansteckend sind. Ungeimpfte können es auf jeden Fall sein. Was, um alles in der Welt, spricht dann gegen das Impfen von Pflegekräf­ten?

Ja, sie sind die Helden in unserer Gesellscha­ft. Mit oder ohne Corona. Aber sie sind auch Vorbilder. Vorbildfun­ktion und Schutz der Mitmensche­n gehören in ganz besonderem Maße zu den Medizin- und Pflegeberu­fen dazu. Wenn die innere Bereitscha­ft, der entspreche­nden Verantwort­ung nachzukomm­en, nicht ausreicht, muss notfalls die Impfpflich­t her. Denn wir haben nicht alle Zeit der Welt. Schließlic­h wollen wir doch aus dieser Pandemie gut herauskomm­en. Möglichst bevor wir mit Mutationen geflutet werden. Lockdowns, Schul-theater-kino-kneipen-geschäfts-schließung­en müssen ein Ende haben. Man wird Corona aber nicht wegtanzen können oder durch vermehrte Rohkostauf­nahme aus der Welt schaffen. Impfen ist die einzige Option, das Virus in Schach zu halten. Es sei denn, wir verzichten dauerhaft auf menschlich­e Kontakte.

Contra

Ulrike Sosalla

Nachrichte­nchefin

Stell Dir vor, die Corona-impfung ist da, und keiner geht hin. So sieht es offenbar derzeit in vielen Alten- und Pflegeheim­en aus. Zu viele Pflegekräf­te – die Rede ist von einem Drittel – zögern, sich impfen zu lassen.

Wenn der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nun aber auf eine Impfpflich­t fürs Pflegepers­onal setzt, ist er auf einem Irrweg. Ein solcher Zwang würde die Betreuung alter Menschen in den Heimen noch mehr verschlech­tern. Schlimmer noch: Er würde auch die Glaubwürdi­gkeit der Impfstrate­gie der Bundesregi­erung beschädige­n.

Doch der Reihe nach: In den Pflegeheim­en würde eine Impfpflich­t für Probleme sorgen. Denn wenn alle, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht impfen lassen, nicht mehr dort arbeiten dürfen, würde sich die Personalsi­tuation dramatisch verschlimm­ern. Und das, obwohl wir noch nicht sicher wissen, ob Geimpfte das Virus tatsächlic­h nicht mehr weitergebe­n. Ginge es Söder wirklich darum, die Heimbewohn­er zu schützen, hätte er übrigens schon vor Monaten handeln und dafür sorgen müssen, dass für alle Mitarbeite­r Schnelltes­ts und Testperson­al verfügbar sind.

Über die Pflegeheim­e hinaus wäre der Schaden noch größer. Eine Impfpflich­t – selbst eine eingeschrä­nkte – würde den Beteuerung­en der Politik Hohn sprechen, dass es genau das nicht geben wird. Statt nun auf Zwang zu setzen, sollte es die Politik erst einmal mit Überzeugun­gsarbeit versuchen. Wo sind denn die Impfkampag­nen mit Prominente­n, wo sind die Plakatkamp­agnen und Anzeigen? Zwang ist in einer Demokratie nur vordergrün­dig der einfachere Weg, weil er immer auch Vertrauen zerstört. Das gilt gerade in einer Krise.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany