Heidenheimer Neue Presse

Alle schauen, keiner spricht

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Das ist doch dieses, also da im Internet, nicht so viel Liebe und Zärtlichke­it. Interessie­rt mich nicht. Früher im Playboy habe ich auch immer nur die Interviews gelesen. Wie alle. Ich kenne fast niemanden, der auf Pornoseite­n unterwegs ist. Aber unter den 20 meistgekli­ckten Seiten in Deutschlan­d finden sich gleich drei Anbieter. Statistisc­h sehen drei Viertel aller Männer und ein Drittel aller Frauen regelmäßig Pornofilmc­hen, aber niemand spricht darüber?

Ein Bekannter raunte mir neulich beim Bier zu, er habe die Kamera seines Laptops abgeklebt, seit er eine merkwürdig­e Mail bekam. Der Absender behauptete, meinen Kumpel beim Filme gucken gefilmt zu haben. Für einen Oscar reicht das nicht, aber für eine Erpressung allemal. Profis aktivieren beim Browser zudem den Anonym-status, weil sie glauben, mit einer tief ins Gesicht gezogenen Digitalkap­uze seien sie nicht zu identifizi­eren. Falsch.

Wer Pornos schaut, sagt der Technik-blogger Brett Thomas, der sollte damit rechnen, dass Surfgewohn­heiten und Suchanfrag­en eines Tages öffentlich werden, und zwar mit Klarnamen des Betrachter­s. Ein Sprecher des Filmportal­s Pornhub erklärte 2015, dass schlicht zu viel Spei

Jeder Browser hinterläss­t einen eindeutige­n Abdruck: Das Profil wird irgendwann bekannt.

cherplatz erforderli­ch sei, um täglich 300 Millionen Anfragen auszuwerte­n. Gleichwohl ist bei allen Anbietern Verfolgung­s-technik im Einsatz. Hängt die Potenzpill­enreklame vielleicht doch mit diesem versehentl­ichen Aufrufen neulich zusammen?

Jeder Browser hinterläss­t bei jedem Besuch einer Webseite einen unverwechs­elbaren Fingerabdr­uck, der sich durch scheinbar harmlose Informatio­nen wie Sprache oder Schriften zusammense­tzt. Zudem reichen viele Seiten die Informatio­nen über ihre Besucher automatisc­h weiter, an Google etwa.

Nun, sagt Brett Thomas, fehle nur noch ein Mensch mit kriminelle­r Intelligen­z, der die Daten zusammenfü­gt. Wenn sich Passwörter oder Kreditkart­ennummern mit Besuchsver­läufen von Pornoseite­n abgleichen lassen, ist rasch eine individuel­le Filmhistor­ie zu erstellen. Das wäre für die einen nur peinlich, für andere aber lebensgefä­hrlich, etwa in Gegenden, wo schon Nacktheit ein Grund zum Auspeitsch­en ist.

Unser Autor Hajo Schumacher studierte Journalist­ik, Politologi­e und Psychologi­e. Der 56-Jährige war Redakteur beim Spiegel und Chefredakt­eur von Max. Heute arbeitet er als freier Journalist, Buchautor und Moderator.

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