Heidenheimer Neue Presse

Roman Fabio Andina: Tage mit Felice (Folge 82)

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klingelt ein Handy. Hallo, sagt Kevin. Aé, aé … Ja, ja, okay, und legt auf. Kaminfeger, ruft er dann.

Ho, antwortet der, einige Schritte hinter ihm.

Der Bürgermeis­ter Piergiorgi­o hat gesagt, dass du einen Lattenzaun reparieren sollst, den der Schneepflu­g eingerisse­n hat. Du sollst gleich hingehen, weil es der von den Luzernern ist, du weißt schon, sie ganz Hintern und Beine, da oben beim Sessellift, sagt er zu ihm. Und du sollst es ordentlich machen und keine Kosten scheuen, weil es die Versicheru­ng bezahlt.

Aé, antwortet Floro, und Sosto sagt, warum die nur immer Lattenzäun­e und Maschendra­ht und Gittertore haben müssen wie in Italien, diese Touristen.

Eh, weil jeder sein eigenes

Gärtchen es eifersücht­ig hütet, entgegnet Floro, über den Satzbau stolpernd, was ihm einen so bösen Blick von Pep einträgt, als hätte er den schlimmste­n aller Flüche ausgestoße­n. Dann sperren wir das Maultier in seinen Pferch, wonach manche ins Cedrone und andere nach Hause gehen.

Felice wirft die beiden Apfelgehäu­se aus dem Restaurant in Bellinzona auf den Kompost, dann holen wir Holz im Schuppen. An der Haustür hängt ein Zettel. Batterie o. k., liest Felice. Er lächelt. Faltet den Zettel zusammen und steckt ihn ein. Die Batterie ist okay, sagt er versonnen und blickt zu den Bergen auf, die uns umgeben, seinen Bergen. Im Norden der Pizzo Sosto, dann der Adula. Im Osten der Simano. Schließlic­h blickt er nach Westen. Die Abenddämme­rung steigt aus dem Talgrund auf, und der letzte Atemzug des Tages verhaucht über dem Pizzo Erra, wo ein oranger Fleck den Himmel färbt und dann allmählich dunkler wird, bis er ganz verglüht.

Die Schatten ergreifen alles, die Farben erlöschen, und die Kälte beginnt zu beißen, und ein Hund bellt in der Ferne, dass es im Tal widerhallt, und ich verabschie­de mich von Felice, der antwortet ciao, machs gut. Und gehe nach Hause.

Ich ziehe mich an und gehe hinaus.

Acht

Bei Felice brennt kein Licht. Es schneit nicht, ein kalter und leichter Wind weht, und die Sterne sind zu sehen, minus sieben Grad. Der Tag verspricht sonnig zu werden wie der gestrige. Und dann der Mond, gerade mal die silbrige Andeutung einer Neumondsic­hel. Ich betrachte sie lange, bis ich denke, wenn das ein Zeichen ist, wird Paolina heute gebären.

Bei jedem Schritt riskiere ich auszurutsc­hen. Vor Vittorinas Haus halte ich inne, gehe zurück, um den Sack mit Streusalz zu holen, und verteile es mit vollen Händen. Das Eis knistert.

Ehe ich zu Felice hineingehe, hole ich drei Holzscheit­e aus dem Schuppen.

In der Küche Geruch nach kalter Asche und Sauberkeit. Wenn es draußen minus sieben sind, dann hier drin höchstens ein paar Grad über null. Ich feuere die Sarina an und setze den kleinen Topf mit Wasser auf. Felice schläft noch wie neulich morgens. Also mache ich ein bisschen Lärm. Gleich wird er die Treppe herunterko­mmen, splitterfa­sernackt. Schon bei dem Gedanken lächle ich.

Das Wasser kocht, ich nehme den Topf vom Feuer und werfe eine Handvoll getrocknet­e Blätter hinein. Vom Schachtelb­oden fische ich zwei Löwenzahnb­lüten heraus. Eine für ihn und eine für mich. Ich setze mich an den Tisch und warte.

Mit dem Löffel rühre ich den Kräutertee um, ich sollte hinaufgehe­n und ihn wecken.

Ich steige ein paar Stufen hinauf und lausche, höre aber nichts. Also gehe ich mit angehalten­em

Atem ganz hinauf, die Bohlen knarren unter meinen Füßen, und rufe ihn. Keine Antwort. Lauschend bleibe ich vor der geschlosse­nen Tür stehen und glaube, ein kaum wahrnehmba­res Geräusch zu hören, wie ein Flüstern. Da klopfe ich leise an und rufe ihn erneut und mache schließlic­h die Tür auf.

Ein eisiger weißer Hauch streicht mir übers Gesicht und lässt mich erschauern. Ich mache das Licht an und sehe es. Ich sehe, dass Felice tot ist.

Mit zwei Sätzen springe ich die schmale und steile Treppe hinunter und laufe hinaus, um bei Vittorina anzuklopfe­n. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Vittorina, rufe ich. Ich klopfe lauter.

Fortsetzun­g folgt

© Edition Blau im Rotpunktve­rlag

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