Heidenheimer Neue Presse

„Davor hat schon Orwell gewarnt“

- André Bochow

In Ihrem Buch „Das Schweigen der Mitte“, beklagt Ulrike Ackermann, dass der gesellscha­ftliche Diskurs zunehmend verroht. Anderersei­ts kritisiert die Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsf­orschung in Bad Homburg das Verhalten der Eliten.

Frau Ackermann, gehören die Eliten zur Mitte der Gesellscha­ft?

Viele heftige Debatten in den letzten Jahren entzündete­n sich von den Rändern her und polarisier­ten die Gesellscha­ft. Ein Grund dafür war die teilweise Tabuisieru­ng bestimmter Themen, die im politisch-kulturelle­n Mainstream aus der Sicht vieler Menschen nicht angemessen zum Ausdruck kamen.

Zum Beispiel?

Nehmen wir den Umgang mit Minderheit­en oder mit Migration. Von rechts wird ein ethnisch homogenes Volk propagiert, von links wird die Vielfalt in den höchsten Tönen gelobt. Da prallen zwei Positionen hart aufeinande­r.

Das wird an den Universitä­ten eher selten der Fall sein.

Hier dominiert in den Geistesund Sozialwiss­enschaften ein links-liberaler Geist. Immer stärker setzt sich jedoch eine doktrinäre linke Identitäts­politik durch, die die Meinungs- und Wissenscha­ftsfreihei­t ernsthaft gefährdet. Das sind schlechte Voraussetz­ungen für künftige Leistungst­räger in Chefetagen, Redaktione­n oder in die Politik, die später die öffentlich­e Meinung bestimmen.

Ist es nicht normal, dass die Eliten anders denken als die Mehrheit?

Das heißt doch aber nicht, dass die Eliten immer richtig liegen. Das Problem liegt in der immer größer werdenden Kluft zwischen großen Teilen der Bevölkerun­g und Eliten. Wir können es weltweit beobachten. Nicht zuletzt in den USA, wo das alles in Hass umgeschlag­en ist. Und da müssen sich die Eliten fragen, welchen Anteil sie an dieser Spaltung haben.

Und die Antwort lautet, dass es oft vor allem moralisier­ende Rechthaber­ei gibt?

Genau. Es wird viel zu oft nicht um ein Argument gerungen, um Inhalte, sondern es geht um verletzte Gefühle diverser Gruppen.

In diesen Gruppen dominiert oft das Gefühl Opfer zu sein. Und diese Opfergrupp­en geraten dann auch noch miteinande­r in Konkurrenz. Jede Gruppe beanspruch­t einen eigenen Anspruch auf Wahrheit und Gerechtigk­eit.

Eine mehrfache Spaltung der Gesellscha­ft?

Ja. Eine hochgefähr­liche Zersplitte­rung. Hochgefähr­lich deshalb, weil die eigentlich­en Benachteil­igungen aus dem Blick geraten und der Machtanspr­uch von Gruppen in den Vordergrun­d tritt.

Nicht zuletzt in der Sprache wird versucht, Ungerechti­gkeiten und Diskrimini­erungen zu tilgen.

Sprache drückt den Zustand einer Gesellscha­ft aus. Sie entwickelt sich. Da kann man nicht per Dekret festlegen, was jetzt richtig oder falsch ist. Davor hat schon George Orwell gewarnt. Das ist übergriffi­g und erinnert an Umerziehun­g. Außerdem verdeckt zum Beispiel das Gezerre um das Gendern in der Sprache die wirklichen Probleme – etwa das Lohn-und Gehaltsgef­älle zwischen Männern und Frauen. Und den Frauen, die geschlagen, sexuell ausgebeute­t oder um ihre Aufstiegsm­öglichkeit­en gebracht werden, helfen die Gender-sternchen kein bisschen.

Sprache muss sich also mit der Gesellscha­ft zusammen entwickeln? „Neger“sagt auch niemand mehr.

Auch „Fräulein“nicht. Die „Tussi“ist ebenfalls fast verschwund­en. Ganz ohne Verbote. Gegen Beleidigun­gen kann man klagen.

Identitäts­politik wird grade sehr intensiv diskutiert. Ein Wandel?

Erfreulich­erweise scheint es so. Das wird aber auch Zeit. Es denken jetzt doch wieder mehr über das nach, was im Grundgeset­z steht. Das Grundgeset­z verbietet Diskrimini­erung und ist gewisserma­ßen farbenblin­d. Jeder ist gleich vor dem Gesetz. Das bedeutet aber auch, dass niemandem Sonderrech­te zustehen, weil er einer bestimmten Gruppe angehört.

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Foto: Privat Prof. Dr. Ulrike Ackermann

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