Rost, Moos oder aufgeplatzte Baumrinde
Ein Reisebüro wird zur Kunstgalerie: In der Heidenheimer Hauptstraße stellt Birgit Hietkamp ihre Gemälde derzeit im Schaufenster des IHR Reisebüros aus. Manche ihrer Werke stellt die Künstlerin gelegentlich auch unter die Dusche.
Mit den Werken von Birgit Hietkamp wird aktuell das Schaufenster eines Heidenheimer Reisebüros zur Kunstgalerie.
Ein kleiner Wald ist in der Heidenheimer Fußgängerzone gewachsen. Rinde, Äste, Holz und Erde schmücken seit Kurzem das Schaufenster des IHR Reisebüros in der Hauptstraße. Jedoch: Mal abgesehen von ein paar Ästen ist dieser Wald nicht „natürlich“– vielmehr besteht er aus Farbe, Leinwand und Pigmenten. Denn dahinter steckt die Heidenheimer Künstlerin Birgit Hietkamp. Sie ist eine von mehreren Kunstschaffenden, die es sich jüngst auf die Fahnen geschrieben haben, Licht und Farbe in die Geschäfte der Innenstadt zu bringen.
„Ich habe über die HZ von der Aktion von Nicoline Koch-lutz erfahren“, erzählt Hietkamp. Die „Open“-künstlerin Koch-lutz hat kürzlich die Schaufenster des Cafés Hellen Stein mit Aquarellen verziert – und weitere Kunstschaffende dazu aufgerufen, es ihr nachzutun. „Diesem Aufruf bin ich gefolgt“, sagt Hietkamp. Gezielt habe sie beim IHR Reisebüro angefragt. Man kennt sich; im Reisebüro hängen Hietkamps Gemälde schon länger und sorgen dort bei der Kundschaft für einen Klecks Farbe im Ambiente, wenn sie Flüge und Hotels buchen.
Nur bleibt eben jene Kundschaft seit Beginn der Pandemie quasi komplett aus. „Mit meinen Bildern wollte ich etwas Leben in das Geschäft zurückholen“, berichtet Hietkamp. „Es soll zudem ein Wachruf sein und den Menschen deutlich sagen: ‚Hallo, uns Künstler gibt’s auch noch!‘ Nur arbeiten wir momentan eben in unseren stillen Kämmerchen.“
Rost, Moos, Verwitterung
Hietkamps Kämmerchen beziehungsweise Atelier befindet sich in der Hinteren Gasse. Ursprünglich Autodidaktin, absolvierte Hietkamp später ein dreijähriges Studium der Kunsttherapie. Darüber hinaus arbeitet sie unter anderem auch als Ernährungs- und Diätberaterin. Und: als freischaffende Künstlerin. „Früher habe ich hauptsächlich mit Acrylfarben gemalt. Heute nutze ich vor allem Naturpigmente, aber auch Edelsteine und Wachsfilme für meine Bilder“, erläutert Hietkamp.
Für jene Gemälde geht die Künstlerin auch gerne mal auf Spurensuche. Alte Gemäuer, Verwitterungsprozesse, Rost, Moos, aufgeplatzte Baumrinde – das alles dient ihr als Inspiration. „Manchmal stelle ich ein Bild auch für eine Weile unter die Dusche und arbeite mit der Essenz, die übrig bleibt, weiter. Mir gefällt, wenn etwas Zurückliegendes dadurch wieder hervorkommt“, so Hietkamp.
Trotz des allumfassenden Themas Corona – oder schlicht „C-punkt“wie Hietkamp das Virus gelegentlich nennt – haben die Gemälde inhaltlich nichts mit der Pandemie zu tun. Weite, ausladende Striche in verschiedenen Rot- und Brauntönen werden auf ihnen durch schwarze Striche und weiße Farbtupfer unterbrochen.
Kleine Arbeiten statt Großformate
Zwei der Werke sind erst kürzlich entstanden, die restlichen hat Hietkamp aus ihrem Fundus ausgegraben. „Für die Aktion musste ich auf kleinere Arbeiten zurückgreifen“, erklärt sie. „Das war etwas ungewohnt für mich. Normalerweise produziere ich eher Großformate.“Titel gibt sie ihren Bildern grundsätzlich nicht – die Künstlerin will den Betrachter nicht gezielt in eine Richtung lenken. Auch wenn ihre Bilder vermutlich nicht auf ewig die Schaufenster in der Hauptstraße zieren werden, so hofft Birgit Hietkamp doch, dass sich daraus etwas Dauerhaftes entwickeln wird: „Vielleicht entsteht daraus ja eine Art Kooperation von diversen Künstlern
aus dem Kreis Heidenheim. Etwas, das sagt: ‚Wir sind da‘ – auch nach Corona.“