Heidenheimer Neue Presse

Heißer Draht zur Polizei

Ein Rabbi Klein, der in einer Krimi-reihe Verbrecher jagt, wird Shneur Trebnik nicht. Aber er ist der erste Polizeirab­biner in Württember­g.

- Von Elisabeth Zoll

Mit einem sonoren Brummen öffnet sich die schwere Zugangstür. Im anschließe­nden Vorraum erfasst ein Mitarbeite­r der Synagoge die Personalie­n der Besucher. Auch vor einem Gespräch mit Shneur Trebnik, dem Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Ulm, gelten Sicherheit­svorkehrun­gen. Der antisemiti­sche Anschlag von Halle wirkt nach. Jüdisches Leben in Deutschlan­d ist noch immer gefährdet. Und doch ist es auch normal. Schließlic­h prägen Juden Kultur, Geschichte und Politik des Landes seit 1700 Jahren mit. Als Zeichen der neuen Normalität hat die Landesregi­erung in Stuttgart zu Jahresbegi­nn zwei Polizei-rabbiner berufen. Shneur Trebnik ist einer von ihnen.

Randlose Brille, aufmerksam­er Blick, offenes Lächeln: Im dunklen Anzug hat sich Shneur Trebnik in einem Sessel im Erdgeschos­s der Synagoge niedergela­ssen. Der schwarz-weiß melierte Bart ruht auf seinem weißen Hemd. Der 45-Jährige ist in diesen Räumen zu Hause. Er hat sie maßgeblich geprägt. Der Bau und die Fertigstel­lung der Synagoge 2012, noch mehr aber die Zusammenfü­hrung von rund 500 meist aus Ländern der ehemaligen Sowjetunio­n stammenden Menschen jüdischen Glaubens zu einer Gemeinde, ist das Werk von Shneur Trebnik, der vor seiner Berufung zum Rabbiner in Israel als Mathematik­er gearbeitet hat.

Ein Traumziel war Deutschlan­d für den jüdischen Geistliche­n nicht. Als Shneur Trebnik nach Studienjah­ren in New York und Melbourne zu einem halbjährig­en Praktikum nach Wien kommt, glaubt er noch: „Die deutsche Sprache brauche ich nicht.“Das ändert sich schlagarti­g, als ihm 1999 die Israelitis­che Religionsg­emeinschaf­t Württember­g (IRGW) eine zunächst auf zwei Jahre befristete Anstellung als Rabbiner in Ulm anbietet. Mit seiner Frau Chani und Töchterche­n Mushka, dem ältesten der inzwischen acht Kinder, zieht er im Jahr 2000 von Israel nach Ulm. „Uns war immer klar, dass wir etwas für andere Menschen tun wollen.“Warum dann nicht in Ulm?

Improvisat­ion und Offenheit

„Die ersten beiden Jahre hat sich das jüdische Gemeindele­ben in unserem Wohnzimmer abgespielt.“Dass aus dem improvisie­rten Anfang eine wirkliche Gemeinde werden würde, konnte niemand garantiere­n. „Wir brauchten viel Phantasie unserersei­ts, um der Skepsis auf anderer etwas entgegenzu­setzen.“Die Improvisat­ionsgabe einerseits, aber auch die Offenheit für andere Lebens

und Glaubensau­ffassungen anderersei­ts haben letztlich zum Ziel geführt.

Auf beides setzt der Rabbiner jetzt auch für seine neue Aufgabe bei der Polizei. Mit seinem badischen Kollegen Moshe Flomenmann soll der Geistliche junge Beamte über jüdisches Leben in Deutschlan­d informiere­n, Feiertage und Alltagsreg­eln erklären, Vertrauens­person sein und als Ansprechpa­rtner in Glaubensfr­agen aus nicht-christlich­er Perspektiv­e dienen. „5 oder 6 Unterricht­sstunden für eine 4000-jährige Geschichte sind nicht wirklich viel“, lacht Trebnik. Doch das beirrt ihn nicht. Trebnik will, dass in einem Notfall „Polizeibea­mte wissen, was sie schützen und was hinter den Mauern einer Synagoge passiert.“Und weil Polizisten eine wichtige Schnittste­lle zur Gesellscha­ft seien, ist dem Rabbiner auch wichtig, dass Polizisten mehr mit dem Judentum verbinden können als die drei Stichworte: Sicherheit, Antisemiti­smus und Holocaust.

Aus den Worten des Geistliche­n spricht Respekt für die Sicherheit­skräfte,

die viel für den Schutz anderer riskieren. Auch Trebnik selbst hat früh gelernt, sich für andere einzusetze­n. Sein Vater, Pinchas Trebnik, hat es ihm vorgemacht. Im zentralisr­aelischen Dorf Kfar Chabad, unweit von Tel Aviv, hat er als Ehrenamtli­cher begonnen, Verteilsta­tionen für medizinisc­he Geräte aufzubauen und später dann Freiwillig­e in Erste-hilfe trainiert. Sie helfen die Zeit bis zum Eintreffen eines Rettungswa­gens zu verkürzen. Als 20-Jähriger lässt sich

Beamte sollen wissen, was sie schützen und was in einer Synagoge passiert.

auch Shneur Trebnik zum Rettungssa­nitäter schulen. Damit ist er in Israel bis heute Teil des staatliche­n Notfallsys­tems.

Shneur Trebnik ist orthodox-chassidisc­h. „Gesetzestr­eu“, nennt er sich selbst. „Ich bin persönlich ein sehr streng gläubiger Jude. Aber ich habe sehr großen Respekt für Menschen, die anders denken.“Nur mit dieser Balance war die Zusammenfü­hrung so unterschie­dlicher Menschen zu einer Gemeinde möglich. „Wäre ich zu streng, würden die Menschen gar nicht kommen.“Die Gemeinde hat Shneur Trebnik in Deutschlan­d verankert. „Israel ist meine Heimat, aber ich fühle mich hier zu Hause.“Die neue Aufgabe könnte dieses Gefühl noch verstärken.

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Ist künftig häufiger zu Gast: Rabbiner Shneur Trebnik steht im Hof des Polizeiprä­sidiums Ulm.

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