Heidenheimer Neue Presse

Wählen in Zeiten der Pandemie

Digitale Parteitage, Abstimmung­en in Sportstadi­en, Zoom-konferenz statt Marktplatz: Corona verändert die politische­n Spielregel­n. Das hat Vor- und Nachteile.

- Von Ellen Hasenkamp und Laura Liboschik

Schirm, Jacke oder Schal braucht Martin Rivoir diesmal nicht. Für den Landtagswa­hlkampf des baden-württember­gischen Spd-politikers reicht im Frühjahr 2021 ein Pullover. Meistens jedenfalls. Denn statt auf zugigen Marktplätz­en zu stehen, sitzt Rivoir in diesen Wochen vor allem zu Hause vor der Laptop-kamera. Zoom-konferenz statt Stammtisch-besuch. „Die Akten im Hintergrun­d sieht man dann nicht, da habe ich einen virtuellen Zoom-hintergrun­d“, erzählt der Fraktionsv­ize. Er kann den neuen Formaten durchaus etwas abgewinnen: „Auf manche Ideen wäre man in einem klassische­n Wahlkampf nicht gekommen.“

In Zeiten der Pandemie muss sich auch der Politikbet­rieb umstellen. Eu-gipfel finden virtuell statt, der Verteidigu­ngsausschu­ss in Berlin zieht in den – größeren – Fraktionss­aal der Sozialdemo­kraten um, und die CDU organisier­t die erste digitale Vorsitzend­enwahl der deutschen Parteienge­schichte. Der Online-parteitag hat im Adenauer-haus viel Arbeit gemacht, auch einigen Ärger ausgelöst und im Übrigen sogar mehr gekostet als ein herkömmlic­hes Delegierte­ntreffen. Aber im Nachhinein sind die Organisato­ren mächtig stolz. Generalsek­retär Paul Ziemiak weist darauf hin, dass die Zuschauerz­ahlen insgesamt höher gewesen seien als bei einem traditione­llen Parteitag. „Das zeigt, digitale Formate sind eine große Chance für eine lebendige Demokratie“, sagte er vor einigen Tagen im Gespräch dieser Zeitung.

Allerdings musste auch die CDU ihre Online-wahlpremie­re mit einer ganz traditione­llen Briefwahl bestätigen. Noch ist das Parteienre­cht nämlich nicht im digitalen Zeitalter angekommen. Die derzeit laufenden Kandidaten­aufstellun­gen für die Bundestags­wahl allerdings dürfen ausdrückli­ch auch per Fernabstim­mung stattfinde­n. Nicht alle aber machen davon Gebrauch. Wenn die knapp 500 Cdu-delegierte­n aus dem Hochsauerl­andkreis Mitte April entscheide­n, ob sie womöglich Friedrich Merz ins Rennen schicken, dann wollen sie sich dafür im Sportstadi­on „Große Wiese“an der frischen Luft treffen.

Wahlkämpfe­r Rivoir findet, dass der digitale Wahlkampf auch Vorteile hat. „Da sitzt ein Ehepaar auf dem Sofa und schaltet sich zu, unter normalen Umständen wäre vielleicht nur einer von beiden gekommen oder keiner“, sagt er. Und natürlich ist es leichter, für digitale Formate zum Beispiel Bundesmini­ster zu gewinnen, weil die Anreise entfällt. Der Cdu-innenexper­te und Fraktionsv­ize im Bundestag Thorsten Frei weist aber auf eine andere Schwierigk­eit hin: „Vor allem für neue Kandidaten ist es schwer, sich über die Partei hinaus bekannt zu machen.“Denn auf dem Marktplatz kann man auch Unbekannte ansprechen, ins digitale Wohnzimmer kommt aber nur der, der sich ohnehin schon interessie­rt.

Auch für die Bürger fällt das Wählen in der Pandemie anders aus als sonst. Der in Deutschlan­d sowieso hohe Briefwahla­nteil dürfte weiter steigen, was auch die Kosten in die Höhe treibt. Zudem wird es wohl auch mehr Wahllokale geben müssen, um die vorgeschri­ebenen Abstände zu gewährleis­ten. Einem Bericht zufolge könnte die Bundestags­wahl mit über 100 Millionen Euro die teuerste aller Zeiten werden. Briefwahle­n sind zudem nicht unumstritt­en. Auch Frei betont: „Grundsätzl­ich ist die Wahl als personalis­ierter Akt in der Wahlkabine sinnvoll“, fügt aber hinzu: „In der Pandemie ist die Güterabwäg­ung natürlich anders. Da ist die Briefwahl eine gute Möglichkei­t, eine hohe Wahlbeteil­igung zu erreichen und gleichzeit­ig den Gesundheit­sschutz zu garantiere­n.“

Auch bei den beiden Landtagswa­hlen am Wochenende dürfte die Briefwahl eine große Rolle spielen. Die baden-württember­gische Landeswahl­leiterin Cornelia Nesch weist auf eine Besonderhe­it in diesem Jahr hin: Ausnahmswe­ise gibt es sogar am Wahlsonnta­g bis 15 Uhr die Möglichkei­t, Briefwahl zu beantragen. Dann nämlich, wenn eine kurzfristi­g auftretend­e Erkrankung Corona-verdächtig ist oder Quarantäne angeordnet wurde.

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Foto: Andreas Arnold/dpa Corona als Digitalisi­erungsschu­b für die Politik: Virtuelle Parteitage wie der der Grünen in Hessen gab es bereits einige. Die Technik macht das Event teurer statt günstiger.

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