Heißer Draht zur Polizei
Ein Rabbi Klein, der in einer Krimi-reihe Verbrecher jagt, wird Shneur Trebnik nicht. Aber er ist der erste Polizeirabbiner in Württemberg.
Mit einem sonoren Brummen öffnet sich die schwere Zugangstür. Im anschließenden Vorraum erfasst ein Mitarbeiter der Synagoge die Personalien der Besucher. Auch vor einem Gespräch mit Shneur Trebnik, dem Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Ulm, gelten Sicherheitsvorkehrungen. Der antisemitische Anschlag von Halle wirkt nach. Jüdisches Leben in Deutschland ist noch immer gefährdet. Und doch ist es auch normal. Schließlich prägen Juden Kultur, Geschichte und Politik des Landes seit 1700 Jahren mit. Als Zeichen der neuen Normalität hat die Landesregierung in Stuttgart zu Jahresbeginn zwei Polizei-rabbiner berufen. Shneur Trebnik ist einer von ihnen.
Randlose Brille, aufmerksamer Blick, offenes Lächeln: Im dunklen Anzug hat sich Shneur Trebnik in einem Sessel im Erdgeschoss der Synagoge niedergelassen. Der schwarz-weiß melierte Bart ruht auf seinem weißen Hemd. Der 45-Jährige ist in diesen Räumen zu Hause. Er hat sie maßgeblich geprägt. Der Bau und die Fertigstellung der Synagoge 2012, noch mehr aber die Zusammenführung von rund 500 meist aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammenden Menschen jüdischen Glaubens zu einer Gemeinde, ist das Werk von Shneur Trebnik, der vor seiner Berufung zum Rabbiner in Israel als Mathematiker gearbeitet hat.
Ein Traumziel war Deutschland für den jüdischen Geistlichen nicht. Als Shneur Trebnik nach Studienjahren in New York und Melbourne zu einem halbjährigen Praktikum nach Wien kommt, glaubt er noch: „Die deutsche Sprache brauche ich nicht.“Das ändert sich schlagartig, als ihm 1999 die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) eine zunächst auf zwei Jahre befristete Anstellung als Rabbiner in Ulm anbietet. Mit seiner Frau Chani und Töchterchen Mushka, dem ältesten der inzwischen acht Kinder, zieht er im Jahr 2000 von Israel nach Ulm. „Uns war immer klar, dass wir etwas für andere Menschen tun wollen.“Warum dann nicht in Ulm?
Improvisation und Offenheit
„Die ersten beiden Jahre hat sich das jüdische Gemeindeleben in unserem Wohnzimmer abgespielt.“Dass aus dem improvisierten Anfang eine wirkliche Gemeinde werden würde, konnte niemand garantieren. „Wir brauchten viel Phantasie unsererseits, um der Skepsis auf anderer etwas entgegenzusetzen.“Die Improvisationsgabe einerseits, aber auch die Offenheit für andere Lebens
und Glaubensauffassungen andererseits haben letztlich zum Ziel geführt.
Auf beides setzt der Rabbiner jetzt auch für seine neue Aufgabe bei der Polizei. Mit seinem badischen Kollegen Moshe Flomenmann soll der Geistliche junge Beamte über jüdisches Leben in Deutschland informieren, Feiertage und Alltagsregeln erklären, Vertrauensperson sein und als Ansprechpartner in Glaubensfragen aus nicht-christlicher Perspektive dienen. „5 oder 6 Unterrichtsstunden für eine 4000-jährige Geschichte sind nicht wirklich viel“, lacht Trebnik. Doch das beirrt ihn nicht. Trebnik will, dass in einem Notfall „Polizeibeamte wissen, was sie schützen und was hinter den Mauern einer Synagoge passiert.“Und weil Polizisten eine wichtige Schnittstelle zur Gesellschaft seien, ist dem Rabbiner auch wichtig, dass Polizisten mehr mit dem Judentum verbinden können als die drei Stichworte: Sicherheit, Antisemitismus und Holocaust.
Aus den Worten des Geistlichen spricht Respekt für die Sicherheitskräfte,
die viel für den Schutz anderer riskieren. Auch Trebnik selbst hat früh gelernt, sich für andere einzusetzen. Sein Vater, Pinchas Trebnik, hat es ihm vorgemacht. Im zentralisraelischen Dorf Kfar Chabad, unweit von Tel Aviv, hat er als Ehrenamtlicher begonnen, Verteilstationen für medizinische Geräte aufzubauen und später dann Freiwillige in Erste-hilfe trainiert. Sie helfen die Zeit bis zum Eintreffen eines Rettungswagens zu verkürzen. Als 20-Jähriger lässt sich
Beamte sollen wissen, was sie schützen und was in einer Synagoge passiert.
auch Shneur Trebnik zum Rettungssanitäter schulen. Damit ist er in Israel bis heute Teil des staatlichen Notfallsystems.
Shneur Trebnik ist orthodox-chassidisch. „Gesetzestreu“, nennt er sich selbst. „Ich bin persönlich ein sehr streng gläubiger Jude. Aber ich habe sehr großen Respekt für Menschen, die anders denken.“Nur mit dieser Balance war die Zusammenführung so unterschiedlicher Menschen zu einer Gemeinde möglich. „Wäre ich zu streng, würden die Menschen gar nicht kommen.“Die Gemeinde hat Shneur Trebnik in Deutschland verankert. „Israel ist meine Heimat, aber ich fühle mich hier zu Hause.“Die neue Aufgabe könnte dieses Gefühl noch verstärken.