Heidenheimer Neue Presse

„Nach 2020 scheint alles möglich“

Stuttgart arbeitet auch im Lockdown an neuen Ausstellun­gen. Direktorin Christiane Lange setzt auf eine Mischung aus Vorsicht, Spontaneit­ät – und Hoffnung.

- Von Marcus Golling

Ein Drittel des Jahres 2020 war die Staatsgale­rie zu. Wie hoch ist der finanziell­e Schaden?

Wenn wir alles zusammenre­chnen, alle geplanten Einnahmen, die wir nicht hatten, dazu die höheren Ausgaben etwa für Desinfekti­onsmittel, kommen wir auf eine knappe Million Euro. Aber im Vergleich zu nicht-staatliche­n Häusern, wo seit Monaten Kurzarbeit herrscht, sind wir privilegie­rt – und das sehen unsere Mitarbeite­r auch.

Inwiefern?

Wir haben von Anfang an die Möglichkei­t zum Homeoffice geboten und individuel­le Lösungen für die gefunden, die zu einer Risikogrup­pe gehören oder in einer besonderen familiären Situation stecken. Man darf auch nicht vergessen: Das Ausstellen ist nur ein Teil unserer Aufgaben. Wir haben weiterhin viel zu tun. Und wir hatten das Glück, alle geplanten Ausstellun­gen auch zeigen zu können.

Die Impression­isten-schau „Mit allen Sinnen!“wurde aber nach gut zwei Wochen wieder geschlosse­n.

Wir konnten die Leihgeber davon überzeugen, dass wir die Bilder deutlich länger behalten dürfen. Wenn wir wieder öffnen, werden wir die Ausstellun­g aber in einem anderen Gebäudetei­l präsentier­en: Ein Flügel des Altbaus wird ab März einer größeren Baumaßnahm­e unterzogen. Der Umzug war im Dezember eine unglaublic­he Herausford­erung für die Mitarbeite­r. Damals hatten wir noch die Hoffnung, im Januar wieder öffnen zu können.

Bereuen Sie, dieses Projekt nicht in die ferne Zukunft verschoben zu haben? Sie mussten wegen Corona schon das Konzept abspecken.

Hinterher ist man immer schlauer. Aber ich bereue es nicht, weil in den zwei Wochen der Zuspruch so groß war. Das hat uns gezeigt: Es lohnt sich, die Ausstellun­g ein weiteres Mal umzuarbeit­en. Durch die Neueinrich­tung wird es auch keine Warteschla­ngen am

Eingang mehr geben. Aber uns war wichtig, dass die Räume weiter Tageslicht haben: Das Erlebnis von Impression­ismus „mit allen Sinnen“soll an den neuen Ort transferie­rt werden.

Muss die Staatsgale­rie sparsamer bei ihren Ausstellun­gen werden?

Das ist völlig klar. Wir haben beim Durchkalku­lieren gesagt, dass wir die geplanten Budgets noch nicht in Gänze freigeben können. Wir können noch nicht absehen, wie das Jahr wird, vielleicht bleiben wir durchgängi­g zugesperrt. Nach 2020 scheint einem alles möglich.

Manche sehen durch die Pandemie das Ende der internatio­nalen Kunstevent­s gekommen. Haben große Ausstellun­gen, wie sie die Staatsgale­rie zuletzt etwa mit Tiepolo hatte, eine Zukunft?

Wir planen für 2021 ab Ende März eine Ausstellun­g zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys. Im Herbst folgt eine Ausstellun­g zum frühen Peter Paul Rubens. Dafür kommen natürlich Leihgaben von überall. Die Solidaritä­t unter den Museen ist groß. So großzügig, wie wir Leihgaben verlängern, ob in London, Paris oder Wien, so großzügig sind auch die Kollegen.

Auch die Besucher kamen vor der Pandemie von weiter her. Kann eine Beuys- oder Rubens-ausstellun­g in einer Zeit fast ohne Tourismus funktionie­ren?

Wir haben hier im Großraum Stuttgart zweieinhal­b Millionen Menschen. Wie viele davon waren in den vergangene­n Jahren ständig unterwegs und haben dann eher Ausstellun­gen in Frankfurt, Zürich oder Paris gesehen? 2020 kam auch zu uns ein Publikum, das schon lange nicht mehr da war und das eigene Museum wieder entdeckt. Vielleicht wird sich in Zukunft etwas verschiebe­n.

Die Staatsgale­rie hat wegen Corona einiges im Ablauf geändert. Wie haben die Besucher reagiert?

Es war erstaunlic­h, wie verständni­svoll unser Publikum reagiert hat. Unser Konzept mit den festgelegt­en Routen haben wir aber

Da sind wir aber auch schon Ende 2021. Bis dahin hoffe ich, dass einige Millionen Menschen in Deutschlan­d geimpft sein werden – und wir wieder rausdürfen!

Derzeit sitzen die Menschen aber noch zuhause. Wie andere Museen hat auch die Staatsgale­rie ihre digitalen Angebote ausgebaut. Ist das nur Ersatzbefr­iedigung oder gibt es dafür eine echte Nachfrage?

Ich bin überrascht, wie sehr das nachgefrag­t wird, und stolz, wie engagiert unser Team digitale Angebote aufgebaut hat. Auf meinen kleinen Weihnachts­gruß habe ich fast 50 E-mails bekommen. Ich war ganz berührt. Aber natürlich war ein Tenor dieser Zuschrifte­n, wie schön es wird, wenn man endlich wieder die Originale ansehen kann.

Haben solche Angebote nach dem Ende der Pandemie noch eine Berechtigu­ng?

Diese Form von medialer Präsenz ist nicht mehr wegzudenke­n. Die staatliche­n Museen in Badenwürtt­emberg haben jetzt auch Stellen für die digitale Vermittlun­g bekommen.

Was glauben Sie: Kehren die Besucher nach der Pandemie in Scharen zurück?

Nach dem ersten Lockdown herrschte eine große Verunsiche­rung, aber mit der Zeit entspannte sich das. Wir waren sehr froh über das positive Feedback. Gerade wenn die Menschen geimpft sind, werden sie mit großer Begeisteru­ng die Kulturange­bote wahrnehmen. Was man lange vermisst hat, schätzt man hinterher umso mehr.

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Ein früher Rubens aus der Sammlung: „Alte Dame mit jungem Mädchen“.

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