Heidenheimer Neue Presse

Wie die Preußen das Reich erzwangen

Bilder der Macht: Anton von Werner malte die „Kaiserprok­lamation“. Vor 150 Jahren feierten sich die Deutschen verhängnis­voll im Spiegelsaa­l von Versailles.

- Von Jürgen Kanold

Früher baute man eine Pyramide oder einen Triumphbog­en. Heute mischt das Volk direkt mit und hat auf den Stufen des Berliner Reichstags oder beim Sturm auf das Kapitol in Washington die Handys dabei und lädt Selfies auf Instagram hoch. Es geht um die Bilder der Macht und um die Macht der Bilder. Um Symbole und symbolhaft­es Handeln. Wer gewinnt die Deutungsho­heit über die Realität? So wird Politik gemacht, und so entstehen Mythen.

Und als die Preußen vor 150 Jahren die Gründung des neuen deutschen Kaiserreic­hs in Szene setzten, waren in Versailles natürlich noch keine Tv-kameras aufgestell­t, um das Ereignis via Satellit in alle Welt live zu übertragen. Damals brauchte es noch einen Historienm­aler.

Das war dann Anton von Werner: 27 Jahre alt, verarmter Adel, der Vater Tischler in Frankfurt/ Oder. In Karlsruhe besuchte er die Kunstakade­mie, er hatte gute Kontakte zum badischen Hof, der Großherzog wiederum war der Schwiegers­ohn des preußische­n Königs. Am Vormittag des 15. Januar 1871 jedenfalls erhielt der Maler ein Telegramm aus Versailles, dem Hauptquart­ier der deutschen Truppen, die Paris belagerten: Wenn er vor dem 18. Januar eintreffe, könne er dort „etwas Ihres Pinsels Würdiges erleben“. Was genau, erfuhr Werner erst vor Ort. Danach schuf er die „Kaiserprok­lamation“in mehreren Versionen (die erste 1877), wunschgemä­ß mit viel Pathos.

Hektische Zeremonie

Die hektische Verpflicht­ung des Historienm­alers war bezeichnen­d für die ganze Staatsakti­on, die so folgenreic­h war für die Geschichte des 20. Jahrhunder­ts. Ausgerechn­et im Spiegelsaa­l von Versailles, im Schloss des Sonnenköni­gs Ludwig XIV., einem Nationalhe­iligtum der Franzosen, sollte Preußens Wilhelm zum Kaiser ausgerufen werden. Seit Juli 1870 tobte der Krieg, die Deutschen standen vor dem Sieg, hatten sich in Versailles eingericht­et, der Spiegelsaa­l diente als Lazarett und wurde für die Feier geräumt und dekoriert. Keiner der deutschen Fürsten hatte zu Hause auch nur annähernd eine solche Pracht vorzuweise­n, es war ein bisschen so, schreibt der Historiker Tillmann Bendikowsk­i, „als wären die armen Verwandten aus der Nachbarsch­aft zu Besuch gekommen“.

Typisch preußisch, ätzte der anwesende bayerische Prinz Otto über die Zeremonie: „so prunkend und großtueris­ch und herzlos und leer“. Bronsart von Schellendo­rf sprach von einem „Mummenscha­nz“. Der trug freilich dazu dabei, die „Erzfeindsc­haft“Frankreich­s mit dem Deutschen Reich zu begründen, die in den Ersten Weltkrieg führte. In Versailles – wo sonst? – „diktierte“das gedemütigt­e Frankreich dann 1919 einen brutalen Friedensve­rtrag, der zu einer Hypothek der demokratis­chen Weimarer Republik werden sollte, zu Propaganda­futter auch des aufziehend­en Nationalso­zialismus.

So einfach, so kausal verläuft Geschichte natürlich nicht. Aber gut ist es den Deutschen nicht bekommen, „und erst recht nicht den Nachbarn“, dass Preußen Deutschlan­d erzwang – so bilanziert etwa der Historiker Christoph Jahr in seinem neuen Buch „Blut und Eisen“die Zeit von 1864-1871.

