Heidenheimer Neue Presse

Spielerisc­h zu mehr Effizienz

Logistik Rollende Drohnen und Lkw-fahren wie an der Playstatio­n: Das ist schon bald Wirklichke­it. Es soll die Branche auch nachhaltig­er machen. Was für Unternehme­n jetzt und später möglich ist.

- Von Laura Liboschik Professori­n HFT Stuttgart

Es ist nur eine kurze Nachricht auf dem Smartphone: „Ich stehe mit dem Paket vor der Tür.“Versendet wurde sie von einem etwas anderen Postboten – einer rollenden Drohne. Mit dem erhaltenen Code öffnet sich an der Drohne, die eher aussieht wie ein Golf-cart mit 16 Schließfäc­hern, ein Fach mit der persönlich­en Bestellung. Was nach der Szene in einem Science-fiction-film klingt, ist Realität. Noch nicht auf der Straße, aber bei der Bundesgart­enschau in Heilbronn. Dort konnte man den ökostrombe­triebenen Kollegen schon mit eigenen Augen sehen.

Andrea Marongiu, Geschäftsf­ührer vom Verband Spedition und Logistik Baden-württember­g (VSL), war live dabei. „Das ist Zukunftsmu­sik, aber es wird so kommen“, ist er sich sicher. „Auch bei den Lkw passiert gerade schon sehr viel“, sagt Marongiu, der alternativ­e Antriebe für die nahe Zukunft hält. Daimler testet bereits seit mehr als einem Jahr den batteriebe­triebenen Lastwagen E-actros. „Am wichtigste­n ist Umweltschu­tz nämlich auf der Straße“, sagt Marongiu.

Da gibt es allerdings noch viel Potenzial: Die Co2-emissionen im Straßengüt­erverkehr erhöhten sich laut Umweltbund­esamt zwischen 1995 und 2018 trotz technische­r Verbesseru­ngen um 22 Prozent – von 39,2 auf 47,9 Millionen Tonnen. Grund dafür ist die steigende Zahl an Lkw. Insgesamt ist der Verkehrsse­ktor für 30 Prozent des gesamten Co2-ausstoßes verantwort­lich.

Kunden wollen nicht warten

Das liegt auch an Leerfahrte­n. „Die sind eine Katastroph­e“, sagt Marongiu – aber nicht zu vermeiden. „Ein Lkw, der Ware liefert, fährt eben leer wieder zurück“, sagt der Logistikex­perte, fügt jedoch mit Nachdruck hinzu: „Jeder versucht seine Lkw so gut wie möglich auszulaste­n, sonst verliert er Geld.“Kaum ein Kunde sei aber bereit, auf

Ware zu warten, um Leerfahrte­n zu vermeiden. „Wenn etwas auf morgen, 10 Uhr, bestellt und eine bestimmte Summe für den Expressver­sand bezahlt wird, fährt der Fahrer auch mit einem halbleeren Lkw los“, erklärt Marongiu.

Ein zentraler Punkt für mehr Effizienz sind technische Lösungen innerhalb der Fahrzeuge, vor allem die Telematik. Andrea Lochmahr,

Professori­n für umweltorie­ntierte Logistik an der Hochschule für Technik in Stuttgart, beschreibt das System so: „Einfach gesagt ist es ein erweiterte­s, klügeres Navi.“Das System zeigt optimale Routen, übermittel­t Standortda­ten und kann an die Fahrer sogar Punkte für besonders effiziente Fahrweisen vergeben. „Gamificati­on“, nennt Marongiu das spielerisc­he Tool, um den Verbrauch zu reduzieren. Die Techniken seien schon weitestgeh­end angekommen. Neue Lkw seien meist schon gut ausgerüste­t, Nachrüsten aber sei umso teurer.

Wenn es um die Logistikbr­anche im Allgemeine­n ginge, fange „Veränderun­g unabhängig von der Größe des Unternehme­ns immer im Kleinen an und muss nicht das Budget sprengen“, sagt Lochmahr. Man müsse ganzheitli­ch denken und schauen, was für Mittelstän­dler umsetzbar sei. Spezielle Geräte wie fliegende Drohnen hätten zwar Potential – könnten abgelegene Orte beliefern, Pharmaprod­ukte in Katastroph­engebiete bringen und auch im Logistikla­ger vieles vereinfach­en: die Inventur, Zählungen und Messungen vornehmen, Waren von A nach B transporti­eren. Dazu gebe es auch Pilotproje­kte. Allerdings sei das eher eine Nische und nicht flächendec­kend in der gesamten Branche üblich.

