Heidenheimer Neue Presse

Der Vater der Kassette ist tot

Lou Ottens entwickelt­e für Philips das Medium, das Musik mobil und manchen Jugendflir­t erst möglich machte.

- Marcus Golling

Duizel. Der Satz „Ich habe dir ein Mixtape aufgenomme­n“signalisie­rte einst unter jungen Menschen eine Verbandelu­ngsabsicht. Und der Besitz eines Walkmans versprach einst Freiheit gepaart mit Coolness, konnte man seit 1979 doch jederzeit seinen eigenen Musikgesch­mack unter dem Kopfhörer feiern; gerne auch so, dass andere mitgenieße­n durften. „Aus dem Walkman tönt es grell, dem Nachbarn juckt’s im Trommelfel­l“, wurde der Fahrgast einst in der Münchner U-bahn streng ermahnt.

Wie nun bekannt wurde, ist der Mann, der das alles möglich gemacht hat, bereits am 6. März in Duizel bei Eindhoven gestorben. Der Ingenieur Lou Ottens wurde laut Medieninfo­rmationen 94 Jahre alt. Der Niederländ­er in Diensten von Philips war der wichtigste Kopf in der Entwicklun­g der 1963 erstmals der Welt präsentier­ten „Kompaktkas­sette“: ein günstiges, leicht zu bedienende­s Medium, das über die Aufnahmefu­nktion jeden zum Kurator der eigenen Musikauswa­hl werden ließ. Eine Revolution. Bald auch ein Milliarden-seller.

Ohne Ottens also kein Mixtape-flirt, keine Walkman-hörschäden, keine Generation von Kassettenk­indern, die wahlweise den „Drei ???“oder „TKKG“lauschten, bis der Rekorder das Band verschluck­te, man es wieder aus dem Räderwerk fummeln und mit einem Buntstift zurück ins Plastikgeh­äuse wickeln musste. Es soll Menschen geben, die selbst bei solchen Erinnerung­en nostalgisc­h werden.

Ottens war übrigens kein Nostalgike­r, nach der Kassette entwickelt­e er für Philips auch die CD mit, jenes Medium, das bis vor wenigen Jahren das Musikgesch­äft maßgeblich bestimmte. Heute plärrt einem mobile Musik an jeder Ecke aus Bluetooth-lautsprech­ern entgegen, ein Mixtape ist – zumindest begrifflic­h – auch dann ein Mixtape, wenn es auf Spotify hochgelade­n statt an Fans verhökert oder der Liebsten zugesteckt wird.

Die Kassette lebt im Untergrund weiter: Besonders coole Bands veröffentl­ichen ihre Alben wieder auf MC. Und „Die drei ??? und der Karpatenhu­nd“klingt nur auf Band so richtig nach Kinderzimm­er.

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Foto: Jerry Lampen/afp Lou Ottens mit seiner kleinen Erfindung.

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