„Nicht durch Reden und Majoritäts­beschlüsse“, sondern „durch Eisen und Blut“hatte Bismarck, Preußens Ministerpr­äsident, für seinen König die Einheit Deutschlan­d vorangetri­eben: 1864 der Krieg gegen Dänemark, 1866 der Sieg bei Königgrätz über Österreich. Preußen annektiert­e unter anderem Hannover und führte jetzt den Norddeutsc­hen Bund. Der Krieg gegen Frankreich kam 1870 sehr gelegen – patriotisc­h nahmen die vier verblieben­en süddeutsch­en Staaten teil: Baden, Württember­g, Hessen-darmstadt und Bayern. Dann war formell zum 1. Januar 1871 das neue Deutsche

Reich geschmiede­t (das alte, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, war 1806 durch Franzosenk­aiser Napoleon untergegan­gen).

Bayern vor allem begehrte noch auf, doch Preußen sorgte mit einigen Millionen aus dem erbeuteten Welfenfond dafür, dass König Ludwig II. den Deal unterschri­eb. Der „Kini“kam allerdings nicht zur Kaiserprok­lamation nach Versailles, nicht nur, weil er mit Zahnschmer­zen im Bett lag – er verachtete die Preußen

und baute eigene Schlösser, etwa Neuschwans­tein.

Auf den 18. Januar 1871 also hatte Bismarck die Zeremonie geschichts­bewusst gelegt. An einem 18. Januar, 1701, hatte sich einst Friedrich I. selbst vom Brandenbur­ger Kurfürsten zum ersten „König in Preußen“befördert. Ja, und jetzt geht’s ins Detail. Denn was sollte der aktuelle Preußen-wilhelm nun werden? Seiner Meinung nach selbstvers­tändlich „Kaiser von Deutschlan­d“.

Das hätte aber die absolute Territoria­lherrschaf­t angezeigt, was nicht nur die Bayern vermeiden wollten. Der clevere Bismarck setzte auf „Deutscher Kaiser“, was Wilhelm tief erzürnte, was ihn „zum Schluchzen“brachte. Der Großherzog von Baden rief dann im Spiegelsaa­l die Zauberform­el aus: „Seine Majestät, Kaiser Wilhelm, der Siegreiche, er lebe hoch!“.

Welcher Kaiser-titel?

Aber es blieb eine vermurkste politische Aktion – was auf Anton von Werners heroischem Historieng­emälde allerdings zu erkennen ist. Dort sind, aber das entspricht der Wahrheit, auch keine Bürger, keine Arbeiter und Bauern und sowieso keine Frauen abgebildet. Die waren alle nicht dabei. Auch Parlamenta­rier fehlten in dieser Versammlun­g von Fürsten und Militärs.

Vom Titel „Kaiser der Deutschen“war nicht die Rede, diese Variante hatten Bismarck und Wilhelm in ihrem Streit keine Minute in Betracht gezogen, wie Christoph Nonn in seinem Buch „12 Tage und ein halbes Jahrhunder­t“referiert. Aber das wäre es gewesen: „ein Kaiser, der von den Deutschen legitimier­t war und für sie regierte, nicht über sie“.

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Foto: epd/akg-images Anton von Werners Gemälde „Die Proklamati­on des Deutschen Kaiserreic­hs“(Variante von 1885). In der Mitte Otto von Bismarck in weißer Uniform (tatsächlic­h trug er Blau).
 ?? Foto: Jonas Klüter/dpa ?? Farbanschl­ag auf ein Bismarck-denkmal: Der Reichskanz­ler verkörpert heute auch Imperialis­mus, Rassismus und Kolonialis­mus.
Foto: Jonas Klüter/dpa Farbanschl­ag auf ein Bismarck-denkmal: Der Reichskanz­ler verkörpert heute auch Imperialis­mus, Rassismus und Kolonialis­mus.

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