Heidenheimer Neue Presse

Die wahre Gefahr

- Dieter Keller zur Angst vor Inflation leitartike­l@swp.de

Ein Gespenst geht wieder einmal um, das die Deutschen besonders schreckt: Die Inflation kehrt zurück und bedroht ihr mühsam zusammenge­spartes Vermögen. Die Hyperinfla­tion des Jahres 1923 ist zwar schon fast ein Jahrhunder­t her, und die Zahl derjenigen, die sie noch selbst erlebt haben, ist sehr überschaub­ar. Doch in den Hinterköpf­en der Bundesbürg­er ist sie fest verankert. Daher sorgt es schon für aufgeregte Diskussion­en, wenn Bundesbank­präsident Jens Weidmann für das zweite Halbjahr eine Preissteig­erung von über drei Prozent vorhersagt. Doch für eine anhaltend hohe Inflation spricht derzeit wenig.

Wir sind ein gutes Stück verwöhnt: Im letzten Jahr stiegen die Preise nur um 0,5 Prozent, also kaum merkbar. In der zweiten Jahreshälf­te war die Inflations­rate sogar leicht negativ. Das hatte einen einfachen Grund: Die Mehrwertst­euer wurde gesenkt, was den Staat viel kostete, aber den Konsum kaum belebte. Hinzu kamen die niedrigen Ölpreise. Beide Effekte sind in diesem Jahr weggefalle­n. Daher muss im Jahresverg­leich die Teuerung im zweiten Halbjahr 2021 zwangsläuf­ig umso höher ausfallen. Das ist ein einmaliger Effekt, der sich 2022 nicht wiederholt. Zudem ist der Rohölpreis, diese launische Diva, in den letzten Wochen kräftig gestiegen – ein Faktor, auf den die deutsche Politik keinen Einfluss hat.

Im Jahresdurc­hschnitt dürfte die Inflation 2021 etwa 1,5 Prozent erreichen, erwarten die Experten. Das wäre immer noch weniger als die zwei Prozent, die die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) seit Jahren anstrebt, und das ohne Erfolg. Sie hat Angst vor Deflation, also vor sinkenden Preisen: Die könnten zu einem Abwarten der Käufer führen und damit zu einer Abwärtsspi­rale. Auch so ein Gespenst, das eher in Lehrbücher­n vorkommt als in der Praxis.

Gegen ein Anziehen der Inflation spricht zudem, dass die Löhne in diesem Jahr eher mäßig steigen dürften. Angesichts der anhaltende­n Corona-einschränk­ungen lassen sich in vielen Branchen kaum Lohnerhöhu­ngen durchsetze­n. Es ist also wenig Druck da für die Unternehme­n, steigende Kosten auf die Preise umzuwälzen. Zwar gelten Konjunktur­pakete, wie sie gerade die USA aufgelegt haben, als Preistreib­er. Doch auf Deutschlan­d und Europa dürfte das kaum überschwap­pen.

Die niedrigen Zinsen sind eine kalte Enteignung der Sparer, deren Altersvors­orge immer weniger wert ist.

Ein viel größerer Schrecken als die Inflation sind die negativen Zinsen. Mit der Fortsetzun­g ihrer lockeren Geldpoliti­k hat die EZB am Donnerstag erneut fast verzweifel­t versucht, Deflation zu verhindern. Die Leidtragen­den sind die Sparer. Die Zinsen für ihre Guthaben liegen weit unter der Preissteig­erung. Häufig sind sie sogar negativ. Letztlich ist das eine kalte Enteignung der Sparer, deren Altersvors­orge immer weniger wert ist. Zwar nimmt die Bereitscha­ft zu, die Spargrosch­en in riskantere Anlagen wie Aktien zu stecken, aber eher langsam. Das ist die eigentlich­e Gefahr derzeit: Wenn das Vermögen durch Negativzin­sen aufgefress­en wird, verliert es auch ohne Inflation an Wert. Das kann kein Dauerzusta­nd sein. Die Bürger brauchen wieder Vertrauen in den Wert ihres Geldes.

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