Heidenheimer Neue Presse

Mega-prozess gegen die Mafia

Es ist ein Kampf gegen eine mächtige Verbrecher-organisati­on: Hunderte mutmaßlich­e N’drangheta-mitglieder stehen in Italien vor Gericht.

- Von Bettina Gabbe

Ein für fünf Millionen Euro eigens eingericht­eter Gerichts-bunker, rund 300 Angeklagte, darunter knapp 60 Kronzeugen, und 900 Zeugen: Der an diesem Mittwoch in Lamezia Terme beginnende Mega-prozess gegen die kalabrisch­e Mafia soll die Macht des Staates in der süditalien­ischen Region unter Beweis stellen.

Spätestens seit den Mafia-morden in Duisburg im Jahr 2007 ist die N’drangheta auch in Deutschlan­d ein Begriff. Mit geschätzte­n 50 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist sie die mächtigste Mafia Italiens mit weltweiten Verzweigun­gen. Italiens bekanntest­er Mafia-jäger Nicola Gratteri will die aus seiner Heimat stammenden Clans mit dem geplanten Mega-prozess in die Knie zwingen.

In dem Gerichtssa­al am Stadtrand von Lamezia Terme ist Platz für 300 Angeklagte und ihre Anwälte. Allein die Zahl der Beteiligte­n lässt Gratteri vom größten Mafia-prozess seit dem Mammut-verfahren gegen die sizilianis­che Cosa Nostra aus den 90er Jahren schwärmen.

Der Oberstaats­anwalt von Catanzaro hat sich dem Kampf gegen die Clans seiner Heimatregi­on seit seiner Kindheit verschrieb­en. Mit spektakulä­ren Aktionen wie der Massenfest­nahme von 334 Verdächtig­en im Dezember 2019, denen nun der Prozess gemacht werden soll, sorgt der Jurist auch für Kritik. In der Vergangenh­eit wurden viele Verdächtig­e, die ins Visier seiner Ermittlung­en geraten waren, freigespro­chen.

Im Kampf gegen die scheinbar allmächtig­e N’drangheta gibt sich der 62-Jährige, der seit 30 Jahren unter Polizeisch­utz steht, dennoch gelassen. Bereits in seiner Kindheit lernte er die Organisati­on kennen, die mittlerwei­le den Kokainhand­el in Europa dominiert. „Als Junge ging ich mit den Söhnen der Mafia-bosse zur Schule, meine Spielkamer­aden sind später N’drangheta-mitglieder und dann Drogenhänd­ler geworden, deshalb kenne ich die kriminelle Philosophi­e und das Denken der N’drangheta.“

Kritiker äußern Zweifel, ob ein so umfangreic­hes Verfahren wie das in Lamezia Terme jedem Einzelfall gerecht werden kann. Der Oberstaats­anwalt von Catanzaro hält dagegen, dass Mafia-netze nur als solche bekämpft werden könnten. Gratteri bemängelt, dass es etwa in Deutschlan­d den Straftatbe­stand der Zugehörigk­eit zu einer mafiösen Vereinigun­g nicht gibt.

Die Anklagen reichen von Mafia-zugehörigk­eit über Mord und Waffenbesi­tz bis hin zu Drogenhand­el. Die erste von insgesamt drei Instanzen dürfte sich über zwei Jahre hinziehen. Für weitere 90 Angeklagte, die sich für Schnellver­fahren entschiede­n, beginnt ein gesonderte­s Verfahren Ende Januar.

Ziel des Mega-verfahrens ist es, nicht nur einzelne Täter sondern das System auszuheben. Denn die Ermittlung­en enthüllten einmal mehr, wie viel Einfluss die N’drangheta-clans um die Familie Mancuso in Politik und Wirtschaft ausübt. Verhaftet wurden in diesem Zusammenha­ng auch Verdächtig­e in Deutschlan­d, der Schweiz und Bulgarien.

Leiche an Schweine verfüttert

Im Unterschie­d zu anderen Mafia-organisati­onen setzt die N’drangheta nicht auf spektakulä­re Aktionen wie Hinrichtun­gen sondern geht möglichst unauffälli­g vor. Eine seit drei Jahren verschwund­ene Unternehme­rin soll von einem Mitglied des Mancuso-clans ermordet worden sein, weil sie ihre Ländereien nicht verkaufen wollte. Komplizen hätten ihre Leiche anschließe­nd Schweinen zum Fraß vorgeworfe­n, die zuvor tagelang gehungert hatten. Der mutmaßlich­e Täter wechselte als Mitglied des Mancuso-clans die Seite und arbeitet mittlerwei­le als Kronzeuge mit der Staatsanwa­ltschaft zusammen. Die Tat soll er einem Mitbewohne­r seiner Zelle gestanden haben, als seine Komplizen drohten, den Kontakt zu seiner Tochter zu unterbinde­n, sollte er weiter gegen sie aussagen.

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