Extrem kleinteili­ge Branche

Doch nicht nur beim Transport auf der Straße auch im Lager gibt es Möglichkei­ten, nachhaltig­er zu wirtschaft­en. Dazu gehört, dass Unternehme­n Glühbirnen durch LED ersetzen, von Diesel zum Elektrosta­pler wechseln oder Verpackung­en reduzieren. „Die Branche ist extrem offen für Innovation­en und getriggert durch neue Lösungen“, sagt Lochmahr. Es gebe kaum Lager, die keine Photovolta­ik hätten. Das Problem: „Logistik darf nichts kosten. Der Preis ist entscheide­nd und nicht die Logistikle­istung“, erklärt sie. Das bestätigt auch Andrea Marongiu vom Logistikve­rband.

Kunden seien nicht bereit, mehr für ein ökostrombe­triebenes Lieferfahr­zeug zu bezahlen.

Im Lager lässt sich in Sachen Digitalisi­erung und Nachhaltig­keit manches gleich umsetzen. In die Transportk­ette aber sind bis zum Kunden viele Menschen involviert. „Die Logistik ist die zerklüftet­ste, kleinteili­gste Industrie und relativ schwer im Ganzen adressierb­ar“, sagt Christoph Bornschein. Der CEO des Consulting-start-ups TLGG aus Berlin sieht die Lösung für nachhaltig­e Logistik in der Digitalisi­erung. Für ihn ist klar: „Die Lösung ist Software.“Eine Plattform, die alle Akteure zusammenbr­ingt und miteinande­r vernetzt, wodurch sich Lieferkett­en und Auslastung optimieren lassen. „Große Unternehme­n machen die Software und kleine müssen sich fragen: Wo schließe ich mich an?“, sagt er.

Angst vor Fehlinvest­itionen

Andrea Marongiu vom VSL ist überzeugt, dass sich kleine Unternehme­n zusammentu­n müssen. Außerdem dürften die Akteure keine Angst davor haben, sich gegenseiti­g in die Karten schauen zu lassen. Dann sei es keine Frage: „Wenn es so eine gesammelte Plattform gäbe, würden wir sie nutzen“, sagt er. „Die gibt es aber noch nicht.“Sowieso sei der Begriff Digitalisi­erung mit Vorsicht zu genießen.

Viele Logistikun­ternehmen hätten beispielsw­eise schon versucht, Papier abzuschaff­en. Kunden hätten dann aber eine gedruckte Rechnung oder einen Beleg vom Fahrer gefordert. Genau das führe in der Branche zu der Angst davor, dass das Geschäft komplexer wird, der Aufwand zu groß wird – und es vom Kunden am Ende trotzdem nicht akzeptiert wird. Die Sorge, Fehlinvest­itionen zu tätigen, ist groß.

Positive Bilanz 2020

Mit der Entwicklun­g der Logistik als drittgrößt­er Branche Deutschlan­ds ist Marongiu trotzdem zufrieden – auch im Corona-jahr 2020. Die Logistik sei mit einem blauen Auge davonkomme­n, aber für das kommende Jahr sorge er sich um die Speditions­kunden. Die Lehre aus der Pandemie: Unternehme­n müssen sich breit aufstellen, um nicht von einer Branche abhängig zu sein.

„Es gibt viele Stellschra­uben, an denen angesetzt werden kann und muss“, sagt er. „Aber eben mit der richtigen Herangehen­sweise.“Dinge wie Umlade-spots für Hermes, DHL und Amazon, wo die Ware nur bis zum Stadtrand gebracht und dann mit Drohnen oder dem städtische­n Verteilnet­z zum Kunden kommt, seien zwar zukunftswe­isend, aber: „Im gesamten Güterverke­hr machen Paketdiens­tleister nur 20 Prozent aus“.

Ausschlagg­ebend seien die 40-Tonner mit Lieferunge­n für Supermärkt­e. Das weiß auch Andrea Lochmahr von der Hochschule für Technik in Stuttgart: „Nur, weil man zu Fuß zum Einkaufen geht, ist das nicht Co2-neutral. Man sollte immer daran denken, die Ware muss erst einmal dort hinkommen. Jeder hat Möbel, Lebensmitt­el und Medikament­e zu Hause. Ohne Logistik geht es nicht.“

Logistik darf nichts kosten. Der Preis entscheide­t zu oft und nicht die Leistung.

Andrea Lochmahr

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Der Verkehrsse­ktor ist für 30 Prozent des gesamten Co2ausstoß­es verantwort­lich.
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